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Wirtschaft: Von Mao zu Locke

China gilt nicht gerade als Rechtsstaat. Das Parlament des Landes hat im Wesentlichen die Aufgabe, Gesetze abzunicken.

China gilt nicht gerade als Rechtsstaat. Das Parlament des Landes hat im Wesentlichen die Aufgabe, Gesetze abzunicken. Doch jetzt stehen im Nationalen Volkskongress zwei Verfassungsänderungen zur Debatte, die vielleicht den Kern einer philosophischen Revolution in sich tragen. Eine soll den Schutz der Menschenrechte garantieren, die andere den Schutz des Privateigentums. Schon die erste Änderung verdient Beachtung. Aber es ist die zweite, die eine Reihe von Gesetzen nach sich ziehen könnte, die China eines Tages zu einem Rechtsstaat machen. Natürlich: Es wäre naiv, von der Debatte, die tatsächlich eher symbolischer Natur ist, von heute auf morgen einen Wandel zu erwarten. Doch es wäre noch kurzsichtiger, die Bedeutung dessen zu verkennen, was in China passiert. Ein von der Kommunistischen Partei geführter Staat bringt die revolutionäre Idee der Unverletzlichkeit des Privateigentums zu Papier. Das Recht, Privateigentum zu besitzen, gilt spätestens seit 1690, als der englische Philosoph John Locke seine „Abhandlung über die Regierung“ schrieb, als die Mutter aller anderen Rechte. China verdankt seinen jetzigen Wohlstand dem Privateigentum. Dennoch gibt es immer noch Hardliner, die es eher mit Lockes Vorgänger Thomas Hobbes halten und glauben, nur ein starker Staat könne Chaos verhindern. Anlass zur Hoffnung gibt aber die Tatsache, dass der Staat den Schutz des Privateigentums nicht aus Altruismus, sondern aus schierer Notwendigkeit stärken will. Die chinesische Wirtschaft hat im vergangenen Jahr um 9,1 Prozent zugelegt, vor allem dank eines Booms im privaten Sektor. Dieser Boom könnte platzen, wenn die Investitionen ausbleiben. Der Staat muss die Bürger also überzeugen, dass die Früchte ihrer Arbeit nicht zum Subjekt staatlicher Launen werden, wenn er will, dass sie weiter investieren. Der Druck für eine Verfassungsänderung kommt von den Chinesen selbst, die es leid sind, dass die Mächtigen sich ihr Hab und Gut aneignen. Was man in China beobachten kann, könnte eine moderne Entwicklung sein, ähnlich wie die im Westen in der Zeit von Hobbes und Locke. Natürlich muss die Verfassung erst einmal umgesetzt werden. Aber der Samen, der jetzt bei den Debatten des Volkskongresses gesät wird, könnte bald schon Früchte tragen.

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