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Weggelobt. Mitte Oktober kündigte die Bertelsmann AG an, dass der Vorstandsvorsitzende Hartmut Ostrowski (rechts) in den Aufsichtsrat wechselt und der bisherige Finanzvorstand Thomas Rabe sein Nachfolger wird. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Vor der Zeit ausgewechselt

Die globale Finanzkrise ist in den Führungsetagen angekommen. Immer mehr Vorstände scheitern an einer zu komplexen Konzernwelt und nervösen Aufsichtsgremien.

Sie haben nie zusammengearbeitet, aber sie erzählen die gleiche Geschichte. Drei Manager, die ganz oben waren, angekommen in den Vorständen von Telekom, Siemens und einem großen Energieversorger. Es ist eine Geschichte über den Alltag in Konzernvorständen – und wie dieser sich so verdichtete, dass er zu dicht wurde, um ihn zu durchdringen.

Gerhard Eick war Finanzvorstand der Deutschen Telekom, wurde dann an die Spitze von Karstadt berufen, um dort die Insolvenz zu verhindern. „Wir kämpfen bis zur letzten Minute“, nimmt Eick sich dort vor – und diesen Satz wörtlich. Er kämpft, bis der Tag keine letzte freie Minute mehr hat. Am Tag arbeitet er an einer Zukunft Arcandors, in der Nacht an einer Planinsolvenz. „Wir haben vier Stunden geschlafen und uns am nächsten Morgen wieder getroffen“, sagt Eick.

Auch die Geschichte von Peter Grassmann beginnt mit schleichender Überforderung. Er war im Siemens-Vorstand tätig. „Es konnte vorkommen, dass ich im Kalender gemerkt habe, dass die erste freie Stunde erst in zwei Monaten ist“, sagt er.

Mit dieser Feststellung endet auch die Karriere von Rolf Gärtner, der eigentlich anders heißt. Gärtner war Finanzvorstand eines großen Energiekonzerns. „Du kriegst von Kollegen um 23.15 Uhr eine dicke Präsentation zugeschickt, die du um neun Uhr am nächsten Tag gelesen haben musst. Jeder, der da nicht mitmacht, ist der Depp“, sagt er.

Bisher plagte Konzernchefs eher ein quantitatives Problem: Wie viel Aufgaben bekomme ich in wie viel Zeit gepresst? Jetzt gesellt sich ein qualitatives hinzu: Wie positioniert sich ein Konzern in einer Zeit, die durch eine Ballung von Megathemen geprägt ist: Eurokrise, Bankenkrise, Klimakrise, Demografiekrise.

Mit dem Aufkommen dieses qualitativen Problems aber hat sich das quantitative nicht verabschiedet. Daran, beide zu lösen, scheiterten noch nie so viele Konzernlenker wie in diesem Herbst. Erst lobten die Aktionäre Beiersdorf-Chef Thomas Quaas vom Vorstandsvorsitz in den Aufsichtsrat, wenig später passierte Hartmut Ostrowski bei Bertelsmann das Gleiche. Und Eckhard Cordes kündigte als Vorstandschef des Handelskonzerns Metro.

Die meisten von ihnen sprechen nicht öffentlich darüber. Aber im Verborgenen wollen sich einige ihre Sicht der Dinge von der Seele reden. Wer mit ihnen und den Beratern und Helfern spricht, die die Chefs umgeben, der bekommt einen Blick in die Vorstandsetagen. Es ist ein Blick, der eins zeigt: Das Konstrukt Konzern ist zu komplex, um es von einsamen Helden führen zu lassen. Die Fälle Cordes, Ostrowski und Quaas mögen unterschiedliche Hintergründe haben – aber auch Gemeinsamkeiten: Die Verdichtung des Arbeitspensums hat dazu beigetragen, dass Nervosität und Kurzatmigkeit in den Konzernen und ihren Gremien Weitsicht und Gelassenheit überlagern.

