zum Hauptinhalt
Chaos in Düsseldorf: Die Sommerferien haben für viele Urlauber mit Stress begonnen.

© dpa/Thomas Bannemeyer

Inflation, Corona, Flugchaos: „Viele sagen sich, es ist vielleicht das letzte Mal“

Ihren Urlaub lassen sich die Bundesbürger nicht vermiesen. Der Nachholbedarf ist zu groß. Doch das Ende des Booms ist schon in Sicht, sagen Experten.

Wenn es um ihren Urlaub geht, sind die Bundesbürger zu Opfern bereit. Weder die steigende Inflation noch die Warnungen des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) vor der ansteckenden Corona-Variante BA.5 hindern die Menschen daran, in den Flieger zu steigen. Und selbst das Chaos an den Flughäfen ertragen die Urlauber in der Hoffnung auf spätere Erholung.

Einen Vorgeschmack lieferte der Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen am Wochenende. Stundenlange Warteschlangen, gestresste Passagiere und Feuerwehrleute, die bei der Gepäckausladung helfen mussten, um noch Schlimmeres zu verhindern. In knapp zwei Wochen ist Berlin an der Reihe. Und viele haben Angst, dass sich das Chaos am BER wiederholt.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Dabei möchte man doch einfach nur Urlaub machen. Die beliebtesten Ziele der Deutschen für diesen Sommer sind die Vor-Corona-Klassiker Spanien mit Mallorca und den Kanaren, die Türkei und Griechenland, sagt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband (DRV). Aber auch Ägypten sei stark nachgefragt, und „auch die Fernreise kommt wieder zurück“, berichtet Schäfer. Nach zwei Corona-Sommern an der Müritz oder an der Ostsee wollen viele wieder an die Sonnenstrände. Aperol statt Apfelsaft.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Die Menschen lassen sich weder von der Inflation noch von dem Flugchaos abhalten, ihren Sommerurlaub zu buchen“, bestätigt auch Marija Linnhoff, Chefin des Bundesverbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR). „Nach zwei Jahren Corona wollen die Menschen einfach raus.“

„Die Urlaubslust übertrifft den möglichen Flugfrust“

Die Reiseveranstalter freut das. „Wir sehen keine Verunsicherung bei den Kunden – im Gegenteil“, berichtet Ingo Burmester, Chef von DER Touristik Central Europe (ITS, Jahn Reisen, DER Tour). Bei der Rewe-Touristiktochter übertreffen die Umsatzzahlen in der aktuellen Sommersaison bereits das Vorkrisenniveau. „Man kann also sagen, dass die Urlaubslust den möglichen Flugfrust übertrifft“, sagte Burmester dem Tagesspiegel. Branchenweit liegt der Buchungsstand für diesen Sommer aber verglichen mit dem Vor-Corona-Sommer 2019 noch um 23 Prozent im Minus.

Reif für die Insel: Malle ist wieder gefragt.
Reif für die Insel: Malle ist wieder gefragt.

© dpa/Clara Margais

Am Urlaub wird nicht gespart, auch wenn das schlechte Gewissen angesichts der Inflation, die am Haushaltsbudget nagt, zu spüren ist. Drei von vier Bürgern wollen beim Reisen künftig kürzer treten, hat eine Untersuchung des Beratungsunternehmens PWC ergeben. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Public Affairs im Auftrag der Europ Assistance Group sagen 63 Prozent der Bundesbürger, dass die Inflation Einfluss auf ihre Reiseplanung hat.

Eine Woche Familienurlaub kostet über 3000 Euro

Doch in der Realität merkt man davon noch nicht viel. „Eine Woche all-inclusive, für zwei Erwachsene und zwei Kinder, das geht bei 2000 Euro los“, hatte der Deutschland-Chef des Reisekonzerns Tui, Stefan Baumert, kürzlich im Tagesspiegel vorgerechnet. Die meisten Kunden würden aber für 2500 bis 3500 Euro die Woche buchen – Vier-Sterne-Hotels in Spanien oder der Türkei. „Für die Mehrheit unserer Gäste ist der Urlaub die größte Investition des Jahres“, weiß der Reisemanager. Man gönnt sich was. „Viele bleiben länger, buchen bessere Zimmer oder Hotels mit mehr Sternen“, berichtet Tui-Sprecher Aage Dünhaupt.

Ich habe noch einen Koffer in .... Düsseldorf. Nicht alles Gepäck hat es an Bord geschafft.
Ich habe noch einen Koffer in .... Düsseldorf. Nicht alles Gepäck hat es an Bord geschafft.

© dpa/Thomas Bannemeyer

Doch ob dieser Trend noch lange anhält, ist zweifelhaft. Denn bei einer Inflation von acht Prozent wird der Geldbeutel merklich leerer. Und wer Geld auf der hohen Kante hat, kann praktisch zusehen, wie das Ersparte schmilzt. Sollte man nicht lieber sparen, statt Tausende Euro für den Familienurlaub auf Kreta aus dem Fenster zu werfen? „Viele sagen sich, das ist vielleicht das letzte Mal“, sagt Tourismusexpertin Linnhoff. „Denn wenn Energie noch teurer wird und die Nachzahlungen kommen, ist bei vielen kein Geld mehr da für Urlaub.“ Ist der Sommer 2022 vielleicht schon der Anfang vom Ende?

