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Wirtschaft: VW-Käufer fahren auf Luxus nicht ab

Der Autokonzern wollte mit Bugatti und Bentley sein Image ändern – aber das ist schwieriger, als gedacht

Suszanne Kay hat seit den 80er Jahren fünf Mal einen Golf gekauft. Doch nachdem sie sich die neueste Version des Autos angeschaut hat, steht fest, dass es einen Sechsten für sie nicht geben wird. Das meistverkaufte Auto der Welt ist das Geld nicht mehr wert, sagt die 39-jährige Bankangestellte aus Brüssel. Für die 20000 Euro, die ein voll ausgestatteter Golf inzwischen kostet, kauft sich Frau Kay lieber den von BMW produzierten Mini oder den winzigen Smart von Daimler-Chrysler.

Überläufer wie Suzanna Kay machen Volkswagen derzeit schwer zu schaffen. Der Gewinnbringer Golf war lange Zeit das Auto der Wahl für jeden, der einen alltagstauglichen fahrbaren Untersatz suchte. Als Teil der Konzernstrategie, VW zu einem Hersteller hochpreisiger Autos aufzuwerten, hat man den Golf jetzt mit allerlei teuren Extras beladen.

Die Hoffnung, dass die Golf-Fahrer die Preissteigerungen hinnehmen würden, hat sich zerschlagen. Die Produktionszahlen des Golfs blieben im vierten Quartal des vergangenen Jahres 18 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Der Konzerngewinn ist im gleichen Quartal um 87 Prozent eingebrochen.

Der neue Golf lehrt die Hersteller, dass sich die Käufer schwer tun mit einem Aufpreis für ein Auto, das sie immer für preisgünstig gehalten hatten. Sein Image der Erschwinglichkeit, einst Erfolgsrezept des Golfs, ist nunmehr zu einer seiner größten Absatzbremsen geworden. Obwohl der Druck vom Aufsichtsrat des Unternehmens wächst, hält die Konzernspitze an der Strategie fest, die Marke näher an der Oberklasse zu etablieren.

VW-Finanzchef Hans Dietrich Pötsch führt den schwachen Start des neuen Golf auf die allgemeine Flaute im europäischen Automarkt zurück. Mit dem Preisaufschlag von acht Prozent gegenüber vergleichbaren Modellen der Konkurrenz könne der Konzern gut leben. „Der Markt ist bereit, den Aufpreis für die höhere Qualität zu zahlen“, sagt Pötsch.

Eigentlich sollte der Golf den Konzern über eine Durststrecke tragen, nachdem andere Geschäftsbereiche einschließlich der Luxus-Sparte mit Problemen zu kämpfen haben. In den USA fährt VW derzeit Verluste ein und das einst hochprofitable China-Geschäft leidet unter dem zunehmenden Wettbewerb. Das Nettoeinkommen des VW-Konzerns sank 2003 gegenüber dem Vorjahr um 58 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro.

In den späten 90-er Jahren gehörte die Marke VW noch zu den Gewinnern des wirtschaftlichen Aufschwungs. Der gute Ruf, der den Fahrzeugen bei Zuverlässigkeit und Design vorauseilte, erlaubte einen Preisaufschlag von 15 Prozent gegenüber den Wettbewerbern. Beflügelt durch den Erfolg beschloss das Unternehmen, sein tief verwurzeltes Volksauto-Image loszuwerden und investierte verstärkt in Edelklassefabrikate wie Bentley, Bugatti und Lamborghini. Bezahlen sollten dafür die Käufer der VW-Modelle, die man durch diverse technische Aufbesserungen teurer gemacht hatte.

Der Konzern ging davon aus, dass sich die Kunden das Volkswagen-Gefühl bereitwillig etwas mehr kosten lassen würden. Nicht nur der 70000 Euro teure Luxuswagen VW-Phaeton, dessen Entwicklungskosten von rund 591 Millionen Euro der Konzern inzwischen abschreiben musste, erwies sich dabei als Bruchlandung. VW hatte auch überschätzt, wie hoch man die Preise für Alltagsautos treiben kann.

Manfred Dobiasch, Drucktechniker aus Hamburg und Golf-Fahrer, ist grundsätzlich bereit, mehr als 20000 Euro für einen Neuwagen auszugeben. Allerdings nicht mehr für einen Golf. Für dieses Geld würde er sich eher einen 3er BMW kaufen, der für 23600 Euro zu haben ist. Konzernchef Bernd Pitschetsrieder scheint unbeirrt und wirbt schon für ein neues Luxus-Gefährt aus seinem Haus, das derzeit unter dem Codenamen C 1 entwickelt wird. Klaus Volkert, Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat von VW, hat sich nach Insider-Informationen direkt an den Konzernchef gewandt, um die Unternehmensführung von dem Projekt abzubringen. Bereits im letzten Jahr soll er gegenüber Pieschetsrieder beklagt haben, dass die Luxus-Strategie das Unternehmen zu stark von seinem Kerngeschäft ablenke.

Als der Golf 1974 auf den Markt kam, wurde er zum Vorbild des Kleinwagen-Designs und ließ die Branche fortan von der „Golf-Klasse“ sprechen. Auf der Erfolgswelle des 1997 vorgestellten Golf Vier schoben sich die Wolfsburger auf den vierten Platz der Branchenriesen nach General Motors, Toyota und Ford. Das Jahr 2000 markierte mit 942000 produzierten Fahrzeugen den bisherigen Höhepunkt für den Golf. Mit 22 Millionen Verkäufen hat er als meistverkauftes Auto weltweit selbst den Käfer überholt.

Weit mehr als seine Vorgänger stieß der neue Golf auf einen äußerst hart umkämpften Markt. In den 90-er Jahren waren die Automobilbauer vor der Wettbewerbsmacht der japanischen Konkurrenz durch rigorose Einfuhrbeschränkungen geschützt. In den meisten Ländern wurde etwa der Marktanteil von Toyota dadurch auf drei Prozent begrenzt. Nach der Abschaffung der Quoten 1998 stieg Toyotas Anteil an den Personenwagenverkäufen in Westeuropa im vergangenen Jahr auf 4,8 Prozent und kletterte im ersten Quartal dieses Jahres sogar auf 5,5 Prozent. Nicht zuletzt versetzte auch der im Januar vorgestellte neue Opel-Astra vom Erzrivalen General Motors dem Golf-Absatz einen Dämpfer.

Um dem schleppenden Verkauf auf die Sprünge zu helfen, verfiel VW auf eine Taktik, die man lange kritisiert hatte: großzügige Rabatte. Im Februar erhielt ein Käufer die 1250 Euro teure Klimaanlage ohne Aufpreis dazu. Den Händlern wurde zugestanden, noch einmal bis zu 1000 Euro nachzulassen. Für VW-Finanzchef Hans Dietrich Pötsch hatte die Zugabe der Klimaanlage nichts mit einem Kaufanreiz zu tun: Man hätte damit lediglich den 30-jährigen Geburtstag des Golfs begehen wollen.

In Naumburg, einer Kleinstadt 150 Kilometer südlich von Berlin, kommt der Opel-Händler inzwischen kaum mit dem Nachschub an Astras nach. „Die vier, die hinten stehen, sind bereits verkauft“, sagt der Verkäufer beim Autohaus Burgenland. Opel will die Produktion hochfahren, um den Bedarf zu decken, sagt ein Firmensprecher. Auf der anderen Seite der Stadt sitzt der VW/Audi-Händler vom Autohaus Possögel auf sechs unverkauften Golfs. Kostenlose Klimaanlage inklusive.

Neal E. Boudette

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