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Wirtschaft: Weckruf für Europa

EUKommissionspräsident José Manuel Barroso verkündete dieser Tage seinen lang angekündigten Kampf gegen die Bürokratie. Die Streichung von 68 vorgeschlagenen EU-Gesetzen bedeutet für den portugiesischen Politiker nichts Geringeres als den Versuch, seine Präsidentschaft zu retten.

EUKommissionspräsident José Manuel Barroso verkündete dieser Tage seinen lang angekündigten Kampf gegen die Bürokratie. Die Streichung von 68 vorgeschlagenen EU-Gesetzen bedeutet für den portugiesischen Politiker nichts Geringeres als den Versuch, seine Präsidentschaft zu retten.

Nach seinem „annus horribilis“ muss Barroso irgendwo den Anfang machen. Wenn er das mit einer kräftigen Portion Deregulierung tut, so vermittelt das genau die richtige Botschaft, dass nämlich seine Kommission das träge alte Europa wachrütteln will.

Seine eigenen Bürokraten freilich sind ihm feindlich gesonnen. Viele Brüsseler Karrierebeamte verachten die an die Spitze des Apparates berufenen Entscheidungsträger und glauben, dass die Institution nach ihren eigenen Regeln funktioniert. Nicht zuletzt besteht ihre Daseinsberechtigung als Regulierer darin, zu regulieren. Insofern bedeutet Barrosos Vorhaben für sie eine direkte Bedrohung. Barrosos zweites Handikap sind seine Kommissare. Dem „Dream Team“ gehörten prominente europäische Politiker mit starkem wirtschaftsliberalen Profil an. Manche seiner Schwergewichte entpuppten sich dann aber als Enttäuschungen im Amt.

Vergessen wir außerdem nicht, dass Barroso der erste Kommissionspräsident ist, der den Posten ohne die volle Unterstützung Frankreichs und Deutschlands bekam. Zur Erinnerung: Tony Blair und die „Neuen Europäer“ lehnten deren Kandidaten – Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt – ab und schlugen den proamerikanischen Barroso vor. Gerhard Schröder und Jacques Chirac haben dem portugiesischen Premierminister nie verziehen. Chirac behandelt ihn geradezu wie seinen Kammerdiener. Er nennt ihn einen „Ultraliberalen“ – die höchste Beleidigung in Frankreich.

Wenn man davon ausgeht, dass Schröder in nicht allzu ferner Zukunft aus dem Amt scheidet, wird die Hälfte von Barrosos französisch-deutschem Problem gelöst sein. Wenn der Portugiese sich entschließt, dem Franzosen im Elysee-Palast die Stirn zu bieten, wäre auch die andere Hälfte zu lösen.

Manche Ereignisse entziehen sich Barrosos Kontrolle, wie etwa die Ablehnung der EU-Verfassung durch die Franzosen und Niederländer oder das unschlüssige Ergebnis der Bundestagswahl in Deutschland. Die Kommission kann der EU nur begrenzt wirtschaftliche Reformen aufzwingen, und dennoch verfügt sie in vielen Bereichen über Einflussmöglichkeiten, das Unternehmertum und die Wirtschaft Europas entscheidend mitzugestalten.

Barroso hat bislang nicht genügend politischen Mut aufgebracht, seine Vorstellungen von „Arbeitsmarkt und Wachstum“ nachdrücklich genug durchzusetzen. Der Kampf gegen die Bürokratie kann die Dinge wenden. „Die Union muss mehr sein als ein Ort der Deregulierung und des simplen freien Austausches“, sorgte sich ein französischer Diplomat, wie die linke Tageszeitung „Libération“ dieser Tage aus Brüssel meldete. Solange Barroso die Franzosen verdrießt, macht er jedenfalls etwas richtig.

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