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Zu viele Schadstoffe? VW muss nachrüsten. Vielen Kunden reicht das aber nicht, sie wollen mehr.

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Update

Volkswagen: VW-Chef Matthias Müller schließt Entschädigungen für deutsche Kunden aus

Konzernchef: keine US-Verhältnisse. Verbraucher müssen klagen. Passat-Nachrüstung kommt nicht in Gang. Jetzt soll der Golf in die Werkstätten.

Von amerikanischen Verhältnissen können deutsche VW-Kunden nur träumen, und das wird sich auch vorerst nicht ändern. Volkswagen-Chef Matthias Müller schließt für Deutschland und Europa Entschädigungen im gleichen Umfang wie in den USA aus. Es werde keine eins zu eins Übertragung der Lösung geben, die in den USA diskutiert werde, sagte Müller am Donnerstag in Wolfsburg. Während Volkswagen den geprellten Dieselkäufern in den USA Schadensersatz, den Rückkauf der Mogelautos und Reparaturen in Aussicht stellt, tut sich bei den Kunden auf dem Heimatmarkt bislang so gut wie nichts. Noch nicht einmal die vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) vorgeschriebene Reparatur der Dieselmodelle, die mehr Schadstoffe ausstoßen als erlaubt, kommt so richtig in Schwung. Zwar hat beim – vergleichsweise kleinen – Testfall, dem Pick-up Amarok, die Softwareumrüstung funktioniert, doch schon beim ersten großen Härtetest fliegt Volkswagen aus der Kurve. Trotz wochenlanger Vorbereitung schaffen es die VW-Ingenieure bisher nicht, die Vorgaben des KBA für den Passat punktgenau zu erfüllen. Statt des Familienautos aus dem Hause VW stehen nun die Audis A4, A5 und Q5 sowie der Seat Exeo in den Vertragswerkstätten, um die neue Software aufgespielt zu bekommen. Auch der Golf hängt den Passat ab. Nächste Woche kommt der Golf TDI Blue Motion mit Zwei-Liter-Motor zur Reparatur in die Werkstätten, wann der Passat dran sein wird, steht noch in den Sternen.

Konzernchef Müller: Probleme mit dem Passat
Konzernchef Müller: Probleme mit dem Passat

© REUTERS

Den Kunden, so versichert der Konzern, entsteht durch die Verzögerung kein Nachteil. Niemand müsse damit rechnen, dass die Betriebserlaubnis erlischt, weil das Auto später in die Werkstatt rollt. Die Uhr beginnt erst zu ticken, wenn der Halter offiziell aufgefordert wird, seinen Wagen in die Werkstatt zu bringen. Nur wenn er das nicht tut und auch auf weitere Aufforderungen nicht reagiert, kann es passieren, dass das Ordnungsamt die Plakette wegkratzt.

13 Minuten für das Software-Update

Doch so weit soll es nicht kommen. Volkswagen verspricht seinen Kunden, den Werkstattaufenthalt so angenehm zu gestalten wie möglich. Bei Bedarf soll es auch einen kostenlosen Leihwagen geben, während der eigene Diesel in der Werkstatt steht. Das klingt gut, dürfte praktisch aber kaum zum Tragen kommen. Nur ganze 13 Minuten dauert es, die neue Software aufzuspielen. Selbst die aufwendigere Nachrüstung der 1,6-Liter-Motoren, bei denen ein Strömungsgleichrichter eingebaut werden muss, soll weniger als eine Stunde in Anspruch nehmen, heißt es bei Volkswagen. Der Start dafür ist für den Spätsommer vorgesehen.

Egal ob ein Ersatzteil nötig ist oder das Abgasproblem über die Software reguliert werden kann, das Auto soll hinterher weder lauter sein, noch mehr Sprit verbrauchen oder an Leistung verlieren. Doch viele Kunden glauben das nicht. Sie befürchten, dass ihr Diesel als Folge des Skandals an Wert verliert und der Wiederverkaufswert sinkt. Juristen unterstützen sie darin und suchen nach Wegen, Volkswagen finanziell zur Verantwortung zu ziehen. Von sich aus bietet der Konzern nämlich bisher nichts, was über die Reparatur hinaus geht.