An den Flughäfen droht das Chaos

Zum fehlenden Geld kommt der wachsende Flugärger hinzu. Easyjet kündigte vergangene Woche an, weitere Flüge zu streichen – über die 1000 Verbindungen hinaus, die schon von Juni bis August allein am BER ausfallen. Die Lufthansa hat für die Sommerferienzeit mehr als 3000 innerdeutsche und innereuropäische Flüge an den Drehkreuzen Frankfurt und München „aus dem System genommen“, wie ein Sprecher sagt. Bei der Lufthansa-Tochter Eurowings sind es Hunderte weitere Flüge, die im Juli nicht wie geplant stattfinden.

[Das muss man sich nicht gefallen lassen: Was Reisende von den Airlines verlangen können, lesen Sie hier (T+)]

Es ist ein ärgerliches Zusammenspiel aus verschiedenen Personalengpässen, das Fliegen in diesem Sommer zum Glücksspiel macht. Den Airlines fehlt Personal, aber auch an den Flughäfen gibt es lange Wartezeiten bei den Sicherheitskontrollen und an Gepäckbändern.

Personal fehlt überall

An den deutschen Airports sind nach Angaben des Flughafenverbands ADV rund 20 Prozent der Stellen unbesetzt. In Europa gingen durch die Corona-Krise in der Luftfahrt 600.000 Arbeitsplätze verloren. Die Bodendienste sind am stärksten betroffen, erklärt der Industrieverband Air Transport Action Group. Viele Arbeitnehmer haben sich Alternativen zu den Jobs gesucht, die mit Schichtdienst verbunden sind und körperlich harte Arbeit etwa in der Gepäckabfertigung bedeuten. Nun sollen türkische Leiharbeiter den Schlamassel beenden.

Hätten die Airlines das wissen müssen?

„Das Flugchaos kommt nicht überraschend“, sagt Marija Linnhoff. „Die Airlines haben bereits im November gesehen, dass die Menschen buchen und fliegen wollen. Aber sie haben nicht genügend Kapazitäten aufgebaut. Das ist sträflich“, meint die Tourismusexpertin. Linnhoff gilt als Rebellin in der Reisebranche, die klare Worte nicht scheut. Das ist kein Wunder, denn oft müssen die Reisebüros die Pannen der anderen ausbügeln.

Aktuell gern gelesen bei Tagesspiegel Plus:

Linnhoff glaubt nicht an Zufälle. „Die Airline-Manager verkaufen Flüge, von denen sie wissen müssten, dass sie nicht stattfinden werden“, sagt die Verbandschefin. „Sie gehen davon aus, dass viele Menschen mürbe werden und auf ihre Entschädigungen verzichten, wenn die Airlines sie nur lange genug hinhalten.“ Eigentlich müssen die Fluggesellschaften für ausgefallene Flüge innerhalb von sieben Tagen zahlen. Doch einige Kunden warten noch heute auf ihre Entschädigungen aus der Corona-Pandemie.

Parken statt Fliegen: Die Lufthansa streicht über 3000 Flüge im Sommer.
Parken statt Fliegen: Die Lufthansa streicht über 3000 Flüge im Sommer.

© REUTERS/Kai Pfaffenbach

Um die langen Warteschlangen an der Sicherheitsschranke abzubauen, sieht Linnhoff Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Pflicht. Die Sicherheitsabfertigung ist eigentlich Aufgabe der Bundespolizei, die diese Arbeit aber an Private delegiert hat. „Wenn die Kontrollen durch Private nicht funktionieren, muss die Bundespolizei diese Aufgaben wieder übernehmen“, fordert Linnhoff.

Sind Pauschalurlauber besser dran?

Pauschalreisende müssen sich, anders als die reinen Flugpassagiere, nicht damit herumärgern, einen Ersatz für gestrichene Flüge zu finden. Das übernimmt der Reiseveranstalter für sie. Außerdem buchen die Reiseunternehmen gern Plätze in Chartermaschinen, die weniger anfällig für Stornierungen sind als Linienflüge, oder wie im Fall von Tui gleich in den eigenen Tuifly-Fliegern.

Dass sie nachträglich Preisaufschläge wegen der höheren Kerosinkosten zu zahlen haben, müssen Pauschalurlauber übrigens in den allermeisten Fällen nicht befürchten. Eine solche nachträgliche Preiserhöhung müsste in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgeschrieben sein. „Diese Klausel haben die meisten Reiseveranstalter in Deutschland gestrichen“, sagt DRV-Sprecher Schäfer.

Wer jetzt bucht, zahlt möglicherweise mehr

Anders sieht es für neue Angebote aus: Wenn Reiseveranstalter neue Reisen auflegen und Hotel- und Flugkontingente nachkaufen, könnten die Preise steigen. Tui-Sprecher Dünhaupt warnt davor, dass die im vergangenen Jahr zu vergleichsweise günstigen Preisen eingekauften Kontingente demnächst auslaufen. „Die Inflation durch gestiegene Energiekosten und Lebensmittelpreise wird auch bei der Reise nicht Halt machen - perspektivisch wird sich diese Entwicklung auch beim Reisen auswirken“, sagt Torsten Schäfer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false