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Vorläufige Leitsätze: Der ehrbare Kaufmann

Die "zehn Gebote" des ethischen Handelns: Wissenschaftler und der Verein Berliner Kaufleute holen ein Märchen in die Gegenwart.

Am Sonntag ist im Museum für Volks- und Betriebswirtschaft der Eintritt frei. Wir nutzen die Chance. Aber nicht die Neuerwerbungen interessieren uns, sondern die Abteilung für abgelegte Begriffe. Die lassen die meisten Besucher links liegen. Die Museumsleitung offenbar auch. Wir pusten den Staub weg und bemerken einen vergilbten Karton mit der Aufschrift „Der ehrbare Kaufmann“. Neugierig öffnen wir den Deckel und erblicken Schrifttafeln. Auf jeder steht in altertümlicher Sütterlinschrift ein Satz. Zehn Tafeln sind es, wie bei den zehn Geboten.

Ein Satz lautet: „Der ehrbare Kaufmann richtet sein Handeln an Tugenden aus, die langfristiges Vertrauen schaffen.“ Ein anderes Gebot geht so: „Der ehrbare Kaufmann wahrt die Interessen der Eigentümer“. Gut hört sich auch das an: „Der ehrbare Kaufmann unterstützt das Gemeinwohl in der Gesellschaft“.

Zu jedem dieser Gebote aus einer vergangenen Zeit fällt dem Besucher etwas aus der Gegenwart ein. Langfristiges Vertrauen schaffen? Wie war das mit Jürgen Schrempp, dem Daimler-Chef, dessen fürstliches Gehalt nach der Fusion mit Chrysler durch Aktienoptionen noch einmal einen gewaltigen Sprung nach oben machte – und wegen dessen Rücktritt nach betrüblichem Geschäftsverlauf der Aktienkurs einen Freudensprung von zehn Prozent nach oben machte? Oder Mannesmann-Vorstand Klaus Esser, der sich nach der Fusion mit Vodafone als Belohnung für den gestiegenen Aktienkurs einen Bonus von 59 Millionen DM auszahlen ließ? Und die Interessen des Eigentümers wahren? Wir erinnern uns an Thomas Middelhoff, den 2005 zur Rettung von Karstadt angeheuerten Manager, der vier Jahre danach mit einem Unternehmensverlust von 746 Millionen Euro abtrat, selbst aber einen guten Schnitt machte. Und das Gemeinwohl? Da war doch der von der Politik wegen seiner Integrität geschätzte Postchef Klaus Zumwinkel, der bedauerlicherweise sechsstellige Beträge aus seinem Einkommen an der Steuer vorbei in die Schweiz leitete. Der Karton stand also zu Recht in der Kammer für die abgelegten Begriffe. In der Wirtschaftswelt von heute kann man mit diesen Leitsätzen offenkundig nichts mehr anfangen. Licht aus, Kammer zu?

Das wäre kein schönes Ende des Märchens. Es gibt nämlich ein paar Menschen, die den ehrbaren Kaufmann vermissten und sich auf die Suche nach ihm machten. Dass er gefunden wurde, ist vor allem Professor Horst Albach zu verdanken, einem Ordinarius für Betriebswirtschaft der Universität Bonn, der von 1987 bis 1990 Präsident der Akademie der Wissenschaften in Berlin und dann fast ein Jahrzehnt Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin war. Er motivierte seinen akademischen Schüler, Joachim Schwalbach, sich mit auf die Erkundungstour zu machen. Der, inzwischen Professor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldtuniversität und Direktor des Institutes für Management, erklärte den „ehrbaren Kaufmann“ zu so etwas wie seiner Lebensaufgabe. Deshalb gab er dem heute 31 Jahre alten Daniel Klink als Thema für seine Diplomarbeit den „ehrbaren Kaufmann“. Klink hatte, wie schon Schwalbach und Albach, mit Verwunderung festgestellt, dass es den Begriff des ehrbaren Kaufmanns zwar noch in Erzählungen, aber in keinem betriebswirtschaftlichen Seminar mehr gab. „Wir lernten Praktiken, die moralisch verwerflich sind“, erzählt Klink, „die Managementkaste rutscht moralisch ab, weil sie es nicht anders weiß.“ Die drei fanden, dass der ehrbare Kaufmann wieder in die Betriebswirtschaftslehre gehöre, nicht aus moralischen Gründen, sondern wegen der Stabilität der Gesellschaft.

