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Wirtschaft: Wer kann schon sparen?

Das Vermögen ist hier zu Lande ungleich verteilt. Jeder dritte Haushalt könnte von seinen Rücklagen mehrere Jahre lang leben. 13 Prozent der Deutschen stellen sich die Frage nicht: Sie können überhaupt nichts zurücklegen

DAS VERMÖGEN DER DEUTSCHEN: 3700000000000 EURO

Eine stolze Zahl: Insgesamt haben die Deutschen im vergangenen Jahr rund 146 Milliarden Euro auf die hohe Kante gelegt. Die Sparquote stieg von 10,3 Prozent auf 10,6 Prozent, Tendenz steigend.

Schaut man allein auf die absoluten Zahlen, dürfte es in Deutschland weder Reform- noch Verteilungsprobleme geben. Denn statistisch gesehen sind die Deutschen reich. Das gesamte Geldvermögen aller Haushalte beträgt jüngsten Zahlen der Volks- und Raiffeisenbanken zufolge rund 3658 Milliarden Euro. Jeder Haushalt hatte damit ein Vermögen von rund 94300 Euro, dem allerdings Verbindlichkeiten von rund 39600 Euro gegenüberstanden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat sogar errechnet, dass das gesamte Nettovermögen im Durchschnitt bei 120 000 Euro liegt. Wohlgemerkt im Durchschnitt – denn Vermögen und Wohlstand sind hier zu Lande sehr unterschiedlich verteilt.

Großes Gefälle

In ihrem ersten Armuts- und Reichtumsbericht hat die Bundesregierung im Jahr 2001 eine Zwischenbilanz gezogen. Der Bericht ist das jüngste amtliche Dokument. Die letzte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes stammt aus dem Jahr 1998. Zwar hat das Amt im vergangenen Januar eine neue Erhebung durchgeführt, doch die Daten sind noch nicht aufgearbeitet. „Das dauert“, heißt es.

Legt man den Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung zu Grunde, so konzentriert sich der Reichtum auf wenige Köpfe. In den alten Bundesländern besaßen gerade einmal zehn Prozent der Haushalte rund 42 Prozent des Privatvermögens. Das oberste Zehntel aller Haushalte kam im Schnitt auf ein Vermögen von rund 600000 Euro. Dagegen vereinten die unteren 50 Prozent der Haushalte gerade einmal rund 4,5 Prozent des Gesamtvermögens auf sich.

Die Beratungsfirma Cap Gemini Ernst Young nennt in einer 2001 vorgelegten Untersuchung sogar noch drastischere Zahlen. „Insgesamt 25,7 Prozent des gesamtdeutschen Vermögens werden von 0,5 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung gehalten. Dabei sind 92 Prozent des deutschen Vermögens in den alten Bundesländern und in Berlin konzentriert.“ Insgesamt 365000 Personen mit mehr als einer Million Euro Geldvermögen zählte Cap Gemini vor zwei Jahren. Der Bericht der Bundesregierung, der nicht nur Geld- sondern auch sonstiges Vermögen einbezieht, zählt 1,5 Millionen Vermögensmillionäre.

Das Vermögen der Wohlhabenden vermehrt sich quasi von selbst – durch Zinsen und Zinseszinsen. Dieser Gruppe dürfte es daher nicht schwer fallen, durch steigenden Konsum die Konjunktur anzukurbeln. Und auch die anstehenden Sozialreformen treffen diese Bürger nicht sonderlich hart. Weniger Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, stagnierende Renten oder mehr Eigenvorsorge im Gesundheitssystem – Wohlhabende können das locker wegstecken. Aber wie viele Haushalte sind das? Gert Wagner vom DIW sagt: „Nur ein Drittel der Haushalte in Deutschland verfügt über ein Vermögen, von dem sie mehrere Jahre leben könnten, wenn sie es komplett auflösen könnten.“

Was aber macht der Rest? Rund ein Drittel aller Vollzeitbeschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor schlug im August die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung Alarm. Knapp 4,2 Millionen der Niedriglohnbezieher – dies entspricht fast 24 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten – beziehen einen Arbeitslohn zwischen 50 bis unter 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes, haben die Wissenschaftler der Stiftung errechnet. Für den Konsum bleibt da nicht viel übrig und auch nicht für das Sparen. 1800 Euro legten die Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr im Schnitt pro Kopf zurück. Aber: 13 Prozent sehen derzeit überhaupt keine Möglichkeit, Geld für die Zukunft zurückzulegen, haben die Sparkassen herausgefunden.

Reiche sollen abgeben

Das Gefälle ist groß. Kein Wunder, dass in der Politik in schweren Zeiten reflexartig der Impuls aufkommt, die Reichen zu belasten, wenn die Haushaltskassen leer und die Sozialversicherungssysteme in Not sind. Beliebte Instrumente: die vom Bundesverfassungsgericht kassierte Vermögenssteuer, über deren Wiedereinführung in regelmäßigen Abständen diskutiert wird, und – jetzt wieder aktuell – die Erbschaftsteuer. Auf ihrem Parteitag im November wird sich die SPD mit der Frage beschäftigen, ob man reiche Erben steuerlich stärker in die Verantwortung nehmen sollte. Mit den Mehreinnahmen, so meint Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis, könne man nicht nur Schulen und Hochschulen modernisieren. Eine stärkere Inanspruchnahme der Reichen trage zudem zur sozialen Gerechtigkeit bei.

Aber Finanzexperten wissen: Nichts ist so scheu wie Kapital. So lange Steuerschlupflöcher nicht geschlossen sind, droht die Kapitalflucht – und dann geht der Fiskus völlig leer aus. Beispiel: Müller-Milch. Um Erbschaftsteuern zu sparen, will Firmenchef Müller seinen Betrieb in die Schweiz verlegen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, forderte am Wochenende einen Abschlag auf die Erbschaftsteuer, wenn ein Unternehmen von den Erben weitergeführt wird. 71 000 Unternehmer stünden jährlich vor der Frage, ob ihr Betrieb von den Kindern und Enkeln übernommen werden kann. Viele müssten ihren Betrieb zumachen, weil sie die Erbschaftsteuer nicht zahlen können, warnte Rogowski in der „Bild am Sonntag“ vor einem weiteren Verlust von Arbeitsplätzen. Einen Tag nach den neusten Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt: Glaubt man der „Bild“-Zeitung, sind die Arbeitslosenzahlen im Oktober verglichen mit dem Vorjahresmonat um 230 000 gestiegen.

Daniel Rhee-Piening

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