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Wirtschaft: Was der Bauer nicht kennt

Im Mai wird die EU um zehn Länder erweitert. Die deutschen Bauern befürchten neue Lebensmittelskandale – dabei können sie nur profitieren

Von Maren Peters und

Flora Wisdorff

Während die Republik sich noch über schlampige BSE-Tests in deutschen Landen erregt, wittert Bauernpräsident Gerd Sonnleitner bereits neue Gefahren im Osten. In nicht einmal vier Monaten wird die EU um zehn neue Länder erweitert (siehe Grafik). Dann gibt es auch einen gemeinsamen Agrarmarkt. Und weil die osteuropäischen Betriebe noch nicht alle nach den hohen EU-Standards produzieren, befürchtet der Bauernpräsident, dass nach der Grenzöffnung unerwünschte Lebensmittel in deutschen Supermärkten liegen, die dem Ruf der deutschen Bauern schaden könnten. „Gelangen solche Lebensmittel in unsere Supermärkte, dann steigt die Gefahr für Lebensmittelskandale natürlich“, sagt Sonnleitner. Aber auch die niedrigeren Preise vermeintlich minderwertiger Produkte beunruhigen ihn.

Auf der Internationalen Grünen Woche, die am kommenden Freitag in Berlin beginnt, werden die Aussteller aus dem Osten ihr Bestes geben, um ihren deutschen Kollegen das Gegenteil zu beweisen. Immerhin haben sich die neuen Kandidaten verpflichtet, die gleichen Qualitätsstandards einzuhalten wie die alten EU-Länder. Um den Beitrittsländern die Annäherung an westliche Standards zu erleichtern, gewährt die EU den zehn Ländern außerdem finanzielle Unterstützung von knapp 28 Milliarden Euro in den Jahren 2004 bis 2006. Insgesamt, da sind sich Experten sicher, ist die Erweiterung eine Chance für die deutschen Bauern – und auch für die Verbraucher.

Die deutschen Landwirte jedoch folgen der Furcht ihres Präsidenten: Sie sehen dem Trendmonitor der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) zufolge die Osterweiterung zunehmend skeptisch. Während vor fünf Jahren noch jeder Dritte eher Chancen sah, war es im vergangenen Herbst nur noch etwa jeder Fünfte. Fast 80 Prozent erwarteten eher Schwierigkeiten. DLG-Präsident Philip von dem Bussche jedoch ist überzeugt, dass nach der Erweiterung „die Stimmung umschlagen wird“. Die deutsche Landwirtschaft habe auch im erweiterten Europa Zukunft, sagt der DLG-Präsident.

Während die Produkte aus Osteuropa strengsten Kontrollen unterliegen und ohne den EU-Normen zu entsprechen höchstens für den Eigenbedarf oder für den Export an Drittstaaten genutzt werden können, wird den westeuropäischen Produkten am 1. Mai ausnahmslos und schlagartig die Tür zu den Märkten des Ostens eröffnet.

Auch der Göttinger Agrarökonom Stefan von Cramon-Taubadel von der Universität Göttingen hält allzu große Besorgnis für überflüssig. „Es wird für zwei bis drei Jahre ein Anpassungsproblem bei den Qualitätsstandards geben“, vermutet er. Aber selbst wenn Ostprodukte hier verkauft würden, sei das nicht weiter bedenklich. „Es ist schließlich nicht so, dass die Polen reihenweise an Lebensmittelvergiftung sterben“, sagt der Ökonom. Statt noch vor der Erweiterung Panik zu verbreiten, schimpft eine Sprecherin des Verbraucherministeriums, seien die deutschen Bauern besser beraten, sich frühzeitig auf den Märkten des Ostens umzusehen und dort zu positionieren. Die Chance, die die Osterweiterung biete, sei groß – auch durch eine zunehmend kaufkräftiger werdende Kundschaft. Das sieht Peter Weingarten, Agrarökonom am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa, ähnlich. „Die deutsche Agrarindustrie hat in der Vergangenheit mehr Agrarprodukte in die Beitrittsländer exportiert als umgekehrt von dort nach Deutschland geliefert werden“, sagt Weingarten. „Es ist nicht davon auszugehen, dass der deutsche Markt jetzt plötzlich mit Ost-Agrarprodukten überschwemmt wird.“

Nachteile könnten Bauern entstehen, die Sonderkulturen anbauen, wie etwa Johannis- oder Himbeeren. Weil diese Produkte sehr arbeitsintensiv seien, könnten osteuropäische Länder sie dank deutlich niedrigerer Arbeitskosten billiger produzieren. Einen plötzlichen Preisrutsch erwartet Weingarten trotzdem nicht.

Auch bei den Biobauern löst die Osterweiterung eher Hoffnung als Skepsis aus. Denn immerhin hat die Perspektive der Erweiterung die EU-Regierungschefs auch dazu gebracht, die Agrarpolitik zu reformieren (siehe Kasten unten). Der grüne Europaparlamentarier und Agrarexperte Friedrich Graefe zu Baringdorf ist zuversichtlich, dass jetzt die Zeit der Agrarfabriken vorbei ist und in ganz Europa „die regionale Erzeugung von Lebensmitteln und nicht mehr die Massenproduktion von Agrarrohstoffen gefördert wird“. Vor allem bei den zahlreichen kleinen Subsistenzbetrieben in Polen hofft er, dass sie diese Rolle einmal übernehmen werden. „West- und osteuropäische Bauern sind doch keine Gegner“, sagt Baringdorf. Der wahre Kampf finde zwischen den Agrarfabriken und der regionalen Landwirtschaft statt.

Maren Peters, Flora Wisdorff

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