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Wirtschaft: Was macht die Zigarettenindustrie ohne Werbung?

In den Führungsetagen wird heftig über Alternativen nachgedacht / Sorgen machen sich vor allem die kleinen HerstellerVON VANESSA LIERTZ BERLIN.Wenn, wie von den EU-Gesundheitsministern geplant, spätestens im Jahre 2006 kein Marlboro-Mann mehr über die Leinwände galoppiert und kein knuddeliges Kamel mehr an einem Plakat prangt, wie soll dann die Zigarettenindustrie weiter ihre Raucher bei der Stange halten?

In den Führungsetagen wird heftig über Alternativen nachgedacht / Sorgen machen sich vor allem die kleinen HerstellerVON VANESSA LIERTZ

BERLIN.Wenn, wie von den EU-Gesundheitsministern geplant, spätestens im Jahre 2006 kein Marlboro-Mann mehr über die Leinwände galoppiert und kein knuddeliges Kamel mehr an einem Plakat prangt, wie soll dann die Zigarettenindustrie weiter ihre Raucher bei der Stange halten? Darüber grübeln jetzt diverse Marketing-Abteilungen, sei es beim deutschen Marktführer Philip Morris in München oder im Hamburger Haus des größten nationalen Unternehmens Reemtsma.Allerdings: Auf die Zahl der Konsumenten dürfte sich das Werbeverbot kaum auswirken, schätzt der Verband der Deutschen Cigarettenindustrie (VdC).Tatsächlich hat sich der Verbrauch an Zigaretten seit zwanzig Jahren nicht wesentlich geändert und schwankt um die 130 Mrd.Stück. So verkauften Zigarettenunternehmen mit Sitz in Deutschland 1976 insgesamt rund 129 Mrd.Glimmstengel, während es 1997 circa 137 Mrd.waren.Und das, obwohl sich nach der Wiedervereinigung zu den 18 Millionen westdeutschen Rauchern noch ungefähr sechs Millionen aus den neuen Bundesländern gesellt haben. Immer wieder haben sich die Marktanteile der einzelnen Wettbewerber geändert.Zum Teil drastisch, wie das Beispiel Philip Morris zeigt: Kurz nach dem Einstieg in das deutsche Geschäft im Jahre 1970 hatte das Unternehmen mit seiner roten Marlboro einen Marktanteil von etwas über einem Prozent, während heute mehr als 40 Prozent aller Raucher zu den diversen Philip Morris und Marlboros greifen.Trotz der gesundheitspolitischen Debatten ist der deutsche Tabakmarkt also weiterhin attraktiv geblieben, zumal dort noch immer Renditen von bis zu neun Prozent winken.Wie sich aber ein möglichst großes Stück dieses Marktkuchens ergattern? Länger schon halten sich Reemtsma und das Unternehmen British American Tabacco (BAT) auf Platz zwei und drei, während Rothmans (früher Martin Brinkmann) und Reynolds sich mühen, keine weiteren Prozente zu verlieren.So wurden zahlreiche Raucher der einstigen Trendmarken Lord Extra (Rothmans) und Camel (Reynolds) abtrünnig: Die Marktanteile von Lord Extra sanken von 3 auf 2,7 Prozent und die von Camel von 3,3 auf 2,5 Prozent.Anders Lucky Strike und Pall Mall von BAT, die um ähnliche Mengen zulegten, so daß der Konzern damit seine Verluste mit der Marke HB ausgleichen konnte.Auf dem gesamten Markt haben sich insbesondere die Leichtzigaretten durchgesetzt, die heute einen Anteil von dreißig Prozent belegen. Das Werbeverbot würde vielleicht den Großen ihren Löwenanteil sichern.So sieht es zumindest Philip Morris.Einerseits hätte das Unternehmen nach den Worten von Pressesprecher Nicolai Tebis dann Grund zur Freude, denn ohne Kinospots, Plakate oder Zeitschriftenreklame könnten neue Anbieter ihnen schwerlich die Kunden abwerben.Andererseits: "Wo keine Werbung ist, da ist auch kein Wachstum." Und darauf möchte der deutsche Ableger des US-Konzerns, dessen Umsatz hierzulande im letzten Jahr von 11,5 Mrd.DM auf 12 Mrd.DM stieg, nicht verzichten. So will die gesamte Zigarettenindustrie keinen Markt ohne Wettbewerb durch Werbung.Der VdC-Vorsitzende und Reemtsma-Vorstandssprecher Ludger Staby hält das totale Werbeverbot in dieser Branche sogar "für eine Katastrophe." Damit würden sich die Spielregeln auf dem Markt in einer Weise ändern, die mindestens den kleineren Konkurrenten mißfallen müßte: "Am Ende bleibt der Preis das einzige Regulierungsinstrument", prophezeit er.Das könne doch auch nicht im Interesse des Fiskus sein, wundert sich Staby.Der Staat hat im vergangenen Jahr immerhin 25 Mrd.DM Tabaksteuer abgeschöpft. Ob sich der Staat schon ausgemalt hat, wie er dieses neue Loch in der Kasse stopfen will, bezweifeln Vertreter der Zigarettenindustrie ebenso wie führende Köpfe in der Werbebranche.Sie sinnieren stattdessen hinter verschlossenen Türen schon über Strategien, wie der Markt auch ohne Werbung zu erobern sei.Dann bleibe den Unternehmen nichts anderes übrig, als am Kiosk selber für ihre Produkte Reklame zu machen, vermutet Stefan Rebbe, Geschäftsführer der Werbeagentur Kolle Rebbe - oder den Verkäufer mit Geldgeboten davon zu überzeugen, die eigene Marke möglichst vorne ins Regal zu stellen. Heute macht Reebe knapp ein Fünftel seines Umsatzes mit Zigarettenwerbung.Insgesamt drohen der Werbewirtschaft mit dieser Maßnahme aber keine größeren Einbrüche.Der Anteil der Zigarettenreklame am Gesamtumsatz der Werbebranche von 38,5 Mrd.DM im letzten Jahr war nur etwas größer als ein Prozent. Auch ohne Werbung wird es genausoviele Raucher geben wie vorher, ist Reemtsma-Vorstand Staby überzeugt - vielleicht sogar mehr: Schließlich habe eine OECD-Studie ergeben, daß solche Maßnahmen in anderen Ländern wenig gefruchtet hätten.Tatsächlich stieg der Zigarettenverbrauch in Finnland, Norwegen und Italien nach Verhängung eines Werbeverbots im Schnitt leicht.Lediglich in Canada griffen offenbar weniger Menschen zum Glimmstengel, was aber auch mit massiven Steuer- und Preiserhöhungen zusammenhängen kann. Vorläufig hoffen die Zigarettenmacher- und -werber, daß sich die europäischen Gesundheitsminister doch noch umentschließen und der Verbraucher auch weiterhin via Cowboys, Kamelen oder verspielten Zigarettenschachteln an seine Sucht erinnert werden darf.Wenn nicht, ist zumindest Staby in einer Hinsicht optimistisch: "Die Kreativität ist der Regulierungskunst immer überlegen."

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