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Wirtschaft: Vom Pech verfolgt

Klaus Zwickel hat zu spät einen Modernisierungskurs eingeschlagen /Seit zehn Jahren an der Spitze der IG Metall

DIE NIEDERLAGE DER IG METALL

Das Mitleid des Gegners ist nicht gespielt. „Der Zwickel ist ein armer Sack“, äußerte in diesen Tagen ein Funktionär des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Verständnis für den Klassenfeind. Klaus Zwickel ist seit zehn Jahren an der Spitze der IG Metall, weil Vorgänger Franz Steinkühler etwas zu leichtfertig Aktiengeschäfte getätigt hatte und zurücktreten musste. Im kommenden Oktober geht Zwickel in den Ruhestand. Endlich, wird er wohl sagen, denn die letzen Monate knallt und kracht es an allen Ecken der 2,6 Millionen Mitglieder großen Gewerkschaft. Und der Erste Vorsitzende sieht mit Kummer, wie die Spannungen in seiner Organisation zunehmen. Linke gegen Rechte, Modernisierer gegen Traditionalisten, Sozialreformer gegen Strukturkonservative – die IG Metall weiß nach zehn Jahren Zwickel nicht, wo sie lang will. Und das liegt auch an Klaus Zwickel, der in seinem letzten Jahr einen Rückschlag nach dem anderen einstecken musste. Die Niederlage im Kampf um die 35-Stunden-Woche ist die schwerste Schlappe für die IG Metall nach 1954, als ein Tarifkonflikt in Bayern verloren ging.

„Die Ära Zwickel ist beendet“, freute sich ein Spitzenfunktionär der Gewerkschaft am Abend des 9. April in Dresden. Wenige Stunden zuvor hatte der 40-köpfige Vorstand der Gewerkschaft Jürgen Peters als Zwickel-Nachfolger nominiert. Der Verlierer des Abends hieß Berthold Huber. Der Stuttgarter Bezirksleiter der IG Metall, Zwickels Kandidat und hoher Favorit, hatte wider Erwarten nicht die Mehrheit bekommen. Nach einer Pattsituation – 20 Vorstandsmitglieder stimmten für Huber, 20 für Peters – löste Zwickel die schwierige Situation, indem er Peters als Ersten und Huber als Zweiten Vorsitzenden vorschlug. Huber ließ sich in die Pflicht nehmen, und der Vorstand folgte dem Vorschlag. Der Huber-Fraktion blieb nur noch eine Hoffnung: Die Betonköpfe Peters und Düvel gehen mit „ihrem“ Streik für die 35-Stunden-Woche baden; Peters hätte sich für den Führungsposten disqualifiziert.

Am vergangenen Montag trafen sich rund 100 Betriebsratsvorsitzende aus der Autoindustrie in einem Hotel in Frankfurt (Main). Der Vorstand der IG Metall hatte eingeladen, um die Gefechtslage im ostdeutschen Arbeitskampf zu diskutieren. Mit Vertretern aus der Autoindustrie deshalb, weil das der stärkste deutsche Wirtschaftszweig ist, weil in den Autofirmen die IG Metall die meisten Mitglieder hat und weil diese Branche am schwersten vom Streik betroffen ist. Die Sitzung war turbulent. „So was hat es in der IG Metall noch nicht gegeben“, staunte ein Teilnehmer. Streikführer Düvel und Peters wurden vor allem von den Betriebsratsbossen aus Hessen und Baden-Württemberg verdroschen. Als „Naivlinge“ und „tarifpolitische Geisterfahrer“ mussten sich die Oststrategen titulieren lassen. Nur mit Mühe brachte die Versammlung eine Solidaritätserklärung für die Streikenden im Osten zustande. Als die desolate Situation zu eskalieren drohte, schlug die Stunde des Vorsitzenden. Mit der ganzen Autorität des Amtes donnerte Zwickel seinen Leuten ins Gewissen. „Jeder Satz ein Hammerschlag“, erinnert sich ein Teilnehmer. Zwickel brachte die Truppe wieder auf Linie – für ein paar Tage.

Und er brachte die IG Metall zurück ins Spiel um eine Verhandlungslösung im Osten. Zwickel verkündete frühzeitig, dass der Streik im strategisch wichtigen ZF Getriebewerk in Brandenburg (Havel) ab vergangenem Donnerstag ausgesetzt wurde. Das war die Bedingung der Arbeitgeber für die Wiederaufnahme der Verhandlungen, die Zwickel dann selbst mit Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser begann. Der IG-Metall-Chef wollte seine Gewerkschaft möglichst schadlos aus diesem verheerenden Konflikt herausbugsieren. Aus einem Arbeitskampf um ein Ziel, von dem er selbst nicht überzeugt war. Noch im vergangenen Oktober konstatierte der Obermetaller, „generelle Arbeitszeitverkürzungen“ hätten in absehbarer Zeit „keine tarifpolitische Priorität“. Vielmehr sollte sich die Gewerkschaft auf „Fragen der Arbeitszeitgestaltung“ konzentrieren. Doch Peters und Düvel kündigten die Tarifverträge über die Arbeitszeit im Osten und machten für den Streik mobil.

Auch in der sozialpolitischen Debatte ging Zwickel unter. Erst blieb der Protest gegen die Agenda 2010 auf erbärmlichem Niveau. „Wir müssen selbstkritisch feststellen, dass wir Hunderttausende nicht erreicht haben“, konstatierte Zwickel und schlussfolgerte: Die IG Metall müsse sich damit beschäftigen, „warum die Agenda einen größeren Zuspruch in der Bevölkerung hat als die Kritik an ihr“. Und er ging noch weiter, indem er den Zweifel äußerte, „ob wir diejenigen, die wir mit unserem Handeln erreichen wollen, überhaupt noch erreichen“. Die Zukunft der IG Metall, so der Vorsitzende auf einem Zukunftskongress der Gewerkschaft vor zwei Wochen in Berlin, liege „in der Mitte“, weil da auch die meisten Arbeitnehmer stünden.

Ein paar Tage später diskutierte der IG-Metall-Vorstand Zwickels Thesen und dessen Bereitschaft, wieder „auf die Politik zuzugehen“. Und wieder konnte er sich nicht durchsetzen. Zwar war sich die Runde darin einig, dass ein weiterer Protestversuch gegen die Agenda 2010 zwecklos sei. Doch Zwickels Vorschlag, alte Positionen insbesondere in der Gesundheitspolitik zu räumen und auf die Regierung zuzugehen, fand keine Mehrheit. Zwickel wollte sich wieder ins Geschäft mit dem Kanzler bringen, mit dem er bei der Rentenreform noch so prächtig letzte Abstimmungen vorgenommen hatte. Das ist ein paar Jahre her. Auch das Bündnis für Arbeit, eine Erfindung Zwickels, ist inzwischen beerdigt. Die IG Metall ist unterwegs zu einer Interessenorganisation, die Tarifpolitik macht. Sonst nichts. Zwickels Ansatz war anders. Doch das Pech klebte ihm zuletzt an den Fingern. Zwickel ist durchaus in der Lage, flexibel auf veränderte Umstände zu reagieren und Weichen neu zu stellen. Dass er die eigene Nachfolge nicht in seinem Sinne regeln konnte, ist seine größte Niederlage. Aber vielleicht hilft die Niederlage im Osten, Peters doch noch zu verhindern.

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