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Verdächtiger gesichtet. Ob Ermittler, Sicherheitsberater, Richter, Staatsanwälte, Steuerberater oder investigative Journalisten - der Masterstudiengang „Criminal Investigation“ ist für viele geeignet. Jobchance im Anschluss: gut. Foto: dpa

© dpa-tmn

Weiterbildung: Dem Täter auf der Spur

Quereinsteiger können über den Masterstudiengang Kriminalistik neue Karrierewege gehen.

Das Holz des Spazierstocks hat Bissspuren. Also hat der Besitzer wohl einen Hund, der ihm den Stock hinterher trägt, stellt Sherlock Holmes zu Beginn des Krimis „Der Hund von Baskerville“ fest. Ein Teil des banalen Alltags soll also Auskunft geben – vielleicht sogar über ein Verbrechen. Holmes Freund Watson hat die Spuren nicht gleich entdeckt. „Ein Ermittler muss mehr sehen als andere und das in kürzerer Zeit“, sagt Wolfgang Benz, der 26 Jahre bei der Hamburger Kriminalpolizei tätig war. Jetzt stellt er sein kriminalistisches Know-How in den Dienst der Technikerkrankenkassse – als Leiter der Unternehmenssicherheit. Und von Oktober an wird er die Feinheiten von Kriminaltaktik und Kriminalstrategie den Studenten des neuen Studiengangs Master of Arts Criminal Investigation beibringen – an der School of Governance, Risk and Compliance der Steinbeis-Hochschule Berlin.

Zu den Inhalten sollen auch noch IT-Forensik, fallspezifisches Informationsmanagement, Strafrecht, Forensische Psychologie, Betriebswirtschaft und „Business Culture“ gehören. Er richtet sich sowohl an Bewerber aus der öffentlichen Verwaltung als auch aus der Privatwirtschaft – also an private und betriebliche Ermittler, Fachkräfte der Unternehmenssicherheit, Sicherheitsberater, Mitarbeiter und Beamte von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, Richter, Staatsanwälte, Straf- und Unternehmensverteidiger, Psychologen, freiberufliche Forensiker, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder investigative Journalisten.

„In dem Studiengang geht es um Wirtschaftskriminalität, aber auch um Blut und Sperma“, sagt Birgit Galley, Direktorin der School of Governance, Risk and Compliance. „Kriminalistik als Studiengang gab es fast 20 Jahre lang nicht in Deutschland.“, sagt sie. Durch gebe es immer weniger Experten, die in der Wirtschaft aber zunehmend gebraucht würden. So würden der Polizei die Leute abgeworben. Aber die Polizisten müssten erst die wirtschaftliche Seite des Jobs lernen.

Wolfgang Benz ist etwa für das „Bedrohungsmanagement“ zuständig: Es sei schon vorgekommen, das Filialen der Krankenversicherung bedroht worden – durch Sicherheitskonzepte versucht er, so etwas zu verhindern. Auch leitet er eine Ermittlungseinheit, die gegen Abrechnungsbetrug in Kliniken vorgeht. „Der Bedarf für so etwas ist da. Die Ermittlungsbehörden arbeiten mit uns zusammen.“

Um Kontakte und Netzwerke geht es auch im Studium der Kriminalistik an der Steinbeis-Hochschule, die auch kürzere Zertifizierungslehrgänge für Ermittler ohne Bachelorabschluss anbietet – etwa den Certified Investigation Expert (CIE). Zudem gibt es schon seit längerem einen Master in Compliance Fraud Management, in dem es um Wirtschaftskriminalität geht. „Netzwerke sind das A und O“, sagt Birgit Galley, die die Studenten in Wirtschaftskriminalität unterrichten wird. „Und dass man über den Tellerrand hinaus denken kann.“ Sie ist zertifizierte Betrugsermittlerin, schreibt auch Gutachten in Strafverfahren.

Die Studenten sollen lernen, in Notfällen zu wissen, was zu tun ist – auch im Fall einer Entführung: „Es gibt viele Unternehmen, die in Ländern operieren, in denen es das Risiko gibt, entführt zu werden“, sagt Galley.

