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Wirtschaft: Was Sars über Bioterrorismus lehrt

Der Umgang mit der Lungenkrankheit Sars macht die mangelnde Vorbereitung auf solche Gefahren deutlich

Von Peter Fritsch,

Matt Pottinger,Leslie Chang

und Marilyn Chase

Im Irak-Krieg blieb der befürchtete biochemische Anschlag der Iraker aus. Doch die Sorge vor tödlichen Viren und Bakterien ist real. Die Lungenkrankheit Sars hat vor allem Asien zu einer unschönen Fallstudie für mögliche Folgen eines globalen bioterroristischen Anschlags gemacht. Die Reaktion in den betroffenen Ländern reicht von Leugnen der Krankheit bis zur Hysterie; die Eindämmung der Seuche gelang keinem.

Die gefährliche Krankheit nahm vor einem Monat in Südchina ihren Anfang und breitete sich bis nach Hongkong, Singapur und Kanada aus. Mehr als 2700 Menschen auf fünf Kontinenten sind am Virus erkrankt, rund 100 starben. Bislang ist der Umgang von Politikern und Bürgern mit der unsichtbaren Gefahr wenig ermutigend. Vor allem die anfängliche Informationssperre in China verdross die Gesundheitsbehörden. Wie soll man eine Seuche bekämpfen, wenn das Ursprungsland eine virtuelle Quarantäne über Informationsfluss und wissenschaftliche Ermittlungen verhängt?

Die Lungenkrankheit Sars wirft die grundlegende Frage auf, wie sich ein Land im Zeitalter der Globalisierung überhaupt vor einer Seuchengefahr schützen kann. Wie schwierig die Eindämmung eines hochansteckenden Fiebers ist, zeigt der Blick auf die am stärksten betroffenen Länder. China, Singapur und Hongkong haben unterschiedlich gut auf den Ausbruch der gefährlichen Krankheit reagiert. China unternahm lange Zeit nichts und verbot sogar der Weltgesundheitsorganisation, in die infizierten Regionen zu reisen. Singapur stellte dagegen sogar gesunde Bürger unter Massenquarantäne und schloss nach dem ersten Sars-Todesfall für eine Weile alle Schulen. Und Hongkong ging gegen die gefährliche Lungenkrankheit vor, wie es vielleicht auch eine freiere, westliche Gesellschaft getan hätte. Die Metropole zögerte, die Rechte ihrer Bürger zu beschneiden. Die Stadt griff erst zu extremen Maßnahmen wie einer Quarantäne, als es absolut notwendig war.

Chinas Behörden haben versagt

Das Ergebnis: Sars breitete sich rasant aus. China ist ein Negativbeispiel für den Umgang mit einer Seuche. Als Mitte November mehrere alarmierende Atemwegserkrankungen in der Stadt Foshan nahe Guangshou auftraten, meldeten die örtlichen Gesundheitsbehörden den Vorfall nicht weiter. Sie taten, als handele es sich um eine normale Lungenkrankheit. Mehrere Wochen später erkrankten in der 200 Kilometer entfernten Stadt Heyuan drei Patienten an Sars und steckten eine Reihe von Ärzten und Krankenschwestern an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste der chinesische Staat um die hohe Ansteckungsgefahr der Krankheit wissen.

Und dennoch: „Das Gesundheitsministerium gab keine Warnungen heraus. Es informierte nicht einmal die Krankenhäuser, in die es die Patienten verlegte“, sagt ein Arzt eines größeren städtischen Krankenhaus in Guangshou, das einige der Sars-Patienten behandelte. Die Zensur der chinesischen Medien verschlimmerte die Sache noch. Als der Virus im Januar in immer mehr chinesischen Städten grassierte, beruhigten die Zeitungen ihre Leser. Ein Blatt schrieb gar, die atypische Lungenentzündung (wie Sars anfangs genannt wurde) sei keineswegs gefährlich.

Anders als China hat der Vier-Millionen- Einwohner-Stadtstaat Singapur nicht lange gefackelt. Er unternahm sofort Schritte zur Eindämmung der Seuche. Mitte März traten im Land die ersten Sars-Fälle auf, mehr als zehn Krankenschwestern waren erkrankt. Mit Berufung auf ein Gesetz von 1976 stellte die Singapurer Regierung rund 1000 gesunde Kontaktpersonen der Sars-Erkrankten unter Androhung hoher Strafen unter eine zehntägige Quarantäne. Dabei blieb es nicht: Am 27. März schloss Singapur alle Schulen. Die willfährige Bevölkerung protestierte kaum. Die Gesundheitsbehörden verlegten außerdem alle Sars-Fälle in ein Krankenhaus und steckten das Pflegepersonal in komplette Schutzanzüge, wie sie für biochemische Anschläge gedacht sind.

Einige Maßnahmen schienen zu viel des Guten. So durfte das Fernsehen seine „Live- Shows“ nicht mehr mit „Live-Publikum“ drehen. Mit derart rigiden Maßnahmen dämmte Singapur die Sars-Krankheit ein – allerdings nicht ganz. Der Stadtstaat lebt vom Handel. Singapur konnte nicht verhindern, dass Menschen den Virus aus dem Ausland mitbrachten. Bisher stellte man vier Fälle „importierter“ Sars fest. So erkrankte eine 29-jährige Singapurerin auf einer Reise nach Hongkong und China. Neun Tage nach ihrer Rückkehr aus Peking starb sie. „Unsere Maßnahmen waren gut, ich würde aber nicht von einem Sieg sprechen“, sagte deshalb Singapurs Gesundheitsminister Lim Hng Kiang. Doch einige asiatische Länder ständen erst am Anfang ihrer Arbeit. „Können sie die Krankheit wirksam bekämpfen?“, fragt sich deswegen Lim Hng Kiang. „Wenn eines der Länder versagt, laufen wir Gefahr, dass Sars außer Kontrolle gerät.“

In Singapur sind nach offiziellen Angaben 106 Menschen am Virus erkrankt und sechs gestorben. In Singapur und Toronto ist die Quarantäne möglicher Sars-Erkrankter gelungen. Doch in Ländern, deren Bevölkerung weniger auf das Gemeinwohl bedacht ist, müssen sich die Gesundheitsbehörden zurecht fragen, ob eine Zwangs-Quarantäne nicht nach hinten losgeht. Werden manche Bürger nicht lieber auf die medizinische Behandlung verzichten, als sich von Familie oder Wohnung zu trennen?

Die Erfahrungen in Hongkong legen dies nahe. Im März brach die Sars-Krankheit im Wohnkomplex Amoy Gardens aus. Bis die Regierung den Mut aufbrachte und die Anwohner unter eine zehntägige Quarantäne stellte, war die Hälfte der Familien schon geflohen. Über die Medien waren sie bestens informiert. Nun suchen 30 Polizisten die 113 geflohenen Familien, da sie andere anstecken könnten. Trotz dringender Bitten der Regierung bleiben die Amoy Gardens-Flüchtlinge weiter in ihren Verstecken.

Peter Fritsch[Leslie Chang], Matt Pottinger[Leslie Chang], Mari

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