Rolf Gärtner galt im Vorstand seines Konzerns als Aspirant auf die Nachfolge des Vorstandschefs. Dennoch kündigte er freiwillig: „Dieses System halten Sie nicht aus“, sagt Gärtner. „Es geht nur darum, den Eindruck zu erwecken, 24 Stunden am Tag im Dienst zu sein – früher reichte tatsächlich der Eindruck; mit Blackberry und Co. lässt sich das dagegen heute kontrollieren.“ Und alle machen mit: „Jeder weiß, dass das absurd ist, aber jeder macht mit, wenn das so vorgelebt wird.“

Es gibt eine Reihe jüngerer Studien aus den Vorstandsetagen der Großkonzerne. Ergebnis: Nur noch 60 Prozent seiner Zeit, hat eine Studie der HHL Leipzig ergeben, verbringt ein Vorstandschef physisch im eigenen Unternehmen, nur 30 Prozent der Arbeitszeit von durchschnittlich mehr als 70 Wochenstunden kann er inhaltlich arbeiten. Der Rest geht für Repräsentieren und Posten sichern drauf.

Eckhard Cordes etwa, der gescheiterte Metro-Chef, musste nicht nur ständig neue Strategien für ein Kaufhaus, einen Großhändler, einen Supermarkt und zwei Elektronikmarktbetreiber ersinnen, er musste das auch in 33 Ländern gleichzeitig, dabei gut 280 000 Mitarbeiter bei Laune halten, 20 Aufsichtsräte und drei Großaktionäre. Die Medien, die Kunden.

Die Chefs versäumen oft, Grenzen zu setzen. Henkel-Chef Kasper Rorsted etwa hat sich darum samstags ein E-Mail-Verbot verordnet, zwischen Weihnachten und Silvester gilt das für den ganzen Vorstand. Nur so bleibt wenigstens im Konzern Zeit zum Atmen, wenn schon die Außenwelt so hektisch ist.

Peter Grassmann, der nach seiner Zeit bei Siemens saß Chef von Carl Zeiss war sagt: „Konzernlenker sind getrieben von der Peitsche der Analysten.“ Langfristigkeit gebe es in der Finanzanalyse nicht mehr. Und damit auch nicht mehr in Firmen, die ständig Geld am Finanzmarkt brauchen. Um zu investieren, zu performen, zu wachsen. Jede noch so kleine Nachricht oder Gerücht kann Millionen von Euro vernichten – in Sekunden.

Das Konstrukt Konzern entfremdet sich von der Spezies Mensch. Lange Jahre galt so ein Vorstandssitz als feine Sache: Hatte man ihn einmal, hatte man ihn immer. Heute gilt das nur noch in Hannover. Dort, beim Dax-Konzern Tui, regiert Michael Frenzel im zweiten Jahrzehnt vor sich hin. Eine erkennbare Strategie hat er nicht, tolle Zahlen auch nicht. Dafür hat er das beste Sitzfleisch im Dax entwickelt. Aber er ist eine Ausnahme, auch weil seine Eigentümer-Struktur so zersplittert ist, dass es keine Mehrheit gegen ihn gibt.

Frenzels Kollegen halten nur noch 4,7 Jahre im Schnitt ihr Amt – zwei Jahre weniger als noch 2003. Ein Jahr davon aber verbraucht schon die Einarbeitung, ein Jahr die Vorbereitung auf das Ende der Amtszeit. Bleiben zwei Jahre Gestaltungsspielraum. Das verleitet zu Aktionismus. Ist der Zeitraum klein, die Aufgabe groß, stoßen Manager schnell viel an. Das täuscht Tatkraft vor. Ob es Ergebnisse bringt, das ist bei vier Jahren Amtszeit egal.

„Eigentlich ist die Benennung eines Vorstandes die einzige wirkliche Entscheidung, die ein Aufsichtsrat treffen kann“, sagt Peter Grassmann. Steckt die Firma in der Sackgasse und wird der Druck der Investoren zu groß, bleibt ihnen kaum eine andere Wahl. Was dahinterstecke, sei oft „Aktionismus, eine zu schnelle Reaktion auf eine unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung“, sagt Grassmann.

Der Chef von heute muss vieles können, vor allem aber darf er kein Einzelkämpfer sein; dafür sind die Aufgaben zu komplex. 64 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen Konzernchefs allein in Konferenzen, beschäftigen sich also mit Absprachen. Ohne die Zuarbeit von anderen kommt kein Vorstand mehr weit. Wer als letzten Ausweg den Chefwechsel sieht, der verkennt dessen Rolle. HB

Claudia Schumacher

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