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Wirtschaft: Viel Lärm um Nichts

Die Angst der Wirtschaft vor dem Gleichbehandlungsgesetz hat sich nach einem Jahr als grundlos erwiesen

Berlin - Die Stellenausschreibung in der Zeitung ist nicht ganz eindeutig: „Zimmermädchen/-mann gesucht“. Dass eigentlich kein Handwerker benötigt wird, erklärt sich erst beim näheren Hinsehen: der Inserent ist ein Hotel. Ursache für die kuriose Anzeige ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Menschen vor Benachteiligungen am Arbeitsplatz und im Geschäftsleben schützen soll. Vor einem Jahr ist das als Anti-Diskriminierungsgesetz bekannte Regelwerk in Kraft getreten – unter großem Gejammer der Wirtschaft. Sie warnte vor sogenannten Scheinbewerbern, die bei Absagen auf Schadenersatz klagen würden.

Doch die Befürchtungen der Unternehmen haben sich nicht bestätigt. „Es ist mit sehr viel Wind angekündigt worden, dass auf die Gerichte eine Klageflut zukommt“, sagte Karin Aust-Dodenhoff, Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, dem Tagesspiegel am Sonntag. „Das ist aber keineswegs der Fall.“ Eine interne Befragung unter den Richtern habe ergeben, dass dort seit Inkrafttreten des Gesetzes am 18. August 2006 nur etwa 25 Fälle mit AGG-Bezug behandelt worden seien. „Wenn man bedenkt, dass wir jährlich rund 25 000 Fälle bearbeiten, ist das wahrlich keine große Zahl.“

Auch in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ein Anlaufpunkt für Opfer von Diskriminierungen, hat man von klagewütigen Arbeitnehmern nichts mitbekommen. „Die meisten wollen beraten werden, wie sie eine gütliche Einigung mit ihrem Arbeitgeber finden können“, erklärt Behördenleiterin Martina Köppen. Rund 2300 Kontaktaufnahmen von Opfern zählt die Stelle seit ihrer Einrichtung vor etwa einem Jahr bis heute. Die meisten Fälle betreffen nach Köppens Angaben das Alter, das Geschlecht oder die Behinderung – Merkmale, die laut AGG neben der sexuellen Identität, der Religion oder Weltanschauung, der Rasse oder der ethnischen Herkunft nicht zu einer Benachteiligung oder Belästigung führen dürfen.

Köppen betont, ihr seien maximal drei Fälle aus der Beratung bekannt, die hinterher vor Gericht ausgetragen wurden.

Selbst Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die noch vor Inkrafttreten des Gesetzes Sturm liefen, geben inzwischen klein bei. Warnungen vor Scheinbewerbern, die die Unternehmen verklagten, hätten sich nicht bewahrheitet, sagt Holger Lunau, Sprecher der Industrie- und Handelskammer Berlin. „Aus unserer Warte ist das geräuschlos vonstatten gegangen.“ Beim Dachverband der Industrie- und Handelskammern, dem DIHK, klingt es so ähnlich. „Was nicht eingetreten ist, ist die große Klagewelle“, sagte Hildegard Reppelmund, die beim DIHK für das Antidiskriminierungsgesetz zuständig ist. „Wir haben den Eindruck, dass gegenwärtig viele Fälle noch außergerichtlich beigelegt werden.“

Die Gewerkschaften sehen sich von der Bilanz nach einem Jahr bestätigt. „Die Befürchtungen von Wirtschaft und Kritikern, dass das AGG sich zu einem teuren ,bürokratischen Monster’ entwickeln und eine Prozesslawine auslösen werde, haben sich nicht bewahrheitet“, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock dem Tagesspiegel am Sonntag. Das Gegenteil sei der Fall. Das Gleichbehandlungsgesetz verhindere in der Praxis vorbeugend Diskriminierung in den Betrieben. „Und das war ja Sinn und Zweck des Gesetzes.“

Die Wirtschaft betont jedoch, dass sie einen höheren bürokratischen Aufwand zu bewältigen habe und dadurch höhere Kosten entstünden. Das soll auch eine aktuelle Studie der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bestätigen, deren Ergebnisse in der kommenden Woche veröffentlicht werden. Die Kosten der Unternehmen bewegten sich in einer Höhe, „die etwas ausmacht“, sagt INSM-Geschäftsführer Max A. Höfer. Ein weiteres Ergebnis der Studie: „Von den rund 500 befragten Unternehmen haben zwölf Prozent Erfahrungen mit Scheinbewerbern gemacht“, sagt Höfer. Für den DIHK ist die derzeitige Lage deshalb auch nichts anderes als die Ruhe vor dem Sturm. „Je länger das Gesetz existiert und je bekannter es wird, desto eher rechnen wir damit, dass es gegen die Unternehmen verwendet wird“, sagte Hildegard Reppelmund.

Martina Köppen von der Antidiskriminierungsstelle glaubt nicht an solch eine Wendung. Sie verweist darauf, dass Frauen schon früher unter Berufung auf Paragraph 611a BGB klagen konnten, wenn sie sich wegen ihres Geschlechts benachteiligt sahen. „So wie das ,611a-Hopping’ ein Randproblem gewesen sei, wird es auch in Zukunft mit dem ,AGG-Hopping’ sein. Ich warte das gelassen ab.“

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