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Wirtschaft: Weltwirtschaftsforum: Davos fehlt das Rückgrat

"Ich kann das kalte intellektuelle Mitleid für künftige Generationen nicht akzeptieren, das unsere Herzen gegen die Schreie der zehntausend Unglücklichen von heute verhärtet." Mit diesen Worten setzte sich Jacques Necker, Finanzminister unter Louis XVI, im Jahr 1770 für die Einführung von Preiskontrollen zu Zeiten von Hungersnöten ein.

"Ich kann das kalte intellektuelle Mitleid für künftige Generationen nicht akzeptieren, das unsere Herzen gegen die Schreie der zehntausend Unglücklichen von heute verhärtet." Mit diesen Worten setzte sich Jacques Necker, Finanzminister unter Louis XVI, im Jahr 1770 für die Einführung von Preiskontrollen zu Zeiten von Hungersnöten ein. Seine Gegner waren die frühen Liberalisierer. Sie argumentierten, dass steigende Lebensmittelpreise, so kaltherzig es auch klingen mag, Investitionen in die Landwirtschaft fördern und damit weiteren Hungersnöten vorbeugen würden. Ist es nicht grotesk, dass nach mehr als zwei Jahrhunderten im Grunde das gleiche Thema wieder Streitpunkt ist? Das Weltwirtschaftsformum in Davos hat das gerade bewiesen.

Dass Necker seine Kontrahenten als kaltherzig abstempelte, ist das eine. Entscheiden aber war sein Druck auf sofortige Ergebnisse. Damit hat Necker den Markt ignoriert. Die Globalisierungsgegner, die versuchten das Weltwirtschaftsforum in Davos zu stürmen, sowie die Teilnehmer der Konkurrenzveranstaltung im brasilianischen Porto Alegre, sind die Erben dieser Traditionen. Genau wie Necker verlangen sie von den Regierungen, ihre eigenen Lösungen für Probleme zu schaffen. Jeder, der sich an die Gesetze von Angebot und Nachfrage klammere, zeige kein Interesse am Leid anderer, heißt es. Doch zwangen die gewalttätigen Hilfeleistungen der Globalisierungsgegner die Schweizer, Davos in einen Mini-Polizeistaat zu verwandeln, um Konzernchefs, Politiker und Wirtschaftsexperten beim Jahrestreffen vor ihnen zu schützen. Die Beschwerdeliste der Kritiker ist lang. Sie umfasst so ziemlich alles, was in der Welt nicht rechtens ist. Alle Schuld liegt ihrer Meinung nach bei den privaten Unternehmen und alle Hilfe müsse vom Staat kommen, der dafür absolute Macht erhalten soll.

Der EU-Handelskommissar Pascal Lamy bemerkte kürzlich, dass die Demonstranten von Davos "in der Öffentlichkeit an Boden gewinnen", weil sie das Geschäft der Schuldzuweisung gut beherrschen. Lamy hat vollkommen recht. Die Standpunkte derer, denen der freie Markt am Herzen liegt, müssten nachdrücklicher vorgebracht werden. Wie man diese Aufgabe erfolgreich umgehen kann, zeigt das Verhalten vieler Sprecher in Davos. Das wiederholt das Verhalten der Politik seit dem WTO-Fiasko in Seattle 1999: Sie erkennen die Ansichten der Demonstranten an in der Hoffnung, sie einzubinden.

Vielleicht ist Zivilcourage angesichts gewaltsamer Demonstranten zu viel verlangt. Doch sollten Führungskräfte nicht etwas mehr Rückgrat zeigen? Es war ein guter Zug von Bill Gates, der Aids-Forschung 100 Millionen Dollar zu spenden. Weniger geschickt war seine Äußerung, er habe es getan, weil "der Markt in diesem Fall versagt hat." Gates ist ein ausgezeichneter Geschäftsmann, aber mit seiner Wortwahl zu politisch brisanten Themen sollte er feinfühliger umgehen. Denn für die Kritiker in Davos ist freies Unternehmertum an sich schon reines "Marktversagen".

Man antwortet darauf am besten mit dem peruanischen Wirtschaftswissenschaftler Hernando de Soto. In seinem Buch "Der andere Weg" zeigt er, dass übermäßige staatliche Bürokratie es den Armen in Peru unmöglich macht, sich zugleich an die Gesetze zu halten und wirtschaftlich zu überleben. De Soto widmete sein Buch seinen "linken Freunden, deren Ideale ich in der Hoffnung teile, dass wir uns auch über den richtigen Weg zu ihrer Umsetzung einigen." Die Gegner der Globalisierung teilen diese Meinung nicht. Ihre Ideenarmut wird nur noch von der Brutalität übertroffen, mit der sie ihre Ansichten anderen aufzwingen wollen.

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