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Die blauen Wunderpillen sind auf dem Schwarzmarkt teurer als Koks - und das meist gefälschte Medikament der Welt.

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Viagra-Fälscherring vor Gericht: Teurer als Koks

Das meistgefälschte Medikament der Welt ist nach wie vor Viagra. Es ist teurer als Koks. In Potsdam steht derzeit das größte Fälschernetzwerk Deutschlands vor Gericht.

Monatelang haben sie seine Schritte belauert, Mails abgefangen und stundenlang Chats mitgelesen. Doch als Ermittler im April eine Wohnungstür in Frankfurt aufbrechen, ist er nicht zuhause. Der Mann, der Hunderttausenden Männern in Deutschland gefälschte Potenzmittel verkauft hat, ist untergetaucht. Fast drei Jahre bleibt er vom Radar der Ermittler verschwunden. Mit sechs verschiedenen Identitäten verschleiert der Chef der so genannten „Männerapotheke“, Matthias M., seinen Weg in ein Land ohne Auslieferungsabkommen mit Deutschland. In Uruguay fühlt er sich sicher und wird unvorsichtig. Er lässt von Südamerika aus deutsche Staatsanwälte bedrohen.

Uruguay hat kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland

Doch Ermittler kommen ihm auf die Spur. In Montevideo wird er verhaftet, Anfang März fliegt Matthias M. unter Bewachung von Südamerika nach Deutschland; die Bundesregierung hatte Uruguay um seine Auslieferung gebeten.

Bald muss er sich vor dem Potsdamer Landgericht verantworten. Die Liste der Staatsanwaltschaft ist lang: Bildung einer kriminellen Vereinigung, bandenmäßiger Betrug, Schmuggel und – vor allem – Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz. Der Fall des Herrn M. ist der größte jemals in Deutschland aufgedeckte Schmuggel mit gefälschten Pharmazeutika. Dem 44-Jährigen droht eine langjährige Haftstrafe.

Viagra, Cialis und Levitra für 21,5 Millionen Euro ergaunert

Neben ihm sind sechs weitere Männer und eine Frau aus dem engeren Führungszirkel des Fälscherrings angeklagt. Die so genannte „Pillen-Bande“ oder „Männerapotheke“ hatte innerhalb von nur zwei Jahren 285.000 Mal gefälschte Schlankheitsmittel und die Potenzmittel Viagra, Cialis und Levitra verkauft und dabei 21,5 Millionen Euro ergaunert. Die Substanzen wurden in tschechischen Untergrundlaboren hergestellt. Dann wurden sie mit der Post nach Deutschland geschickt, neu verpackt und mit deutschen Briefmarken beklebt, um den Kunden ein Produkt „made in Germany“ zu suggerieren. Neben den acht Angeklagten arbeiteten 800 Webmaster für die „Pillen-Bande“. Für jeden neuen, zahlenden Kunden, den sie auf www.maennerapotheke.com oder www.pillendienst.com lockten, erhielten sie eine 30-Prozent-Provision; durchschnittlich 25 Euro pro Bestellung – und das bei allen zukünftigen Einkäufen.

Das Geschäft läuft gut – zu gut, um wieder aufzuhören

Dabei hatte alles klein begonnen: 2006 beginnen drei der Angeklagten, gefälschte Potenzmittel aus China nach Deutschland einzuführen. Ein eigenes Labor besitzen sie nicht. Doch das Geschäft läuft gut – zu gut, um wieder aufzuhören. Die Gier ist geweckt. Tarnfirmen folgen, man operiert von Büros im Ausland aus, das Geschäft expandiert. Schließlich entwickelt man ein eigenes Online-Bezahlsystem namens „we-pay“. Über dieses fließen die Gelder auf diverse Nummernkonten bei Banken in Limassol auf Zypern und in Prag. Nach und nach stellen sie neue Mitarbeiter ein: einen Chefdesigner für die Onlineauftritte und mehrere Programmierer. Einer von ihnen gibt später zu, 400.000 Euro für seine Arbeit bekommen zu haben. Von dem kriminellen Hintergrund seiner Auftraggeber will er zunächst nichts bemerkt haben. Später habe ihn der Bandenchef bedroht.

