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Weihnachtsbäume: Eine Wachstumsbranche

Samen aus Georgien, Stämme aus Deutschland: Von der Ökonomie des Weihnachtsbaums.

Düsseldorf - Der Brief des deutschen Botschafters verhieß nicht Gutes, damals vor 20 Jahren. „Die Inverkehrbringung christlicher Symbole“ in die Vereinigten Arabischen Emirate oder nach Kuweit sei strengstens untersagt. Hans-Lothar Werth drohte die Todesstrafe und ließ es lieber bleiben. Ein Pionier wollte er sein, aber sicher kein Missionar. Ihm ging es immer nur um Weihnachtsbäume, um ein gutes Geschäft, damals wie heute.

Werth sieht sich auch heute noch als Pionier der Weihnachtsbaumbauer. Bereits 1994 verkaufte er Bäume im Internet (www.weihnachtsbaum.de). Als die Seiten noch schwarz-weiß waren, konnten die User dort ihre Bäume schon virtuell schmücken. Eine neuseeländische Computerfirma verlieh ihm damals den Preis für die weltweit beste Internet-Verkaufsseite. 5000 Mark gab es dafür.

Heute besitzt Werth 400 Hektar Anbaufläche, vor allem im Saarland. Das entspricht mehr als 500 Fußballfeldern. „Über 1,5 Millionen Bäume könnte ich jedes Jahr verkaufen“, sagt er. Wie viele es tatsächlich sind, verrät er nicht. Mit Sicherheit ist Werth einer der Großen der Branche, im Internethandel sogar der Größte Europas. Es ist eine Branche, die allein in Deutschland in diesem Jahr 28,5 Millionen Bäume verkaufen und rund 670 Millionen Euro umsetzen wird, aber über die man wenig weiß – außer, dass sie wächst.

40 bis 50 Großbauern dominieren das Geschäft, alle haben mehr als 200 Hektar Anbaufläche. Doch über Zahlen reden sie nicht gern. Nicht einmal Bernd Oelkers, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Weihnachtsbaum- und Schmuckgrünerzeuger. Für Statistiken hat er derzeit auch gar keine Zeit: Auf seiner 300 Hektar großen Plantage in Wenzendorf verkauft er in den letzten sechs Wochen vor Weihnachten 180 000 Bäume. 80 Prozent aller in Deutschland verkauften Bäume – so viel kann Oelkers sagen – kommen aus deutschen Wäldern.

Mit 65 bis 70 Prozent etwas niedriger beziffern Ursula Geismann vom Holzverband HDH und Christoph Rullmann von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald den Anteil deutscher Herkunft. Die anderen Bäume kommen vor allem aus Dänemark – im vergangenen Jahr waren es 5,5 Millionen Bäume.

Doch was alle Verbände und Funktionäre gern verschweigen: Das Mutterland vieler deutscher Weihnachtsbäume ist Georgien. Im Nordkaukasus, mitten im Krisengebiet, auf einer Höhe von 900 bis 1000 Metern stehen alte Tannen, und dort hängen sie, bis zu 20 Meter hoch im Baum: die Zapfen, die den deutschen Christbäumen ihre Samen spenden.

Henning Pein ist Deutschlands größter Samenhändler und damit an der Produktion vieler deutscher Weihnachtsbäume beteiligt. Er beliefert auch Oelkers’ Hof in Wenzendorf. Jedes Jahr fliegt er mit zwei Kollegen um den 20. September herum nach Georgien, später noch mal nach Russland. Im Geländewagen fahren sie von Tiflis in den Nordkaukasus, acht Stunden dauert die Fahrt ins Mittelgebirge. Eine Woche schlafen sie bei den Familien der georgischen Leiharbeiter. Tagsüber klettern sie auf Bäume und pflücken die Zapfen, aus denen sie die Saat für die deutschen Bäume gewinnen. „Die Höhenlage, die 150, 200 Jahre alten Bestände, die Bestäubung und die Nadelstellung – das findest Du sonst nirgends“, schwärmt Pein.

Bereits vor mehr als zehn Jahren hat er Lizenzen in Georgien erworben und die Bestände ausgewiesen. Professor Jürgen Matschke von der Universität Göttingen half ihm dabei. „Wir haben den genetischen Fingerabdruck der Bäume“, sagt Pein. So könnten sie immer nachvollziehen, woher die Saat komme, und das sei einzigartig. Noch vor Ort gewinnen sie dann aus den Zapfen die Samen.

Ein Kilogramm Samen kostet im Handel rund 100 Euro und reicht für 3000 bis 5000 Setzlinge. Pein sagt, er bringe einige Tonnen Samen zurück nach Deutschland – theoretisch wären das Millionen von Setzlingen. Wie viel genau, möchte er nicht sagen. Nur so viel: Rund 35 Prozent der Weihnachtsbäume, die aus Deutschland kommen, gehen auf seine Samen aus den Baumspitzen Georgiens zurück.

