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Wirtschaft: Vom Bauarbeiter zum Bachelor

Das Studium nach der Berufsausbildung soll leichter werden – auch ohne Abitur

Das wird ein langer Abend: Manuela Schablack will noch einmal alle Fußnoten und Querverweise in ihrer Studienarbeit prüfen und „gucken, ob alles Hand und Fuß hat“. Denn die Arbeit über „Stakeholder Management“ für ihren Bachelor in Betriebswirtschaft soll zwei Tage später gedruckt werden. Bald wird Manuela Schablack einen Uni-Abschluss haben – obwohl die 33-Jährige nie Abitur gemacht hat. Sie studiert berufsbegleitend, während sie bei Siemens als Projektkauffrau im Vertrieb arbeitet. Sechseinhalb Stunden hat sie gerade im Büro gesessen. Das Studium ist erst an der Reihe, wenn ihr dreijähriger Sohn schläft.

„Stakeholder sind alle, die irgendwie an einem Projekt beteiligt sind“, erklärt Schablack. Solches Wissen kann sie im Arbeitsalltag gebrauchen: „Vorher habe ich bestimmte Prozesse einfach mitgemacht. Nun hinterfrage ich Dinge, kenne Hintergründe und bin präziser und gewissenhafter.“ Auch die Seminare in Wirtschaftsrecht hätten ihr weitergeholfen.

Ein Vollzeitstudium wäre nicht infrage gekommen. „Man will einen gewissen Lebensstandard nicht missen.“ In ihrem Studium gab es nur in den ersten zwei Jahren Präsenztermine – alle sechs Wochen. Der größte Teil fand zu Hause statt. Mit 19 Jahren hatte Schablack ihre Ausbildung zur Industriekauffrau beendet, seit zehn Jahren ist sie bei Siemens. Mit 30, als sie gerade Mutter geworden war, erfuhr sie vom Studium ohne Abi an der Steinbeis-Hochschule. „Da dachte ich: Jetzt oder nie. Schließlich war das schon lange mein Wunsch.“ Auch, um später besser zu verdienen und ihrem Kind „mehr bieten“ zu können. Ihr Chef sei begeistert gewesen: „Er hat mich ermuntert, mich in der Firma weiterzuentwickeln.“ Laut Ausbildungsleiter Norbert Giesen will Siemens für Bachelor-Absolventen nun auch Masterstudiengänge anbieten und Elektrotechniker in die berufsbegleitende Hochschulbildung einbeziehen.

Bei Sven Wusowski war es ganz anders: „Chef, ick hau ab“, hat der Energieelektroniker eines Tages gesagt. Damals war er Kabelmonteur auf dem Bau. „Der Chef fand’s nicht so schön“, sagt der 27-Jährige, der gerade das dritte Semester Elektrotechnik an der Beuth-Hochschule für Technik beendet. Er hatte nur die Hauptschule besucht. Seine Abschlussnote von 1,4 war aber so gut, dass er einen Realschulabschluss bekam. Die TU lehnte Wusowskis Bewerbung jedoch ab. Nun macht er den Bachelor und strebt den Master an, um dann zum Beispiel Windkraftanlagen zu planen. Derzeit lebt er von Bafög. „Das ist zwar viel weniger Geld als vorher, aber daran gewöhnt man sich.“

Damit es mehr solcher Erfolgsgeschichten gibt, hat der Senat soeben eine Novelle des Hochschulgesetzes beschlossen, die im Mai vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll. Noch gibt es beim Studium mit Realschulabschluss viele Hürden und Voraussetzungen. Dazu zählen ein Meistertitel oder eine abgeschlossene Berufsausbildung und vier Jahre Berufserfahrung. Außerdem stehen Interessenten nur bestimmte Studiengänge offen, die zur vorherigen Ausbildung passen. Und es liegt im Ermessen der Hochschulen, wen sie zulassen. Endgültig immatrikuliert werden die Hochschüler erst nach zwei bis vier Semestern Probestudium.

Künftig soll es ein „Zugangsrecht“ geben und die Probezeit entfallen. Darüber hinaus werden Bewerber, die bestimmte Qualifikationen vorweisen können, nach der Gesetzesänderung jeden Studiengang belegen können. Für andere Fälle soll es auch das fachgebundene Studium weiterhin geben. Hier wird aber nur noch eine zweijährige Berufsausbildung und dreijährige Praxiserfahrung verlangt.

Den Kammern geht dies noch nicht weit genug. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels „müssen die Bildungswege vollständig durchlässig werden“, fordert Christoph von Knobelsdorff, Geschäftsführer für Aus- und Weiterbildung bei der IHK Berlin. Der Senat bleibe „weiter hinter den Möglichkeiten zurück“. Das fachgebundene Studium gehöre komplett abgeschafft. Außerdem mangele es an berufsbegleitenden Teilzeitstudiengängen und dem „E-Learning“, das den Fernzugriff auf Vorlesungsinhalte ermögliche. Generell könne die Weiterbildung per Studium die Karrierechancen stark erhöhen: „Manche Unternehmen vergeben Führungsposten nur an Akademiker.“

Für Handwerksmeister seien berufsbegleitende Studiengänge besonders wichtig, sagt Ulrich Wiegand, Geschäftsführer der Handwerkskammer. „Unsere Meister sind ja in der Regel selbstständig und nicht angestellt.“ Noch gebe es an den Unis leider „so gut wie keine Anrechnungskultur“ für erworbene berufliche Qualifikationen. Im Studium machen Absolventen ohne Abi jedenfalls oft eine gute Figur: „Sie sind besonders motiviert“, lobt eine Sprecherin der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Man habe die Quote der reservierten Plätze daher von fünf auf zehn Prozent erhöht. Besonders gefragt sind Bauingenieurwesen, Maschinenbau, Elektro- und Fahrzeugtechnik und Betriebswirtschaft.

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