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Wirtschaft: Vom Chemie-Wrack zum modernen Großunternehmen

Als Dow Chemicals 1995 einen Komplex zerfallener Chemieanlagen in Ostdeutschland übernahm, erhielt das Unternehmen ein Gebiet als Mitgift, das im wirtschaftlichen Notstand war. Der 840 Hektar große Komplex, 200 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen, wurde nach massiver Bombardierung im Zweiten Weltkrieg nur oberflächlich wieder instand gesetzt.

Als Dow Chemicals 1995 einen Komplex zerfallener Chemieanlagen in Ostdeutschland übernahm, erhielt das Unternehmen ein Gebiet als Mitgift, das im wirtschaftlichen Notstand war. Der 840 Hektar große Komplex, 200 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen, wurde nach massiver Bombardierung im Zweiten Weltkrieg nur oberflächlich wieder instand gesetzt. Die antiquierten Maschinen waren ständig defekt und Sicherheits- und Umweltbestimmungen wurden extrem lax gehandhabt: In der sogenannten "Glitzerhalle" waren die Wände mit giftigem Quecksilber überzogen. Überdies war die Belegschaft während der kommunistischen Ära nie mit marktwirtschaftlichen Methoden der Betriebsführung in Berührung gekommen.

Deutsche Chemieriesen wie BASF, Bayer oder Hoechst hatten sich zuvor mit gerümpften Nasen abgewendet. Aber Dow, auf der Suche nach einer Produktionsstätte nahe des wachsenden osteuropäischen Marktes, war überzeugt, das Werk wieder flottmachen zu können. So gesehen sollte die Umgestaltung der Buna Sow Leuna Olefinverbund GmbH (BSL), wie das Unternehmen mittlerweile heißt, das ehrgeizigste petrochemische Projekt aller Zeiten werden, und damit verbunden der umfassendste Transfer eines ehemals kommunistischen Großunternehmens in ein modernes Werk westlicher Prägung.

Die deutsche Regierung legte besonderen Ehrgeiz in die Privatisierung des Chemiekomplexes, um diesen für die Region wichtigen Industriezweig zu erhalten. Daher erhielt Dow 80 Prozent der BSL-Anteile als Gegenleistung für Investitionen in Höhe von 500 bis 750 Millionen Dollar. Die Bundesrepublik behielt ihrerseits die restlichen 20 Prozent und stellte dafür 4,3 Milliarden Dollar für Aufräum-, Abriss- und Wiederaufbauarbeiten zur Verfügung. Der Haken: Dow bekam lediglich fünf Jahre Zeit, das Unternehmen umzukrempeln. Bei Erfolg bis zum 1. Juli 2000 würde BSL für ein Viertel der Aufbaukosten in den alleinigen Besitz von Dow übergehen. Würde die gesetzte Frist allerdings nicht eingehalten, würden die Subventionen gestrichen - was für Dow Verluste in Millionenhöhe bedeuten könnte.

Seit 1995 hat sich einiges getan. Dow hat bereits 14 neue Anlagen gebaut, mehr als 2300 Gebäude und Fabrikanlagen abgerissen, Giftmüll mehrerer Jahrzehnte entsorgt und 90 Kilometer Straßen, Pipelines, Kanäle und Bahnstrecke erneuert. Die größte Herausforderung waren indes die BSL-Angestellten. Während die Arbeitnehmervertreter von BSL etwa 5000 der 6000 Stellen sichern wollten, hatte Dow die Übernahme von lediglich 1800 Arbeitern geplant. Man einigte sich schließlich auf den Erhalt von 2200 Stellen und darauf, im Anschluss weitere 800 zu schaffen. Die verbleibenden Arbeiter mussten sich nicht nur mit der veränderten Betriebsführung und moderner Technologie vertraut machen, sondern sich auch an die Sprache der neuen Bosse gewöhnen - Englisch.

Bei den Entlassungen setzte Bart Groot, der von Dow eingesetzte Generaldirektor, die Prioritäten:"Wir wollen niemanden auf Grund seines Alters oder seines sozialen Status diskriminieren. Wichtig ist, dass die Angestellten die notwendigen Fähigkeiten mitbringen." Groot rechnete damit, dass die neue Firmenstrategie ein Schock für viele war. Denn zu DDR-Zeiten sorgte BSL für medizinische und weitere Versorgung und war Mittelpunkt des sozialen Lebens der Beschäftigten. Als Andre Strijdonck bei BSL eingestellt wurde, um die Forschungsabteilung neu zu organisieren, musste er aus 500 Mitarbeitern die 150 versiertesten zwecks Weiterbeschäftigung ausfindig zu machen. Aber er stellt schnell fest, dass die BSL-Arbeiter - eingeschüchtert durch jahrelange Präsenz der Stasi im Werk - freie Meinungsäußerungen vermieden, insbesondere in Gegenwart eines Vorgesetzten. Das neue Management im amerikanischen Stil war völliges Neuland für sie.

Die äußeren Bedingungen, die Dow vorfand, waren schockierend. Es war von Anfang an klar, dass ein Großteil des BSL-Komplexes eingeebnet werden müßte. Aber Groot fand schnell heraus, dass er den Umfang der Abriss-, Aufräum- und Aufbauprojekte unterschätzt hatte. Da Dow nicht alleiniger Eigner von BSL war, konnte Groot viele Entscheidungen ohne vorherige Absprache mit der Unternehmens-Zentrale in Michigan treffen. Und auch die dringenden Privatisierungspläne der deutschen Regierung waren insofern förderlich, als Sondergenehmigungen schnell erteilt wurden.

Mitte 1997 fürchtete Dow trotz guter Fortschritte, nicht fristgerecht fertig werden zu können. Gerade das größte Projekt, die Modernisierung einer Ethylenproduktionsanlage, kam nur langsam voran. Verzögerungen waren nicht nur auf technische Probleme zurückzuführen, sondern auch darauf, dass "wir die Fähigkeit der Arbeiter unterschätzt haben, überflüssige Arbeiten zu verrichten", erklärt Bauleiter Manfred Aumann.

Mittlerweile legt sich der Staub langsam. Dow, das die Fünfjahresfrist für die Instandsetzung von BSL offiziell eingehalten hat, wird am 1. Juli die volle Kontrolle über das Unternehmen erhalten. Auf dem Komplex in Schkopau stehen nur noch weniger als zehn Prozent der ursprünglichen Anlagen, der Großteil ist jetzt Grünland. Die neuen Anlagen produzieren Ausgangsstoffe für Plastik- und Kunststoffprodukte.

Unterm Strich, sagt Dow, hat die deutsche Regierung etwa 250 Millionen Dollar weniger als geplant ausgegeben, während Dow zwischen 100 und 200 Millionen Dollar mehr für das Projekt ausgeben musste. Wall Street Analysten schätzen, dass sich die Einnahmen von BSL auf etwa zwei Milliarden Dollar belaufen werden, und dass das Unternehmen mehr als einen Dollar pro Aktie an Gewinn für Dow bringen wird, wenn die chemische Industrie ihren nächsten zyklischen Höhepunkt erreicht. Und das soll im Jahre 2003 der Fall sein.Die Artikel wurden übersetzt und gekürzt von Meira Meyer (NRW-Wahl), Kristina Green (NS-Entschädigungsfonds), Birte Heitmann (Schkopau) und Svenja Weidenfeld (US-Preise).

Susan Warren

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