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Im Baugewerbe sind besonders viele Wanderarbeiter in Berlin beschäftigt – nicht immer zu fairen Bedingungen.

© dpa

Wanderarbeiter und Flüchtlinge werden ausgebeutet: Der Kampf gegen die moderne Sklaverei in Berlin

Wanderarbeiter aus Osteuropa werden in Berlin häufig ausgebeutet. Inzwischen sind auch Flüchtlinge im Fokus.

Drei Monate lang sollte sich eine Pflegerin aus Polen um ein Berliner Ehepaar kümmern, das unter Demenz und anderen Erkrankungen leidet. Mit einer polnischen Vermittlungsagentur waren 20 Arbeitsstunden pro Woche und ein Monatslohn von 800 Euro vereinbart. Doch als die Pflegerin ihren Job im Januar antrat, musste sie rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Angehörige der Senioren verlangten, dass die Pflegerin für die ganze Familie kocht – sogar bei einer Feier mit 15 Verwandten – , wäscht, bügelt, putzt und im Garten arbeitet. Noch dazu brauchte das Ehepaar auch nachts oft Pflege.

Schließlich wandte sich die Polin an das „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ im Berliner Haus des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Dort wurde klar, dass die Pflegerin statt eines Arbeits- nur einen „Auftragsvertrag“ hatte – sie war eine Scheinselbstständige. Für Beraterin Bettina Wagner ist es ein „klassischer Fall von Sozialversicherungsbetrug“. Polnische Ämter wurden informiert und die Agentur aufgefordert, die Überstunden zu bezahlen. Die Polin ist ihren Job unterdessen los und wurde laut Wagner „gegen eine andere Frau ausgetauscht“.

Die Zahl hilfesuchender Arbeitnehmer wächst

Im Kampf gegen die Ausbeutung von Wanderarbeitern in Berlin und Brandenburg bekommt das seit fünf Jahren bestehende Beratungsbüro immer mehr zu tun. Allein vorigen Jahr wandten sich 1816 Hilfesuchende an die vier Mitarbeiterinnen – damit stieg die Zahl im Vergleich zum Jahr 2011 um mehr als das Vierfache.

Die meisten Opfer von Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen stammen aus Polen, Rumänien, Moldawien und Bulgarien. Sie arbeiten vor allem auf dem Bau, im Dienstleistungssektor und bei Reinigungsfirmen. Dass es im Baubereich 2015 einen leichten Rückgang der Beratungen gab, liegt den Angaben zufolge nur daran, dass ein Jahr vorher wegen mehrerer großer Bauprojekte besonders viele Beschwerden eingegangen waren – der bekannteste Fall war die Ausbeutung rumänischer Arbeiter bei der Errichtung des Shoppingcenters „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz in Mitte.

Jetzt werden auch Flüchtlinge vor dubiosen Firmen gewarnt

Das Beratungsbüro betreibt der Verein „Arbeit und Leben“ im Auftrag des DGB, Fördergelder kommen von der Landesregierung. Auf Wunsch der Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) wurde die Zuständigkeit im Januar von der Wirtschafts- zur Arbeitsverwaltung verlagert.

Eine neue Aufgabe gibt es auch: Seit April versucht man, Flüchtlinge vor dubiosen Arbeitgebern zu schützen. Manche Firmen hätten geflohene Menschen „als noch billigere Arbeitskräfte entdeckt“, sagte Dilek Kolat am Mittwoch bei einem Besuch im Beratungsbüro. Laut der Vorsitzenden des DGB–Bezirks Berlin-Brandenburg, Doro Zinke, werden bereits „Multiplikatoren“ wie Deutschlehrer in Volkshochschulen und Leiter von Flüchtlingsheimen geschult, damit sie Warnungen weitergeben. Senatorin Kolat regte zudem an, Poster in Flüchtlingsunterkünften auszuhängen.

Unterdessen würden Rumänen und Bulgaren als Folge der Arbeitnehmerfreizügigkeit „jetzt in mehr Branchen angestellt“, sagte Kolat. Für Menschen aus diesen beiden EU-Staaten ist der deutsche Arbeitsmarkt erst seit Anfang 2014 vollständig geöffnet.

Scheinselbstständige melden Gewerbe an – und die Ämter sind machtlos

In der Baubranche jedoch gebe es „immer noch viel Scheinselbstständigkeit“, sagte Kolat. Einig war sie sich mit DGB-Landeschefin Zinke darin, dass Bezirksämter die Gewerbeanmeldungen häufiger „hinterfragen“ müssten, wenn offensichtlich sei, dass es um Scheinfirmen gehe. Mitunter erscheine ein Strohmann im Namen Dutzender Personen in einem Amt, sagte Wolfgang Möller, der das Referat für Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitsgerichtsbarkeit und Schwarzarbeitsbekämpfung in der Senatsverwaltung leitet. Es gebe sogar einen „Ämtertourismus“: Antragsteller suchten sich die Bezirke aus, in denen sie die wenigsten Nachfragen erwarteten.

Für den Umgang mit Gewerbeanmeldungen „brauchen wir in jedem Bezirk zwei spezialisierte Leute“, forderte Zinke. Bisher müssten „Allrounder“ die Aufgabe mit übernehmen und könnten meist „nur im Schnellverfahren den Stempel drauf drücken“.

Total abhängig vom Arbeitgeber

Wanderarbeiter wagten es oft nicht, sich an das Beratungsbüro zu wenden, sagen dessen Mitarbeiterinnen. Viele Betroffene fürchteten den Jobverlust und stünden in „kompletter Abhängigkeit“ vom Arbeitgeber oder Vermittler, der auch den Wohnraum vermiete. Das zeigt beispielsweise der Fall zweier Rumänen, die zwei Monate in einem Schlachthof gearbeitet hatten. Als sie sich bei einem Mittelsmann über fehlende Verträge und lange Arbeitszeiten beschwerten, wurden sie aufgefordert, ab sofort nicht mehr zur Arbeit zu kommen und eine Gemeinschaftsunterkunft zu räumen. Auch ihren Lohn bekamen die Rumänen erst, nachdem sie sich an die Berliner Helfer gewandt und diese Druck gemacht hatten.

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