Pein verkauft die Samen in Deutschland an 40 bis 50 Baumschulen, behält aber einen großen Teil selbst. Anfang Mai kommen sie für zwei Jahre ins Saatbeet, dann werden sie für ein bis zwei Jahre noch mal umgesetzt. Je nach Alter bekommt Pein 50 bis 60 Cent für jeden kleinen Setzling, den er an Weihnachtsbaumproduzenten wie Bernd Oelkers verkauft.

Auf den Riesenplantagen sollen aus kleinen Setzlingen kräftige Tannen werden. „Schlank und symmetrisch gewachsen“ sollten sie sein, und bei einer Größe von 1,80 Meter brauche es schon fünf Etagen, sagt Oelkers zu den Gardemaßen. Doch die sind nicht so leicht zu bekommen. Denn es dauert zehn Jahre, bis eine Nordmanntanne einigermaßen erwachsen ist. Viele Produzenten bekommen nicht einmal die Hälfte ihres Bestandes durch die Winter. Mal ist es ein Sturm wie Kyrill, mal Spätfrost im Mai, und auf manchen Bäumen sprießen plötzlich Terminale, wie hässliche Doppelspitzen im Weihnachtsbaumlatein heißen.

Der 46-jährige Oelkers schwört auf eine Beregnungsanlage, die die Knospen beim Spätfrost schützt. Die kostete zwar 200 000 Euro, aber dafür bringt er jetzt fast 70 Prozent seiner Bäume gut durch, und weitere 20 Prozent kann er immerhin noch als Schnittgrün verkaufen. 23 Euro zahlen die Deutschen in diesem Jahr im Schnitt für ihre Bäume. Die Produzenten versuchen, zwei bis drei Euro Gewinn pro Baum zu machen.

Der Markt ist heiß umkämpft, in Georgien und in Deutschland. Das Geschäft mit den Weihnachtsbäumen blüht. Der Umsatz stieg seit 2000 um mehr als 60 Prozent. Dabei legten sowohl die Preise als auch der Absatz zu. Die Zahl der verkauften Bäume stieg in Deutschland seit 2000 von 24 auf mehr als 28,5 Millionen. Vom „Trend zum Zweitbaum“ spricht Ursula Geismann vom Holzverband ganz ernsthaft: „Immer mehr Leute stellen sich bereits zu Beginn der Weihnachtszeit einen Baum in den Garten oder auf den Balkon.“

Vor allem aber sind deutsche Weihnachtsbäume im Ausland heiß begehrt, in Osteuropa, aber auch in fernen nichtchristlichen Ländern gilt der westliche Weihnachtsbaum als schick. Auch auf dem Hof von Verbandschef und Großbauer Oelkers stehen Kisten mit dem Ziel Ägypten, bei ihm sind sie aber die Ausnahme. „Wir sind als Traditionsunternehmen sehr in der Region hier verwurzelt“, sagt er. Nur drei Lastwagen bringen Bäume ins Ausland. Dafür schöpft Oelkers am heimischen Hof alle Einnahmequellen aus. Während er im Frühjahr noch sein Geld mit Spargel verdient, verwandelt er seinen Hof ab November in einen Erlebnispark: mit 280 Quadratmeter großem Hofladen, Cafeteria, großem Saal und Festscheune für bis zu 700 Leute. Es gibt ein Kettenkarussell, Weihnachtsbäckerei und Ponyreiten.

Auch Pionier Hans-Lothar Werth hat sich auf seiner Internetseite wieder etwas einfallen lassen. Von der organisierten Firmenweihnachtsfeier bis zur mobilen Eislaufbahn kann man dort alles bestellen. Sein Blick geht jedoch seit jeher stärker ins Ausland, in 200 Länder liefert er inzwischen. „Zu Beginn des Internetzeitalters gab es eine verschworene Gemeinde, die alles mal ausprobieren wollte“, erzählt er. Und so bestellten schon 1994 Menschen in Ghana Tannenbäume bei Hans-Lothar Werth aus dem Saarland.

Aber er wartet nicht nur auf Bestellungen aus dem Internet, sondern beliefert Supermärkte und Baumärkte in ganz Europa mit Lastzügen voller Bäume. Nicht alles ist Massenware: Für Firmenfoyers und Marktplätze bietet er auch 30 Meter hohe Riesenbäume, die mehrere 1000 Euro kosten.

Werth arbeitet mit einem Kernteam von 30 bis 50 Leuten auf verschiedenen Plantagen in ganz Europa, zu Boomzeiten werden es schnell mehr als 300. Weihnachtsbaumbauen ist klassische Saisonarbeit. Ob Werth, Oelkers oder Pein – alle sind auf günstige Arbeitskräfte vor allem aus Osteuropa angewiesen. So klagt Oelkers, dass viele Polen mittlerweile lieber ganzjährig in Großbritannien als monatsweise in Deutschland arbeiten. Er verstehe das gut, sagt er. Aber auch deswegen seien die Bäume hierzulande so teuer. HB

Stefan Tillmann

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