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Wirtschaft: Was Anleger wissen sollten, wenn ihnen Analysten Aktien empfehlen

"Kaufen", "akkumulieren", "verkaufen", "untergewichten" - Analysten formulieren seltsam, aber ihre Sprache wird von immer mehr Menschen verstanden. Das Vokabular der Finanzprofis ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden, seitdem auch die Deutschen Aktien kaufen.

"Kaufen", "akkumulieren", "verkaufen", "untergewichten" - Analysten formulieren seltsam, aber ihre Sprache wird von immer mehr Menschen verstanden. Das Vokabular der Finanzprofis ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden, seitdem auch die Deutschen Aktien kaufen. Die Nachfrage nach Expertenwissen ist dramatisch gestiegen, und der Wettbewerb der Ratgeber brummt.

Was da als knapper Aktientipp in Börsenbriefen, Anlegermagazinen und im Wirtschaftsteil der Tageszeitung auftaucht, hat zuvor im besten Falle einer Armee von Finanzmarkt-Experten in den Research-Abteilungen der Banken und Investmenthäuser viel Arbeit gemacht. Im schlechtesten Falle ist der Tipp eine Luftnummer, von dubiosen, selbst ernannten Börsenfachleuten in Umlauf gebracht - meist zum Nutzen der Autoren und nicht der Anleger, die den Empfehlungen der "Analysten" gefolgt sind.

Worauf können sich Privatanleger noch verlassen, die an der Börse kurzfristig mitverdienen oder langfristig Kapital für das Alter ansammeln wollen? Wie behält man im Durcheinander der Analystenmeinungen den Überblick?

"Der Kitzel, an der Börse sehr schnell sehr reich zu werden, macht viele Kleinanleger blind für das Risiko", sagt Dietmar Vogelsang, Sachverständiger für Kapitalanlagen aus Bad Homburg. Vogelsang springt als Gutachter immer dann ein, "wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist" und Anleger auf Betrüger hereingefallen sind, Schadenersatz einklagen oder Beratungsfehler ausbaden müssen. Die meisten Aktientipps hält er für nichts weiter als "werbetechnisch hervorragend geeignete" Verkaufshilfen für Wertpapiere. In einer Phase steigender Kurse, in der kleine Volksaktionäre wie die Telekom-Anleger bei der Stange gehalten würden, funktioniere der Markt der Ratgeber und Experten. Gehe die Börse hingegen für längere Zeit auf Talfahrt, breche das System zusammen.

Die unter Analysten verbreitete Meinung, Aktien seien langfristig eine sichere Sache, bezeichnet Vogelsang, der Aktienanlagen grundsätzlich für eine "sinnvolle Sache" hält, schlicht als "Unsinn". "Es kommt immer auf den Zeitpunkt an, wann der Anleger eingestiegen ist und wann er wieder aussteigt." Die erste Frage, die sich Aktiensparer stellen sollten, laute: Kann ich einen Rückgang des Depotwertes von 100 000 auf 70 000 Mark oder weniger verkraften?

Zur Vorsicht rät auch Ronald Weichert, Sprecher der Deutschen Bank, die allein 100 Analysten für den europäischen Markt beschäftigt: "Den sicheren Tipp gibt es nicht." Auch dann nicht, wenn der Anleger über individuelle Zusatzinformationen oder persönliche Kontakte verfüge. Weichert rät unsicheren Anlegern, stets "mehrere Empfehlungen verschiedener Banken" zu vergleichen. Stimmten die Analysten bei der Bewertung eines Papiers überein, sei die Wahrscheinlichkeit groß, daß der Ratsuchende eine vernünftige Empfehlung bekomme.

Der sichere Tipp ist eine Anmaßung

"Wüssten die Analysten, wohin die Aktien laufen, würden sie ihr Geld anders verdienen", zitiert Franz-Josef Leven, Volkswirt beim Deutschen Aktienistitut (DAI) ein geflügeltes Wort in der Branche. Der Experte, der den ultimativen Tipp parat habe, "maßt sich nur an, besser informiert zu sein als der Markt". Unmöglich auf dem Börsenparkett, wo Informationen in Lichtgeschwindigkeit transportiert und allen Marktteilnehmern zugänglich gemacht werden. Es sei denn, es sind exklusive Informationen im Spiel, die Analysten und ausgewählte Kunden zu Insidern machen und das Investment zu einem verbotenen Extra-Geschäft. "Wir sind froh, dass wir keine Aktientipps geben müssen", räumt Leven ein.

Der von vielen Medien multiplizierte Hype der Analysten-Zunft, der einige Vertreter zu wahren Gurus der Branche befördert hat, ist für neutrale Beobachter ein Ärgenis. Wahrsager seien in den Research-Abteilungen der Banken nicht zu finden, sagt Dietmar Vogelsang. "Es sind Meinungsmacher, die bei entsprechendem Einfluss auf den Markt Kurse bewegen können." Vor allem bei Nebenwerten - etwa am Neuen Markt -, die in geringer Stückzahl gehandelt würden, könne der "Hebel der Meinungen" über Gewinne und Verluste einer Aktie entscheiden. Würden Aktientipps zudem massenwirksam über Fernsehen oder Börsenbrief mit hoher Auflage verbreitet, könne mit marktengen Einzelwerten Achterbahn gefahren werden. "Aus charttechnischer Sicht sieht das zunächst gut aus", so Vogelsang, "Provoziert wurde der Kursausschlag aber womöglich von einer Lüge." Unbedarfte Anleger, die auf den Zug aufgesprungen seien, erlebten in der Regel ein böses Erwachen, wenn sich der Trend später umkehre und die Aktie ins Minus abdrifte. Vogelsangs Empfehlung: Anlageentscheidungen nicht überstürzen und niemals einem einzigen Experten vertrauen.

Zu hektischen Entscheidungen besteht für Kleinanleger auch kein Anlass, meint Franz-Josef Leven vom DAI. "Das kostet nur Gebühren und damit Rendite." Was Anleger einstreichen können, wenn sie die Tipps und Tricks der Analysten völlig ignorieren, ihr Depot ausreichend streuen und lange genug investiert bleiben, hat das Aktieninstitut in einer Langzeitstudie errechnet. Für insgesamt 1500 Depots wurden jeweils 10 Werte aus dem Deutschen Aktienindex nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt und 25 Jahre lang unverändert gehalten. "Im Durchschnitt wurde auf diese Weise eine jährliche Rendite von zehn Prozent erzielt", sagt Franz-Josef Leven. "Ohne Detailinfos, ohne auf Empfehlungslisten zu achten und inklusive aller Transaktionskosten." Nur für den, der mehr als diese zehn Prozent haben wolle, lohne sich der Versuch, Aktientipps auszuwerten, um den Markt zu schlagen. "Das dürfte selbst für perfekt beratene Privatanleger ausgesprochen schwierig sein."

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