zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Vom Netz nehmen

Der Volkswagen-Konzern strukturiert den Vertrieb um – in Berlin verschwinden kleine Autohändler

Berlin - Kann das Zufall sein? Am 30. April machen zwei Vertreter der Volkswagen AG den Verantwortlichen des Kreuzberger Autohauses Mehner ein Angebot: 300 000 Euro, damit das Haus dichtmacht. Karin Moresco, die Inhaberin von Mehner, lehnt ab. Und bekommt ein paar Tage später Post. Am 4. Mai schreibt die Volkswagen Bank, „unser Haus hat entschieden, die Einkaufsfinanzierung (...) nicht weiter zu begleiten“. Nun muss der mittelständische Händler bis Ende Juli 1,2 Millionen Euro zurückzahlen. „Das Geld steckt in den Autos“, sagt Norbert Moresco. Mit „Notverkäufen“ versuche man nun, die Mittel zusammenzukratzen. Die Strategie von VW liegt für ihn auf der Hand. „Alle eigenständigen Händler sollen durch die Kreditkündigung aus dem Netz entfernt werden.“

Volkswagen, größter Autohersteller Europas, betreibt 16 Händlerbetriebe in Berlin. Dazu kommen rund ein Dutzend weiterer Autohäuser, die VW oder VW-Marken wie Audi, Skoda oder Seat verkaufen. Der Konzern hat in jüngster Zeit zwei Autohäuser von der insolventen Kroymans- Gruppe übernommen (in Spandau und Tempelhof) sowie ein großes Haus von Auto-Weller in Charlottenburg. Doch zusätzliche Kapazitäten sollen kaum entstehen. Zumindest bei den Kroymans-Häusern legt der Konzern wert auf die Feststellung, dass „bei beiden neuen Immobilien lediglich ein bereits bestehender Betrieb verlagert wird“. Moresco glaubt das nicht. Ihm zufolge wurden inzwischen sogar „weiteren acht Berliner VW-Händlerbetrieben die Kredite gekündigt, nachdem diese die Abfindungsangebote abgelehnt hatten“. 300 bis 400 Arbeitsplätze stünden insgesamt in Berlin auf dem Spiel.

Die Volkswagen Bank weist die Angaben zurück, „die genannte Zahl an Kündigungen können wir nicht nachvollziehen“. Angaben zum Fall Mehner seien wegen des Bankgeheimnisses nicht möglich. Doch Veränderungen im Händlernetz werden eingeräumt, dabei setze man „auf individuelle, mit den betroffenen Partnern einvernehmlich herbeizuführende Lösungen“, sagte VW-Vertriebsprecher Enrico Beltz in Wolfsburg.

Alles in allem liege die Zahl der VW- Händler und Werkstätten in Deutschland seit einigen Jahren konstant bei rund 2500 Betrieben. Weil die Händlerrendite aber permanent schrumpfe, „strukturiert Volkswagen den Vertrieb in Deutschland um und ist dazu bereits seit einiger Zeit in Gesprächen mit Händlern“. So auch mit dem Berliner Autohaus Möbus in Weißensee. „Wir haben Stillschweigen vereinbart“, heißt es bei dem 250-Mitarbeiter-Betrieb. Bei Auto Thiele aus Charlottenburg gab es das Gespräch bereits im vergangenen Oktober. Vier Herren von VW wollten mit Gabriele Thiele über ihre „Marktleistung“ sprechen. Die VWler boten eine Abfindung an, „ich habe dankend abgelehnt“, sagt Thiele. Seitdem hat sie nichts mehr gehört. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Thiele nur noch eine Werkstatt mit 15 Beschäftigten betreibt. Der Händlervertrag wurde bereits vor gut sechs Jahren aufgelöst.

Und was wird aus Auto Mehner? Am 18. Mai schrieb Karin Moresco zurück an die VW Bank, betonte, dass „wir umfänglich unsere Pflichten aus dem Händlervertrag erfüllen“, und forderte die Rücknahme der Kündigung. Denn wenn die Bank bei der Kündigung der Kreditlinie bleibe, sei das „existenzgefährdend oder gar existenzvernichtend“. Moresco sprach von „Rechtsmissbrauch einer formalen Rechtsposition, wenn Sie uns bei Fortbestand des Händlervertrages sowohl die gewährte Kreditlinie kürzen als auch die verbliebene Kreditlinie kündigen“. Schließlich sei eine „rechtmissbräuchliche Kündigung unwirksam.“

Die Antwort der Volkswagen Bank: „Wir können Ihren Ausführungen nicht folgen.“ Und im Übrigen zweifelten die Banker an der Zukunftsfähigkeit des Kreuzberger Händlers. In den kommenden Jahren sei bei Auto Mehner keine Eigenkapitalquote „von mindestens zehn Prozent der Bilanzsumme“ zu erwarten. „Eine Sanierung hätte längst abgeschlossen sein müssen“, schreiben die Banker. „Wir sind im schwarzen Bereich“, sagt dazu Norbert Moresco. Und die Steuerberatungsgesellschaft des Autohauses habe Anfang Juni der Volkswagen Bank nachgewiesen, „dass unsere Eigenkapitalquote rund 25 Prozent beträgt“.

Dazu heißt es wiederum bei der VW Bank, die Eigenkapitalquote sei „kein Ausschließlichkeitskriterium für die Beurteilung eines Händlerpartners“; wichtig seien ferner „Rentabilität oder Sicherheitenstellung“. Falls das Autohaus nicht bis Ende Juli die Kredite zurückzahle, würden die Ansprüche der Bank „gerichtlich geltend gemacht, wie dies auch bei anderen Banken Praxis ist“. Einen besonderen Schutz aufgrund des Händlervertrags gibt es nicht. Das 50 Jahre alte Autohaus Mehner steht also vor der Schließung.

„Der Trend ist klar erkennbar, VW will die Strategie der eigenen Betriebe oder Niederlassungen durchsetzen“, sagt Karin Moresco. Dazu müssten dann eben kleinere Betriebe „vom Netz genommen werden“, so der Branchenjargon. Das kleine Kreuzberger Autohaus sucht nun sein Heil in Brüssel. Bei der EU-Kommission hat Auto Mehner eine Beschwerde eingereicht, dass VW „klar und eindeutig gegen die Wettbewerbsrichtlinien, das Kartellgesetz sowie gegen die von der EU beschlossene GVO verstößt“. Alles in allem „ein Missbrauch der wirtschaftlichen Macht durch die Volkswagen AG“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false