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Restekiste. Jedes Jahr bleiben in Deutschland rund 80 000 Tonnen Brot und Brötchen übrig. Teurer werden sie bald trotzdem. Foto:

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Wandern und Backen

Das deutsche Bäckerhandwerk will die Tradition der Walz wiederbeleben

Berlin - Urs Büttner hat damals ständig die gleiche Frage gehört: „Bist du eigentlich Zimmermann oder Maurer?“ Eine Zumutung für einen wandernden Bäckergesellen, der eine eigene, uralte Tradition beleben will, sich aber eigentlich nur durch die typische Pepitahose von den Wanderern der anderen Zünfte unterscheidet, „und die ist mit dem weiten Schlag auch furchtbar unpraktisch“. Dennoch gehört sie dazu. Und Büttner, der heute als Meister die Bäckerei eines niedersächsischen Behindertenbetriebs leitet, hat seine fünf Jahre in der Fremde nicht nur nicht bereut, sondern engagiert sich nun sogar für die Popularisierung der „Bäckerwalz“.

Nach dem Willen des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks soll diese Tradition die menschliche und fachliche Reife eines Gesellen fördern und ihn somit auf die Meisterprüfung vorbereiten, besser, als dies die mehrjährige Arbeit in einem einzigen Betrieb leisten könne. Wer die Walz absolviert, der soll sogar mit einem Rabatt von zehn Prozent auf den Meisterkurs belohnt werden. Mit zehn bis maximal zwanzig Kandidaten pro Jahr, die sich Verbandspräsident Peter Becker erhofft, ist damit wohl keine Revolutionierung der Berufsausbildung zu erwarten, sondern allenfalls eine Ergänzung. Büttner lobt das Projekt: „Die Walz hat meine Leidenschaft für das Backen sehr verstärkt.“

Qualifizierte Meister, die nicht nur technisch, sondern auch menschlich gefestigt sind, werden gebraucht, weil in den nächsten Jahren viele Betriebe aus Altersgründen zum Verkauf stehen. Solche Meister könnten Ursula Völkl und Tobias Wächter sein, beide ausgelernt, beide 22. Sie sind ein Paar – und akzeptieren doch, dass jeder von ihnen für die Bäckerwalz, die traditionell exakt drei Jahre und einen Tag dauert, getrennte Wege gehen muss. Es kann losgehen, nur fehlt ihnen noch ein Altgeselle, der ihnen die richtigen ersten Schritte zeigt.

Das ist nicht mehr als ein Farbtupfer, aber einer, der zeigt, wie sich die alteingesessenen Backhandwerker von der stromlinienförmigen Geschäftigkeit der Industrie abheben wollen. 14900 Betriebe, 45000 Verkaufsstellen, 291000 Beschäftigte, 35000 Auszubildende, 12,8 Milliarden Euro Umsatz – das sind die aktuellen Zahlen der Branche von 2009. Ein zufriedenstellendes Jahr, sagt Becker: Das lange Zeit bedenkliche Betriebssterben habe sich sehr verlangsamt, und die verkaufte Brotmenge – 2009 waren es 824661 Tonnen – lag knapp auf dem Durchschnittsniveau der letzten Jahre. Übrig bleiben in Deutschland laut dem Verband deutscher Großbäckereien jedes Jahr rund 80 000 Tonnen Brot und Brötchen – rund zehn Prozent der Gesamtproduktion.

Die größten Sorgen macht den deutschen Bäckern der rasante Anstieg der Rohstoffpreise sowohl beim Getreide als auch bei allem, was sonst noch in Brot und Kuchen hineingehört; der Weizenpreis hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. „Wir werden“, sagt Becker, „in den kommenden Wochen zu modifizierten Preisen kommen müssen“, was konkret vermutlich auf Erhöhungen von durchschnittlich zwei bis drei Prozent hinauslaufe. Und auch der Nachwuchs, ob wanderfreudig oder sesshaft, macht der Branche Probleme, denn es fehlen aktuell etwa 450 Lehrlinge. „Bewerber haben wir genug“, sagt Becker und intoniert das alte Lied fast aller Lehrherren, „aber das Niveau ist relativ dünn“.

Ein Randaspekt von bundesweiter Bedeutung ist die Wettbewerbsklage der Bäcker gegen Aldi-Süd. Man werde nicht verhindern können, dass der Discounter Tausende von Automaten aufstelle, in denen gefrorene Teiglinge auf Knopfdruck erwärmt werden, sagte Verbandsgeschäftsführer Amin Werner. Aber der Eindruck, den die Werbung erwecke, dass es sich nämlich um Brot und Brötchen „frisch aus dem Ofen“ handele – den werde man weiterhin mit allen rechtlichen Mitteln bekämpfen. Gegenwärtig seien Gutachter dabei, genau zu bestimmen, ob es sich bei den Aldi-Geräten überhaupt um Öfen und mithin beim Aufwärmen um einen Backvorgang handele.

Werner äußerte die Vermutung, dass Aldi mit der Aktion kein Geld verdienen wolle, sondern am Brötchenduft interessiert sei, der den Kunden das Gefühl von Frische vermittle. „Das Bäckerhandwerk“, sagt Präsident Becker, „will einfach faire Wettbewerbsbedingungen.“

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