Klage gegen das Autohaus scheitert

In erster Instanz gescheitert ist der Versuch, über den Verkäufer zum Erfolg zu kommen. Anfang März war ein Uniprofessor mit seiner Klage gegen ein Bochumer VW-Autohaus gescheitert, den Kauf seines „Tiguan“ rückabzuwickeln. Nach Meinung des Landgerichts Bochum ist der Mangel des Autos nicht so erheblich, dass eine Rückabwicklung des Vertrags berechtigt ist. Dem Kunden sei zuzumuten, das Auto reparieren zu lassen, meint der Richter. Berufung ist eingelegt, doch ob sie Erfolg hat, ist zweifelhaft. „Die Händler können nichts für den Betrug“, sagt Christopher Rother.

Deshalb geht der Anwalt, der früher bei der Bahn die Kartellrechtssparte geleitet hatte, mit seinem US-Partner Michael Hausfeld einen anderen Weg: Er sammelt Kunden für eine große Schadensersatzklage gegen den Konzern. Betroffene können sich im Internet registrieren lassen und werden an den Finanzdienstler Financialright weitergeleitet. An den treten sie ihre Ansprüche ab. Das Hamburger Unternehmen klagt und beteiligt die Kunden bei Erfolg mit mindestens 65 Prozent am Schadensersatz. „Für die Gerichte, aber auch für die Verbraucher ist das eine enorme Vereinfachung“, wirbt Rother für diese Lösung.

2000 bis 3000 Euro sind drin

Klagen auf eigene Faust würden sich nicht lohnen. Rother schätzt, dass 2000 oder 3000 Euro Schadensersatz für jeden Kunden drin sein könnten. Ein Prozess wäre aber deutlich teurer. „Man braucht in jedem Fall ein Gutachten über den Wertverlust, und allein das kostet schon 20 000 bis 30 000 Euro“, gibt der Anwalt zu bedenken.

Dabei will Rother, der ein Büro in Berlin hat, eigentlich gar nicht vor Gericht, sondern strebt – wie in den USA üblich – eine außergerichtliche Einigung an. Doch dafür muss er Druck aufbauen. „Wenn nur 3000 Menschen mit Klage drohen, ist das etwas anderes, als wenn sich 50 000 oder 100 000 zusammenschließen“, sagt der Wettbewerbsexperte. „Je größer der Druck, desto eher ist VW bereit, über einen außergerichtlichen Vergleich und Schadensersatz für alle Geschädigten zu verhandeln.“ Auch die Konkurrenz kann sich schon mal warm anziehen. Sollte Daimler in den USA verklagt werden, will Rother Schadensersatzansprüche deutscher Daimler-Kunden prüfen.

Verbraucherschützer fordern Musterklagen

Verglichen mit den US-Kunden seien deutsche Verbraucher „Kunden zweiter Klasse“ ärgert sich Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Er will zwar keine Sammelklagen wie in den USA, setzt sich aber für Musterklagen ein. Das Prinzip: Einer klagt, und das Urteil gilt für alle Betroffenen. Für Aktionärsklagen gibt es das schon heute, die Länderverbraucherminister und der VZBV fordern, ein solches Instrument auch für Verbraucherstreitigkeiten einzurichten. Zuständig dafür ist das Bundesjustizministerium. Dort wird über eine solche Reform schon seit längerem nachgedacht, doch mit einer schnellen Lösung ist wohl nicht zu rechnen. Man sei innerhalb der Bundesregierung in Gesprächen, Einzelheiten stünden aber noch nicht fest, heißt es auf Anfrage. Und: Für die VW-Kunden käme die Reform wohl zu spät. „Eine Rückwirkung gäbe es nicht, selbst wenn der Bundestag das noch in dieser Legislaturperiode beschließt“, dämpft Müller die Hoffnungen deutscher VW-Besitzer.

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