Sie erinnerten daran, dass der Begriff aus dem europäischen Fernhandel des Mittelalters stammt und sowohl von italienischen Kaufleuten wie auch von denen der Hansestädte, aber auch von Fuggern und Welsern, gelebt worden war. Die fühlten sich den Tugenden des korrekten Handels und Handelns nicht aus Altruismus, sondern aus Lebenserfahrung verpflichtet. Wer betrügt, findet keine Kunden mehr. Wer seine Steuern nicht entrichtet, landet im Schuldturm. Wer mit Falschgeld zahlt, dem wird vom Gericht die Freiheit und vielleicht das Leben genommen. Nur, wenn der Staat Sicherheit der Wege und der Geschäfte garantiert, nur wenn unabhängige Instanzen Streitfälle schlichten, kann es freien Handel und ein Wirtschaftsleben geben. Deshalb sind soziales Engagement und Beachtung der Gesetze für jeden Unternehmer nicht nur wegen seines Seelenheils geboten, sondern weil er allein so jene unabdingbaren Voraussetzungen seiner Arbeit stärkt, für die er selber nicht garantieren kann.

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurden diese Leitsätze gelebt. Nach Meinung von Joachim Schwalbach entkoppelten sich Theorie und Wirklichkeit erst, als Unternehmen immer mehr nicht durch Eigentümer, sondern durch angestellte Geschäftsführer geleitet wurden. Die Verführung zum unethischen Handeln wurde durch den Druck verstärkt, immer höhere Gewinne zu erzielen. Dem konnten Eigentümer leichter widerstehen als angestellte Manager, die heute durchaus beklagen, dass Banken und Shareholder auf ethische Prinzipien oft weniger Wert als auf hohe Renditen legen. Schwalbach und Klink stellten fest, dass nur wenige ältere Unternehmer ihre Verantwortung und den Begriff des „So etwas tut man nicht“ noch ernst nahmen – letzterer beschreibt einen Verhaltenskodex, dessen Verlust der damalige Bundespräsident Horst Köhler auf dem Höhepunkt der Finanzkrise in seiner Berliner Rede am 24. März 2009 beklagte.

Die Berliner Betriebswirtschaftslehrer wollen diesem Vergessen gegensteuern. Sie sind überzeugt, dass Kaufleute durch ihr Verhalten zur Stabilität von Staat und Gesellschaft einen entscheidenden Beitrag leisten können, dass sie davon selbst profitieren, und dass man deshalb dafür werben muss. Das tun sie mit den Internationalen Corporate Social Responsibility-Kongressen, die in diesem Monat zum vierten Mal in Berlin stattfinden.

Schwalbach stellte nach Prüfung der Geschäftsentwicklung großer Firmen bereits 1999 fest: Es gibt keine positive Korrelation zwischen hohen Vergütungen und herausragenden Managementleistungen. Fast jeder Erfolg ist das Ergebnis kollektiver Anstrengung. In den Nachhaltigkeitsberichten der 30 Dax-Unternehmen fand er den Begriff „Verantwortung“ auf jeder zweiten Seite. Für das jeweilige Unternehmen spezifische Definitionen fand er nie. Mit solchen Erkenntnissen macht man sich nicht nur Freunde, und so wäre dies reine Theorie geblieben, denn ob die berühmten Managementschulen, die Rationalisierer um den Globus schicken, sich an einen solchen Tugendkatalog halten würden, darf man infrage stellen.

Aber dann kam die Theorie mit der Praxis in Berührung – in Berlin. Professor Schwalbach und sein Schüler Klink fanden im VBKI, dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, einen Partner, der den wissenschaftlichen Erkenntnissen Leben einhauchen wollte, weil er sich schon seit mehr als zwei Jahren mit dem Thema befasste. Als Klink in diesem Jahr einen Sponsor für ein Buchprojekt suchte und beim VBKI anklopfte, erkannte dessen Geschäftsführer Udo Marin die positive Sprengkraft des Themas „Der ehrbare Kaufmann“. Der VBKI leistet sich seit Jahren einen „Arbeitskreis Wirtschaft und Ethik“, weil, wie es in einem Konzept heißt, „soziale Marktwirtschaft nur zukunftsfähig“ sei, „wenn wirtschaftliches Denken und Handeln auch in seinem Wert und Nutzen für das Gemeinwohl erkennbar ist“. Zusammen mit Klink erarbeiteten Marin und die Berliner Unternehmer Axel Smend, Andreas Nitze und Michael Garmer im Rahmen dieses Arbeitskreises zehn „Leitsätze eines ehrbaren Wirtschaftshandelns“. Sie wurden etwa durch Pfizer-Vorstand Andreas Penk, Consulter Wolfgang Petri und Ulrich Kissing, Chef der Investitionsbank Berlin, auf Praktikabilität durchgesehen und ergänzt und sollen in den kommenden Wochen im VBKI debattiert und verabschiedet werden. Die ausführliche Diskussion ist Udo Marin und der Arbeitskreismoderatorin, Managementberaterin Ulrike Wolff, wichtig, weil nur so „die Thesen auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft werden können“.

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