China, Indien, Osteuropa - Wachstumsregionen der Medikamentenfälschung

Die blauen Wunderpillen sind auf dem Schwarzmarkt teurer als Koks - und das meist gefälschte Medikament der Welt.
Die blauen Wunderpillen sind auf dem Schwarzmarkt teurer als Koks - und das meist gefälschte Medikament der Welt.

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Ihren Zenit erleben die Viagra-Fälscher im August 2010: 21.000 Bestellungen gehen bei ihnen ein, die meisten aus Deutschland. 1,8 Millionen Euro setzen die Fälscher in nur einem Monat um. Doch nicht nur normale Bürger sind auf das Angebot aufmerksam geworden. Auch Fahnder der Polizei beobachten die „Männerapotheke“. Monatelang überwachen sie Telefone, E-Mails und Chats, die die Fälscher über den Telefondienst Skype führen. Dann, gut ein halbes Jahr später, klingeln die Beamten an der Haustür von Matthias M. in Frankfurt.

In Fälschungen wurden Straßenfarbe auf Blei-Basis, Borsäure, Bodenreiniger und selbst die Droge „Speed“ gefunden

Trotz drohender Strafen ist Arzneimittelfälschung ein einträgliches Geschäft. Nur ein Bruchteil der Herstellungskosten entfallen auf den entscheidenden Inhaltsstoff Sildenafil. Derzeit kostet ein Kilogramm zwischen 40 und 50 Euro. Daraus lassen sich 20.000 Tabletten à 50-Milligramm herstellen. Bei einem Preis von knapp vier Euro pro Tablette bringt ein Kilogramm Viagra auf dem Schwarzmarkt 75.000 Euro – mehr als doppelt so viel wie Koks derzeit in Berlin kostet. Der Kostenanteil des Sildenafil beträgt damit 0,5 Promille.

Fälscher, die Viagra-Ersatz im eigenen Labor herstellen und sich nicht um Besitzrechte und Patentkosten scheren, können ihre Tabletten somit viel billiger auf den Markt werfen. Doch nur wenige Viagra-Nachahmer enthalten überhaupt Wirkstoffe. "Viele bestehen aus wirkungslosem Talkpuder", sagt Thomas Biegi, Sprecher des Viagra-Herstellers Pfizer. Doch man habe auch schon Straßenfarbe auf Blei-Basis, Borsäure, Bodenreiniger und selbst die Droge „Speed“ in Fälschungen gefunden. Vor allem Indien und China sind für den Export dubioser Viagra-Pillen bekannt, auch in Osteuropa nimmt das Geschäft zu.

Doch auch die Fälscher geraten unter Druck

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation ist jedes zweite im Internet gekaufte Medikament eine Fälschung. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 74.000 Medikamente im Wert von 1,12 Millionen Euro durch den Zoll beschlagnahmt, teilte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Freitag mit. Rund eine Million Menschen sterben weltweit pro Jahr an gepanschten Mitteln. Doch auch die Fälscher geraten unter Druck. Das Viagra-Patent ist im Sommer 2013 in Deutschland ausgelaufen. 21 neue Produzenten gibt es seitdem auf dem Markt. die Menge des umgesetzten Viagras hat sich verdreifacht. Die Preise sind deutlich gefallen: Eine Tablette kostet nur noch ein Drittel des Ursprungspreises. „Einige Fälscher haben daraufhin die Preise angepasst”, sagt Norbert Scheithauer, Sprecher des Zollfahndungsamtes Berlin-Brandenburg, „andere hingegen nicht. Sie setzten darauf, dass die Bürger denken, teuer sei echt.”

Ein anonymer Klick ist leicht

Was den Fälschern hilft, ist die Verschreibungspflicht. Die Schamgrenze, den Arzt wegen Erektionstörungen aufzusuchen, will erst einmal übersprungen werden. Ein anonymer Klick im Netz ist da viel einfacher. Viagra bleibt somit das am häufigsten gefälschte Medikament. Nach Angaben von Pfizer wurden 2012 weltweit vier Millionen blaue Fälscherpillen aus dem Verkehr gezogen.

Michel Penke

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