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In der Präsentation ihrer Waren stehen Unternehmen aus dem Schwellenland China ihrer Konkurrenz aus den USA und Europa in nichts nach.

© dpa

Weltbank-Chefökonom: "Auch China muss auf die Bremse treten"

Große Konjunkturprogramme wie in der vergangenen Krise können sich die Chinesen nicht mehr leisten, sagt Weltbank-Chefökonom Justin Yifu Lin. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die europäische Schuldenkrise und die Flexibilität der Kommunisten.

Herr Lin, infolge der Schuldenkrise in einigen Euro-Staaten droht Europa ein Rückfall in die Rezession. Wie wird sich das auf die übrige Weltwirtschaft auswirken?

Europa ist noch immer der größte Markt der Welt. Wenn jetzt hier das Wachstum ausbleibt, bremst das zwangsläufig auch alle anderen Volkswirtschaften. Das ist anders als während der letzten Rezession. Die Entwicklungs- und Schwellenländer konnten damals das Wachstumstempo halten, den Rückgang der Nachfrage in den Industrieländern zum großen Teil ausgleichen und so den Aufschwung anführen. Aber jetzt folgen die Märkte in den aufsteigenden Ländern dem gleichen Muster wie in den Industriestaaten. Seit August ist das auch an den Kursen für Aktien und Staatsanleihen in diesen Ländern zu sehen. Jetzt gibt es nicht mehr das Vertrauen, die Schwellenländer könnten sich abkoppeln von dem, was in Europa und den USA geschieht.

Beim letzten Mal hat allein China mit seinem Konjunkturprogramm für fast eine Billion Dollar zusätzliche Nachfrage geschaffen. Warum sollte das nicht noch einmal gelingen?

Damals hat das bestimmt geholfen, und alle anderen großen Länder haben ja Ähnliches gemacht. Aber jetzt sind die Kapazitäten, über den Staat zu intervenieren, überall weit geringer, auch in Ländern wie China, Indien oder Brasilien. Auch dort ist die Staatsverschuldung gestiegen, und zugleich haben auch die Inflationsraten zugelegt. Diese Länder müssen jetzt auf die Bremse treten, schon um sich selbst zu stabilisieren.

Im Zuge des Konjunkturprogramms haben die chinesischen Provinzregierungen einen Berg fauler Schulden produziert, und zugleich hat sich ein ausgedehntes System von Schattenbanken entwickelt, das außer Kontrolle geraten ist. Kann nun auch China sowie wie vor drei Jahren in den USA eine Kreditblase platzen, die das Land in die Rezession stürzt?

Nein, das wird in den Medien übertrieben. Natürlich gibt es eine ganze Anzahl von Fehlinvestitionen, aber die gefährden nicht die Stabilität des Finanzsystems. Selbst der spektakulärste Fall, die Pleitewelle in der Stadt Wenghou, über die oft berichtet wurde, ist nicht wirklich bedrohlich. Da mussten etwa 250 Unternehmen Konkurs anmelden, weil sie überschuldet waren. Aber in dieser Region gibt es insgesamt 100 000 Firmen. Natürlich müssen die chinesischen Behörden aufmerksam bleiben und die Kreditvergabe beschränken. Aber bisher gibt es kein systemisches Problem.

Wenn China so stabil ist, wäre es dann nicht an der Zeit, endlich den Wechselkurs des Yuan freizugeben? Die Regierungen der USA und der EU klagen seit langem, dass China sich unfaire Handelsvorteile verschafft, indem es den Yuan-Kurs niedrig hält, so die Preise für seine Exportwaren drückt und darum einen großen Handelsüberschuss erzielt.

Gegenfrage: Glauben Sie, Deutschlands Währung ist unfair bewertet, weil es einen so großen Handelsüberschuss hat?

Nein, Deutschland hat den Euro, und dessen Kurs wird am Markt bestimmt. Aber die Löhne steigen seit vielen Jahren langsamer als die Produktivität, während sie anderswo schneller gestiegen sind. Darum sind deutsche Waren relativ immer billiger geworden.

Und so hat sich Deutschland Vorteile verschafft. Was ich sagen will: Ein Handelsüberschuss ist noch kein Beleg für eine Unterbewertung der Währung. In einem Entwicklungsland wie China gibt es für eine längere Zeit viel unterbeschäftigte Arbeitskraft aus dem traditionellen Agrarsektor. Im Prozess des Übergangs zu einer modernen Volkswirtschaft steigen die Löhne daher zwangsläufig nur langsam. Und das hat China sicherlich einen Preisvorteil bei den exportierbaren Waren verschafft. Aber der Prozess der Integration der vielen Arbeitskräfte in die modernen Sektoren ist jetzt beinahe abgeschlossen. Das sieht man ja auch am phänomenalen Wachstum der Löhne in der chinesischen Exportindustrie. Seit 2008 sind sie trotz Krise jedes Jahr um 15 bis 20 Prozent gestiegen.

Ist das nicht erst recht ein Grund, jetzt endlich den Wechselkurs freizugeben?

Ein Land im Übergang wie China braucht Stabilität, darum ist es besser, das zu kontrollieren. Es kann ja auch eine langsame Aufwertung sein, aber sie muss für die Unternehmen planbar bleiben.

