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Wirtschaft: Wall Street Journal: Die Passagiere entscheiden im Schlaf

Eine Business-Klasse, in der die Hälfte der teuren Sitze zum Heck zeigt? Mike Crump, der Design-Chef von British Airways (BA), dachte am Anfang nicht, dass das bei den Fluggästen ankommen würde.

Eine Business-Klasse, in der die Hälfte der teuren Sitze zum Heck zeigt? Mike Crump, der Design-Chef von British Airways (BA), dachte am Anfang nicht, dass das bei den Fluggästen ankommen würde. Er hatte große Bedenken, jemandem mehrere tausend Dollar für das besondere Vergnügen abzuknöpfen, mit Blick auf das Hinterende eines Düsenflugzeugs zu reisen. Aber Crump hatte von seinen Chefs die Anweisung, "Geschäftsreisen verblüffend neu zu gestalten". Und das Londoner Design-Haus Tangerine, das er Ende 1998 mit einem Konzept beauftragt hatte, dachte sich eine Yin-Yang-Anordnung aus: paarweise, aber in entgegengesetzte Richtungen angeordnete Sitze. Sie konnten so flach umgelegt werden wie ein Bett - genau wie in der Ersten Klasse -, waren aber schmal genug, dass Dutzende davon in eine Business-Klasse-Kabine gequetscht werden konnten. Die Idee war so attraktiv, dass Crump - der es hasst, in einem Londoner Taxi rückwärts zu fahren - einen Rückwärts-Trudelflug in einem Flieger der Royal Air Force auf sich nahm. Sein Urteil: Man kann rückwärts fliegen, ohne das Mittagessen wieder von sich zu geben. Heute, nach drei Jahren, ist der Sessel zum paarweisen Schlummern ein Geldbringer. Analysten schreiben es den Bett-Sitzen zu, dass BA wieder Marktanteile gewann, die sie Mitte der 90er Jahre an ihren Erzrivalen Virgin Atlantic und andere verloren hatte.

Kriegsführung auf höchstem Niveau

Die Bett-Sitze haben einen neuen Klassen-Kampf ausgelöst. Die Fluglinien versuchen, sich gegenseitig mit vielen Arten von Annehmlichkeiten Passagiere abspenstig zu machen. "Das Schlachtfeld ist die Business-Klasse-Kabine, und BA hat auf jeden Fall einen Vorsprung", sagt Chris Tarry, Analyst für das internationale Luftfahrtgeschäft bei der Commerzbank in London. Um mit BA mitzuhalten, gestaltet Virgin gerade seine Upper-Class um, eine kombinierte Erste Klasse und Business-Klasse. Sie soll fast völlig waagerechte Bett-Sitze erhalten und einen Mini-Wellnessbereich: ein durch einen Vorhang abgetrenntes Abteil mit Massagetisch inklusive Sicherheitsgurt. Bis Ende kommenden Jahres wird jede Upper-Class eine richtige Cocktail-Bar haben, einschließlich sieben roten Barhockern mit Lederpolstern. Die holländische KLM und Northwest Airlines, die auf Langstrecken zusammenarbeiten, American Airlines und United Airlines haben alle den Platz für die Passagiere der Business-Klasse vergrößert, mehr Platz für Bordgepäck geschaffen und Sitze eingebaut, die sich weiter zurücklegen lassen als vorher - allerdings nur bis zu 150 Grad.

Wenn weniger mehr ist

Alle großen Gesellschaften werfen Sitze und damit zahlende Passagiere über Bord, um in der Business-Klasse mehr Platz für den Einzelnen zu schaffen. Das bedeutet ein Umdenken in der Branche, die jahrelang immer mehr Sitze in die Flugzeuge stopfte und dann sehen musste, wie sie sie voll bekam - auch wenn sie dabei die Ticket-Preise drastisch senken musste. Jetzt hält man es für schlauer, den Passagieren der Business-Klasse neu und besser gestaltete Kabinen zu bieten, damit sie auch bei höheren Preisen weiter mitfliegen.

Der Sitz ist für die Fluggäste wichtiger als jede andere Annehmlichkeit. Dinni Jain ist Angestellter einer US-amerikanischen Telefongesellschaft, arbeitet aber in London. Neulich musste er rasch zu einer Konferenz in die USA reisen und gleich am nächsten Morgen wieder pünktlich bei den Meetings in London erscheinen. "In dieser Situation will man definitiv schlafen", sagt Jain, der seit zehn Jahren über den Atlantik pendelt. Die Bett-Sitze sind für ihn ein Grund, mit BA zu fliegen. Seit BA die Sitze im vergangenen Jahr auf den Routen von London nach New York, San Francisco und Hongkong eingebaut habe, sei der Marktanteil dort um mehr als fünf Prozent gestiegen, sagt Martin George, Marketing-Direktor von BA. Der Umsatz pro Passagier und die Auslastung sei ebenfalls gestiegen, fügt er hinzu, nennt aber keine Zahlen. Daher muss BA die Preise auch nicht senken, obwohl das Volumen der Business-Reisen wegen der sich abkühlenden US-Wirtschaft zurückgeht. Im Gegenteil: BA hat die Club-World-Ticketpreise auf einigen Strecken erhöht. Das ist wichtig für die Strategie der Fluglinie, die die Gewinnmarge über den Marktanteil stellt - und Business-Passagiere heben die Marge am meisten. Die auf Gewinnmarge ausgerichtete Strategie stammt aus dem Jahr 1998. Damals hatte gerade der wirtschaftliche Abschwung die Führungsriege bei BA davon überzeugt, dass sie umdenken musste. Mit dem Ziel, die gewinnbringenden Business-Reisenden mit besserem Service zurückzugewinnen, beschlossen die Manager, die Touristenklasse zu verkleinern, um der World Class mehr Platz zu geben. Das brachte Design-Chef Crump die schwierige Aufgabe mit dem neuen Sitz ein.

Ein Bett-Sitz war die ideale Lösung, aber er schien zunächst wirtschaftlich nicht realisierbar zu sein. Hätte man in die Business-Class einfach Betten so groß wie in der Ersten Klasse eingebaut, hätte sich die Kapazität halbiert. Schließlich kam Tangerine auf die Idee: Weil Menschen an den Schultern breiter sind als an den Füßen, schlugen die Designer zwei ineinander geschachtelte Sitze vor, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Diese Anordnung benötigt nur wenig mehr Raum als die alten Sitze in der Business-Klasse. Sie hat jedoch auch entscheidende Nachteile. Einer der beiden Passagiere muss immer rückwärts fliegen. Das andere Problem ist ein zwischenmenschliches: Bei der gewöhnlichen Sitzordnung können die Passagiere stundenlang Arm an Arm sitzen und dabei völlig isoliert sein. Aber wenn sie gezwungen sind, sich direkt anzusehen, ist die Privatsphäre dahin. Also musste eine Abteilung her. Die Lösung sieht aus wie ein großer chinesischer Fächer aus blauem Plastik und dünnem weißen Stoff - flexibel aber haltbar. "Es ist das meist-designte Element des Sitzes", sagt Crump lachend.

Daniel Michaels

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