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Wirtschaft: Wenn aus einem Dr. Doom ein Dr. Boom wird

Nach 107 Monaten ändern auch linke US-Ökonomen ihre ErklärungsmusterRobert von Rimscha Amerika feiert dieser Tage. Seit 107 Monaten wächst die Wirtschaft - nonstop.

Nach 107 Monaten ändern auch linke US-Ökonomen ihre ErklärungsmusterRobert von Rimscha

Amerika feiert dieser Tage. Seit 107 Monaten wächst die Wirtschaft - nonstop. Für Friedenszeiten ist dies ein Rekord. Doch für manche ist die endlose Expansion ein Problem. Vor allem linke Ökonomen tun sich schwer, die Wunderdaten zu erklären. Barry Bluestone, Professor an der Northeastern University in Boston, ist einer von ihnen. "Dr. Untergang" und "Dr. Schwarzseherei" ("Dr. Gloom and Dr. Doom") waren die Spitznamen, die Bluestone und sein Forschungskollege Ben Harrison lange führten. Jetzt ist, so sieht es Dieter Dettke, der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, aus dem Schwarzmaler ein "Dr. Boom" geworden. Wie die meisten Ökonomen sieht Bluestone die Produktivitätszuwächse als entscheidenden Motor des Wachstums und als verlässliche Bremse der Inflation.

Doch schon Mitte der 80er Jahre erreichte die US-Wirtschaft Produktivitätszuwächse von einem Prozent. "Auf der Höhe der Defizithaushalte, nicht im Zeitalter der ausgeglichenen Etats, begann die Erfolgsgeschichte", meint Bluestone. Für einen traditionell linksliberalen Ökonomen zwingt dies zur Beantwortung einer unangenehmen Frage. Ist es einerlei, ob in Washington Reagansche Steuersenkungen Löcher in den Bundeshaushalt reißen oder Clintonsche Sparpolitik dem Etat dreistellige Milliardenüberschüsse verschaffen? Bluestone glaubt tatsächlich, es bestehe in Amerika die Gefahr, die "falschen Lehren" aus dem Wirtschaftswunder zu ziehen.

Sparen dürfe nicht auf Kosten von Zukunftsinvestitionen gehen. Solide Haushalte seien ein relativer Wert. "Wenn wir jetzt vorrangig die aufgelaufenen Altschulden des Bundes senken, besteht die Gefahr, dass wir den Wachstumsmotor sabotieren, wenn Investitionen für Forschung, Bildung und Infrastruktur unter die Räder kommen." Denn diese Investitionen, und Bluestone zählt Reagans Rüstungsaufwendungen da explizit mit, seien der Stoff, aus dem - mit ein wenig Verzögerung - Wachstum generiert wird.

400 000 neue Jobs hat Amerika im Januar geschaffen. Der Durchschnittslohn ist um sechs Cent auf 13,50 Dollar gestiegen. Ein Trend setzt sich fort: Seit vier Jahren steigen die Durchschnittseinkommen spürbar, und mehr und mehr partizipiert damit auch der untere Mittelstand am Boom - anders als in den 80er Jahren. Inflation und Arbeitslosigkeit sind so niedrig wie seit den 60er Jahren nicht mehr; und wenn es nach Clinton geht, steht Amerika 2013 erstmals seit 1835 ganz ohne Schulden da.

Bluestone hält zwei Ziele für erreichbar: Produktivitätszuwächse von über zwei Prozent im Jahr und ein Wachstum von drei Prozent im Schnitt der nächsten zehn Jahre. Globalisierung und Innovation sind seiner Ansicht nach die zentralen Ursachen für den US-Aufschwung, nicht die Haushaltspolitik der Bundesregierung oder die Geldpolitik von Alan Greenspan.

Bluestone, dessen neues Buch "Growing Prosperity: The Battle for Growth with Equity" vor wenigen Tagen erschienen ist, steht mit seiner Bekehrung vom "Doom" zum "Boom" stellvertretend für eine ganze Generation linker Ökonomen, die zum Ende der Reagan/Bush-Ära allesamt düstere Prophezeiungen veröffentlichten. "The End of Affluence" (Das Ende des Wohlstands) oder "The Age of Diminished Expectations" (Die Ära geringerer Erwartungen) hießen damals, vor knapp zehn Jahren, die Buchtitel. Heute versuchen auch die Ökonomen zu verstehen, wie Rekordwachstum ohne Inflation bewerkstelligt werden konnte.

Im Zentrum von Bluestones Analyse steht ein ganz neuer Kreislauf, der Wachstum produziert. Nicht länger sei die "klassische" positive Wechselwirkung aus steigender Nachfrage durch die Verbraucher und erhöhtem Angebot durch die Industrie und Dienstleistungsunternehmen für neue Stellen und höheres Wachstum entscheidend, sagt er. Ein "Wall-Street-Kreis" sei entstanden: Ausgeglichene Etats und damit niedrige Rentenmarkt-Zinsen zwingen Geld in den Aktienmarkt; technologische Innovation ermöglicht saftige Renditen, steigende Kurse und satte Dividenden; eine Rekordzahl an Bürgern nimmt am Boom teil und steigert sowohl den Konsum wie die Bereitschaft, Gewinne zu re-investieren. Es ist ein Modell, das Amerika eine Rekord-Expansion verschafft hat. Bluestone, einer der renommiertesten linken Ökonomen Amerikas, erkennt es neidlos an.

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