Ex-Kommissar Benz kann da im Seminar Fallbeispiele aus „alten Zeiten“ nehmen – wie die Entführung von Unternehmer Jan-Philipp Reemtsma: „Da war ich von Anfang an dabei.“ Anhand dieser Geschichte könne man etwa ein Kommunikationskonzept im Fall einer Entführung vorstellen. „Kriminalistik ist eine technische und praktische Disziplin“, sagt Benz.

Ähnlich wie Sherlock Holmes seinem Watson will Benz den Studenten eine „andere Sicht auf die Dinge“ beibringen. An Fallbeispielen übt er mit ihnen, „zu welchem Zeitpunkt man aus welchen Gründen etwas macht – etwa eine Befragung oder eine Observation. Und was man damit erreichen will.“ Es geht aber auch um praktische Dinge wie Spurensicherung an einem Tatort. „Deswegen eignet sich der Studiengang auch gut für Strafverteidiger“, sagt Galley. „Für sie kann es wichtig sein, Spurenketten nachvollziehen zu können – etwa ob in einer DNA-Untersuchung keine Fehler gemacht wurden.“

Ein solch praktischer Kriminalistik-Studiengang käme für ihn nicht infrage, sagt der Fachanwalt für Strafrecht Dirk Uden. „Nach 20 Jahren im Beruf weiß ich, welche Fragen ich wann stellen muss und muss kein Spezialist für Forensik werden. Aber für jemanden, der gerade mit dem Beruf anfängt, kann es interessant sein, so einen Schwerpunkt zu setzen.“ Der Studiengang habe Inhalte, die im normalen Jura-Studiengang nicht gelehrt würden. Statt sich in Kriminalistik fortzubilden ist der 50-Jährige jedoch gerade dabei, seine Masterarbeit in Kriminologie an der Uni Hamburg zu schreiben. „Kriminalistik ist die Lehre vom Verbrechen – Kriminologie die Lehre vom Verbrecher“, sagt Ex-Kommissar Benz.

Rechtsanwalt Uden verteidigte 2009 den islamistischen Terroristen Fritz G., den Anführer der so genannten Sauerland-Gruppe, die ein Bombenattentat auf amerikanische Einrichtungen und Soldaten in Deutschland geplant hatten. Der Angeklagte wurde zu 12 Jahren Haft verurteilt, der Anwalt wollte mehr über Terrorismus und Extremismus wissen. So kam er auf den Weiterbildungsmaster.

Kriminologie wird meist als eine Art „Anhängsel“ zum Strafrecht angeboten. An vielen Universitäten kann man im Jura-Hauptstudium Kriminologie belegen und im Examen darin geprüft werden. Am Institut für Kriminologische Sozialforschung in Hamburg, wo Uden seinen Master macht, werden zwei verschiedene Kriminologie-Masterstudiengänge angeboten: ein regulärer „konsekutiver“ für Vollzeitstudenten und ein berufsbegleitender.

Sebastian Scheres ist Professor am Hambuger Institut und findet den neuen Kriminalistik-Master in Berlin „wohl eine ganz interessante Sache, aber etwas ganz anderes als wir machen.“ Kriminalstrategie und Kriminaltaktik bieten sie gar nicht an. Stattdessen würden soziologische Theorien analysiert. Es gehe nicht so sehr um das „Who-has-done-it“.

Die Studenten für den Hamburger Vollzeit-Master brächten meistens Abschlüsse in Soziologie, Politik, Erziehungswissenschaften, Journalistik, Jura oder Psychologie mit. „Wir hatten auch schon einen Ozeanografen dabei. Und die Journalistin arbeitet jetzt am internationalen Strafgerichtshof.“ Einige seien beim Bundesnachrichtendienst gelandet. Viele Absolventen gingen auch in die Forschung oder leiteten inzwischen Justizvollzugseinrichtungen. „Einer ist jetzt Vorsitzender der Piratenpartei – da gibt es sehr unterschiedliche Karrierewege.“ Manche gingen zum Bundeskriminalamt.

Beim eineinhalb- bis zweijährigen Weiterbildungsmaster seien die Teilnehmer hingegen oft Polizisten, Rechtsanwälte oder im Strafvollzug tätig. „Die bleiben meist hinterher in ihrem Job, aber der Master ist ein Karrierekick", sagt Scheres.

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