zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Wal-Mart diktiert die Bedingungen

Der Handelskonzern ist so mächtig geworden, dass er nicht nur seiner Konkurrenz das Leben schwer macht

Von Greg Schneider

und Dina ElBoghdady

Roy Bukrim entschied sich als junger Mann für einen Job beim Supermarkt Kroger. Die Arbeit beim Lebensmittelhändler – heute einer der größten der USA – erschien ihm attraktiver, als im gefährlichen Kohlebergbau sein Geld zu verdienen, wie es seine Verwandten taten. Heute, 27 Jahre später, ist er für das abendliche Auffüllen der Supermarktregale verantwortlich. Von seinem Gehalt ernährt er seine Frau und zwei Kinder und zahlt seine Hypothekenraten.

Hätte er jetzt bei Kroger anfangen, wäre es ihm wahrscheinlich nicht so gut ergangen, vermutet Bukrim. Die jungen Mitarbeiter seines Supermarktes erhalten nur ein Mindestgehalt und sind nicht krankenversichert. Nach wenigen Monaten hören sie schon wieder auf. Der Lebensmittelhandel biete keine Berufsperspektiven mehr, sagt Bukrim. „In unserer Generation hat sich alles verändert“, sagt er. Er, seine Kollegen und auch die Kroger-Manager wissen auch den Grund für den Wandel: Es ist der am meisten gefürchtete Konkurrent von Kroger, Wal-Mart. „Wir hören immer nur Wal-Mart hier und Wal-Mart da“, sagt die Kroger-Kassiererin Victoria Marano. „Sie wollen wie Wal-Mart sein, damit sie mit ihm konkurrieren können.“

Wal-Mart ist der größte Einzelhandelskonzern der Welt und der größte private Arbeitgeber Amerikas. Für Wal-Mart arbeiten 1,3 Millionen Menschen. Der Konzernumsatz von 245 Milliarden Dollar ist größer als das Schweizer Bruttoinlandsprodukt. Der Konzern mit allein mehr als 3000 Filialen in den USA ist so mächtig, dass er mit seinen Geschäftsmethoden die gesamte US-Wirtschaft beeinflusst. Wegen seiner enormen Einkaufsmacht diktiert Wal-Mart den Herstellern seine Vorstellungen, angefangen von den Preisen bis zur Verpackung. Mit seinen Tiefstpreisen hat die Kette die Konsumenten dazu erzogen, überall große Rabatte zu erwarten. Den Konkurrenten des Handelskonzerns bleibt nichts anderes übrig, als nachzuziehen oder Kunden zu verlieren.

Neben seiner großen Einkaufsmacht gibt es einen weiteren Grund, warum Wal-Mart so billig ist: Der Konzern setzt alles daran, die Arbeitskosten niedrig zu halten. Das wurde vor zweieinhalb Wochen deutlich, als 250 illegale ausländische Reinigungskräfte bei 61 Wal-Mart-Filialen festgenommen wurden. Die Ausländer arbeiteten für externe Reinigungsfirmen. Das Bundesgericht Pennsylvania untersucht nun, welche Rolle Wal-Mart in der Beschäftigung illegaler Arbeiter spielt.

Wal-Mart beauftragt Fremdfirmen für Dienstleistungen wie Reinigung und beschäftigt schlecht bezahlte Teilzeitarbeitskräfte, sagen Gewerkschaften und Konkurrenten. Sieben bis acht Dollar verdienen die – übrigens nicht gewerkschaftlich organisierten – Mitarbeiter im Schnitt pro Stunde. Dagegen erhalten die Kroger-Angestellten nach eigenen Angaben einen Stundenlohn zwischen elf und 13 Dollar und sind obendrein, bisher zumindest, voll krankenversichert. Etwa 62 Prozent der Wal-Mart-Angestellten haben zwar ein Anrecht auf eine Krankenversicherung; aber weniger als die Hälfte der Arbeitskräfte nehmen diese auch in Anspruch. Das habe mit dem hohen Eigenanteil zu tun, den Angestellte für ihre Krankenversicherung leisten müssten, sagen kritische Stimmen.

Da andere Supermärkte dem Beispiel Wal- Marts folgen, geraten unausgebildete Arbeiter in den USA immer stärker unter Druck. Sie sind ohnehin schon auf der Verliererseite, da die Industrie immer mehr niedrigqualifizierte Arbeitsplätze abbaut. Wer keine Ausbildung hat, verdient meist nicht mehr genug, um sich den Lebensstandard der Mittelschicht leisten zu können. „Früher gehörte man mit solch einem Job der Mittelschicht an. Aber weil bei den Dienstleistungen immer mehr auf straffe Kostenstrukturen geachtet wird, bleiben viele dieser Jobs auf der Strecke“, sagt Jared Bernstein, Ökonom vom Washingtoner Economic Policy Institute.

Nirgendwo ist dieser Wandel stärker zu beobachten als bei den Supermärkten. Ketten wie Kroger, Safeway und Albertsons mussten mitansehen, wie Wal-Mart dank seiner Niedrigpreisstrategie in nur zehn Jahren zum Marktführer aufstieg. Bukrim und 70000 andere, in Gewerkschaften organisierte Supermarkt-Angestellte, protestieren nun gegen Lohnkürzungen und andere Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen. Die seien aber notwendig, sagen ihre Bosse, um mit Wal-Mart konkurrieren zu können.

Druck auf die Preise

Manche Supermarktketten sind in den vergangenen zehn Jahren schon vom Markt verschwunden, seit Wal-Mart die Lebensmittel-Branche aufrollt. Den Einzelhandelskonzern K-Mart gibt es zwar noch. Doch musste er – neben dem Wal-Mart noch vor 15 Jahren winzig war – 2002 ein Konkursverfahren einleiten und 57000 Menschen entlassen. Das lag nicht zuletzt daran, dass das Unternehmen über die Preise mit Wal-Mart konkurrieren wollte und dabei Schiffbruch erlitt.

Auswirkungen hat die Geschäftspolitik von Wal-Mart auch auf den Markt für illegale Einwanderer. Durch Wal-Marts Druck auf die Arbeitskosten habe sich die Zahl illegaler Arbeiter erhöht, sagen Anwälte von Immigranten. Für Arbeitgeber sind die billigen Arbeitskräfte willkommen, weil sie zuviel Angst vor einer Ausweisung haben, als dass sie gegen zu geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen protestierten. Statt selbst Einwanderer ohne Papiere einzustellen, beauftragen große Ketten normalerweise preiswerte Firmen. Diese wiederum reichen den Auftrag an kleinere Subunternehmen weiter. Darunter gibt es windige Ein-Mann-Firmen, die bewusst illegale Arbeitskräfte anstellen, sagen Arbeitsmarktexperten.

Was sagt Wal-Mart zu der Kritik an seiner Personalpolitik? Der Konzern weist sie zurück. Alle Angestellten hätten die Möglichkeit, eine Krankenversicherung abzuschließen. Der Eigenanteil der Mitarbeiter, der bei einer Versicherung für die ganze Familie bei 57 Dollar für zwei Wochen liegt, entspreche dem Branchenstandard. Was die Löhne betrifft: Die Einstiegsjobs bei Wal-Mart seien „nicht für jemanden geeignet, der allein für den Familienunterhalt sorgen muss“, sagt eine Wal-Mart-Sprecherin. Sondern für solche, die sich hoch arbeiten wollten. Etwa zwei Drittel der Wal-Markt-Manager hätten früher stundenweise für die Kette gearbeitet.

Greg Schneider, Dina ElBoghdady

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false