Würde es China wirklich schaden, wenn der Yuan-Kurs mit Nachfrage und Angebot auf dem Markt frei schwanken könnte?

Wenn es schnelle spekulative Zu- und Abflüsse von Kapital geben würde, könnte das große Probleme bringen. Sogar die reiche Schweiz und Japan intervenieren am Devisenmarkt, weil sie keine andere Möglichkeit sehen. Diese großen Kursschwankungen schaden der realen Wirtschaft.

Aber der riesige Handelsüberschuss schadet auch China selbst. Es liefert gute Waren und bekommt dafür Finanzanlagen in schwächelnden Währungen von schon mehr als zwei Billionen Dollar und Euro.

Natürlich muss das früher oder später ausgeglichen werden. Aber wenn die Aufwertung des Yuan zu schnell geht, dann schadet das auch den Verbrauchern in den Wohlstandsländern. Sie müssten entweder für viele Waren höhere Preise zahlen, oder sie werden es aus anderen Ländern importieren. Beides würde ihnen nicht nutzen. Aber in China würde die Arbeitslosigkeit steigen und die Wachstumsrate sinken. Das wäre auch nicht gut für die Weltwirtschaft.

Aber China kann auch nicht unbegrenzt weiterhin jedes Jahr zweihundert Milliarden Dollar Überschuss in Devisenreserven anhäufen.

Natürlich nicht, da stimme ich zu. Die Frage ist nur, ob China es jetzt beenden sollte oder ob dies langfristig Schritt für Schritt geschieht. Derzeit ist die wichtigste Aufgabe, das Wachstum aufrechtzuerhalten, vor allem in den reichen Ländern. Das gelingt aber nicht über den Wechselkurs. Im Gegenteil: Wenn die Waren aus China teurer werden, sinken die verfügbaren Einkommen, und das wird die Konjunktur eher bremsen.

Wir könnten ja dafür mehr Waren aus eigener Produktion kaufen.

Nein, die meisten Importwaren aus Asien werden in Europa und USA schon seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt, das ginge nicht.

Der Devisenschatz ermöglicht es Chinas Staatsunternehmen, sich weltweit einzukaufen und über die Kreditvergabe an die Regierungen Einfluss zu nehmen. Droht ein Ausverkauf Europas und die Dominanz chinesischer Interessen in der Weltwirtschaft?

Das sind nur übertriebene Stimmungen. Ich glaube an den Wohlstandsgewinn aus Handel und Globalisierung. Da gehören die Waren- und Kapitalflüsse einfach dazu. Es ist doch gut, wenn chinesische Unternehmen in Europa investieren, gerade derzeit wird hier eher zu wenig investiert. Außerdem: Bisher haben europäische Unternehmen fast zehnmal mehr Kapital in China investiert als umgekehrt.

Wie flexibel sich die Kommunisten und kann die Eurozone den Euro retten? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Justin Yifu Lin. „Es geht vor allem darum, wieder Vertrauen am Markt zu schaffen.“ Foto: Reuters
Justin Yifu Lin. „Es geht vor allem darum, wieder Vertrauen am Markt zu schaffen.“ Foto: Reuters

© REUTERS

Viele Kommentatoren im Westen bezweifeln, ob die chinesische Mischung aus Autokratie und halbfreien Märkten auf Dauer funktionieren kann. Die Menschen werden reicher, aber sie bekommen keinerlei politische Freiheit. Muss das nicht irgendwann schiefgehen?

Jedes System muss sich anpassen, wenn die Verhältnisse sich ändern. Natürlich fordern die Menschen mit der Zeit mehr Rechte und wollen mitbestimmen. Aber das chinesische System hat sich in den letzten 30 Jahren kontinuierlich angepasst und verändert, nicht zuletzt, um das Wachstum aufrechtzuerhalten. Ich denke, diese Anpassungsfähigkeit wird es auch künftig geben.

Sie glauben also an die Flexibilität der Kommunistischen Partei?

Wäre sie das nicht, wäre sie nicht seit 32 Jahren erfolgreich.

Viele Zeitgenossen, vor allem Manager in den großen globalen Konzernen, halten eher das chinesische Modell für überlegen gegenüber den westlichen Demokratien, weil Entscheidungen schneller gefällt und durchgesetzt werden können. Welches System wird sich am Ende durchsetzen?

Gar keins. Entscheidend ist, wie jedes Land für sich den richtigen Weg findet, um sich Veränderungen anzupassen. Ich glaube nicht, dass es da um einen Wettbewerb der Systeme geht, dafür sind die Nationen zu verschieden.

Damit hat auch Europa gerade besondere Probleme. Die Unterschiede haben die Länder der Euro-Zone in die tiefe Krise geführt. Glauben Sie, dass der Euro als gemeinsame Währung von 17 Ländern erhalten bleiben kann?

Ja. Es geht vor allem darum, wieder Vertrauen am Markt zu schaffen. Wenn ausreichend finanzielle Kapazität zur Verfügung gestellt wird, um den schuldengeplagten Staaten aus der Klemme zu helfen. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten sind doch eigentlich fast allen klar. Ich denke, am Ende wird die Vernunft siegen.

Das Gespräch führte Harald Schumann

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