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Wirtschaft: „Viele haben BenQ vor Augen“

Tausende Telekom-Mitarbeiter gehen in Bonn auf die Straße. Auch aus Berlin sind sie mit Bussen angereist

Bonn - „Keine Ahnung, wo es langgeht, aber ich würde links marschieren“, sagt der Betriebsrat. Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen, selbst er hat Angst. Seinen kleinen Schalenkoffer hinter sich herziehend biegt der Mitfünfziger links in die Seitenstraße ab und geht in Richtung Friedrich-Ebert-Allee.

Es ist elf Uhr an diesem grauen Mittwochmorgen. In Bonn nieselt es. Der Betriebsrat aus Berlin ist mit seinen Kollegen auf dem Weg zur Zentrale der Deutschen Telekom. Neben dem Haupteingang ist eine Bühne aufgebaut. Die Band „Chris and the Poor Boys“ spielt Marius-Müller Westernhagen und Joe Cocker. Die Telekom-Mitarbeiter davor tragen Fahnen und Plakate. „Stoppt Dobermann“ steht da, gemeint ist Konzernchef René Obermann. Insgesamt, sagt die Gewerkschaft, sind mehr als 13 000 Menschen aus ganz Deutschland zu der Kundgebung nach Bonn gekommen, um gegen „Arbeitsplatzvernichtung, Zerschlagung und Lohndrückerei“ bei der Telekom zu protestieren. Sie sind mit 233 Busse angereist, allein 15 davon kamen aus Berlin.

Denn an diesem Mittwoch entscheiden 16 Männer und vier Frauen im Aufsichtsrat über die Arbeitsplätze und damit über die Zukunft von 160 000 Telekom-Mitarbeitern in Deutschland. Am Abend billigt das Gremium gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite Obermanns Pläne zum Konzernumbau. Demnach soll eine neue Service-Einheit T-Service gegründet werden, in die nach Angaben aus dem Konzernumfeld rund 50 000 Mitarbeiter der Festnetzsparte T-Com eingebracht werden. Die Mitarbeiter sollen länger arbeiten und weniger verdienen. Seit der Privatisierung 1995 ist das die 17. Umorganisation, beklagen Mitarbeiter, die schon lange dabei sind.

Und sie fürchten, es könnte für sie die letzte bei der Telekom sein. „Viele haben BenQ vor Augen“, sagt ein ebenfalls aus Berlin angereister Angestellter – auch er will anonym bleiben. „Denen hat man auch vorgegaukelt, dass ihre Arbeitsplätze sicherer werden. Nach einem Jahr gingen dann die Lichter aus.“ Inzwischen steht die ehemalige Siemens-Handysparte vor der Auflösung. Um drei Uhr nachts ist der 51-Jährige, der sonst Telefon- und DSL-Anschlüsse einrichtet, mit 50 Kollegen in der Schöneberger Hauptstraße in den Bus gestiegen, „um in Bonn ein Signal zu setzen“. „Wir sind nicht bereit, jede böse Pille zu schlucken.“ Er fing vor 34 Jahren bei der Telekom als Lehrling an. Früher hat er Kabel in der Erde verlegt, seit 1981 arbeitet er in Zehlendorf im Kundendienst. Alles um ihn herum hat sich dramatisch verändert. Zur Telekom, die damals noch die Bundespost war, kam er, weil ihn die Technik interessierte und weil er einen sicheren Job wollte. „Die Stimmung ist gereizt“, sagt er. „Jeder hat Angst um seinen Arbeitsplatz.“

Das geht auch seiner Kollegin so. Die 50-Jährige hat bei der Auskunft angefangen, die die Telekom längst nicht mehr selbst betreibt, dann beim Weckdienst gearbeitet, der inzwischen abgewickelt ist, und nun ist sie in der Störungsannahme. „Wir haben Zugeständnisse gemacht, aber unsere Arbeitsplätze sind nicht sicherer geworden.“

Im Wettbewerb hat das Unternehmen massiv Kunden verloren. Konzernchef Obermann will die Abwanderung stoppen. Dazu will er den Service verbessern. „Das Ansinnen ist richtig, aber der Weg dahin nicht“, meint der Servicetechniker aus Berlin. Immerhin müssen die Mitarbeiter fürchten, in den neuen Gesellschaften künftig nur noch die Hälfte zu verdienen.

Um in Bonn protestieren zu können, haben die Berliner Kollegen an diesem Tag Urlaub genommen. Von gereizter Stimmung ist im Bus nichts zu spüren. Wer nicht schläft, hört Musik oder unterhält sich leise über Familie und Kollegen.

Um 12 Uhr 30 tritt Verdi-Vorstandsmitglied Lothar Schröder vor die Versammlung: „Wir werden Widerstand leisten“, ruft er. Die Menge pfeift und stimmt ihm zu. Auch Verdi-Chef Frank Bsirske und DGB-Chef Michael Sommer sagen den Versammelten ihre Unterstützung zu. Kurz vor 14 Uhr, da hat die Aufsichtsratssitzung noch nicht begonnen, wird es wieder still vor der Zentrale. „Ich weiß nicht, ob wir etwas erreicht haben“, sagt die Mitarbeiterin aus der Störungsannahme. „Aber wenn wir gar nichts tun würden, dann hätten wir schon verloren.“

Am Abend sagt Verdi-Mann Schröder dem Tagesspiegel, dass diese Kundgebung erst der Auftakt der Auseinandersetzungen gewesen ist. Die Gewerkschaft habe die Telekom zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Er befürchte, das es nun zu einem „viel größeren Konflikt kommen wird“. Schröder: „Ich bedauere, dass die Telekom zukunftsweisende Ansätze mit einer Bedrohung der Zukunft der Beschäftigten verbindet.“

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