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Wirtschaft: „Wer kein Deutsch kann, ist kaum integrierbar“

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank Weise, über schwierige Jugendliche, ältere Arbeitslose und über die Beitragssenkung

Herr Weise, wird Ihnen mulmig, wenn Sie Berichte wie die aus der Neuköllner Rütli-Schule hören? Diese Hauptschüler sind Ihre Kunden von morgen.

So erschreckend das ist, für uns als Bundesagentur sind diese Probleme nicht neu. Im Jahrgang 2005 haben wir insgesamt 960 000 Jugendliche betreut. Von denen müssen wir die Hälfte richtiggehend an die Hand nehmen, damit sie überhaupt einen Weg in Ausbildung oder in eine geregelte Arbeit finden. Die Beitrags- und Steuerzahler kostet diese Intensivbetreuung mehr als sechs Milliarden Euro — jedes Jahr.

Das sind mehr als 6000 Euro pro Fall?

Das kann man so nicht rechnen – die tatsächlichen Kosten sind sehr unterschiedlich. In Einzelfällen geben wir bis zu 120 000 Euro für die Ausbildung aus.

Sind Sie wenigstens erfolgreich?

Sicherlich ist es gut und richtig, dass wir uns um diese Jugendlichen kümmern. Und unsere Mitarbeiter in der Berufsberatung machen das mit sehr hohem Engagement. Aber wenn Sie mich nach dem Erfolg fragen, dann muss ich sagen, bei den Rahmenbedingungen können wir im Sinne von Integration in den Arbeitsmarkt nur begrenzt erfolgreich sein. Nur dreißig Prozent der Jugendlichen aus den besonders intensiv betreuten Programmen sind ein halbes Jahr später sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Können Sie es nicht besser?

Mit dieser Quote liegen wir europaweit an der Spitze. Solche Jugendliche haben tendenziell geringere Chancen. Wir machen innerhalb eines großen Mangels einzelne, richtige und vernünftige Schritte, dazu stehe ich. Diese Schritte beheben aber nicht das eigentliche Problem, sondern verringern nur die negativen Folgen.

Weil es für einen 16-Jährigen zu spät ist?

Ja, das belegen die Fakten. Deswegen sagt die Bundesagentur auch, es geht nicht, dass das Bildungssystem uns Jugendliche übergibt, die nicht ausbildungs- und beschäftigungsfähig sind. Da muss man schon diskutieren, ob das Geld und der Betreuungsaufwand nicht effektiver an anderer Stelle eingesetzt werden könnten. Die bisherigen Ansätze sind gut, die Initiativen sind nützlich, aber die Wirkung ist noch zu gering, weil wir einfach zu spät eingreifen können.

Was hilft richtig?

Wir müssen mit Hilfsangeboten früher beginnen. Sprachkurse zum Beispiel machen weniger Sinn, wenn die Menschen kurz vor dem Beruf stehen. Sie müssen viel früher, am besten schon im Kindergarten, stattfinden.

Gibt es bei den Jugendlichen, die zu Ihnen kommen, hoffnungslose Fälle?

Mir gefällt das Wort hoffnungslos nicht. Denn für den Einzelnen, wenn man sich auf den Menschen bezieht, gibt es immer Hoffnung. Aber natürlich gibt es Jugendliche, die kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Das sind junge Menschen, die aus schlimmen Familienverhältnissen stammen, die die deutsche Sprache kaum beherrschen und deren Kultur eine Integration nicht zulässt. Wer kein Deutsch kann, der ist eigentlich kaum in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integrierbar.

Was sollen wir mit diesen Chancenlosen tun?

Auch für diese Menschen engagieren wir uns, wir müssen ihnen ein sinnvolles Angebot machen – und sei es in einem subventionierten zweiten Arbeitsmarkt. Aber wir müssen ernsthafte Konzepte entwickeln, was wir in der Vorphase, das heißt im Kindergarten, in der Schule, machen wollen.

In Wisconsin, einer der Ideengeber für die deutsche Arbeitsmarktreform, ist in vielen Jobcentern auch ein Kindergarten. Warum ist das bei uns nicht so?

Eigentlich ist das bei uns auch geregelt, in den Jobcentern sind die Kommunen für Schuldenberatung, Drogenberatung und Kinderbetreuung zuständig. Das müssten also die Kommunen liefern.

Aber in Sachsen-Anhalt wurde gerade der Ganztagsbetreuungsanspruch für arbeitslose Mütter gestrichen.

Das will ich jetzt nicht beurteilen. Grundsätzlich gibt es aber einige Leistungen, die die Kommunen versprochen haben und die bis heute in einigen Jobcentern noch nicht erbracht worden sind. Es ist doch auffällig, dass es Jobcenter gibt, die sich besser entwickeln: Da steigt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften oder der Arbeitslosen nicht so stark. Und dann gibt es Jobcenter, da ist es völlig anders – und zwar in vergleichbaren Regionen.

Arbeitsminister Müntefering plant ein Programm „50 plus“ für ältere Arbeitslose. Wird das etwas bringen?

Vielleicht bringt das keine enormen Entlastungen am Arbeitsmarkt. Aber das Programm ist wichtig und hilft, die Einstellung aller Beteiligten zu ändern. Machen wir uns doch nichts vor: Betriebe haben in den letzten Jahren die Rationalisierung über Ältere gemacht. Das war gesellschaftlicher Konsens. Auch jetzt gibt es immer noch gesetzliche Anreize, Ältere früher aus dem Arbeitsmarkt zu drängen.

Waren die Chancen von Älteren besser, als Verträge bei über 50-Jährigen noch immer weiter befristet werden durften?

Dass für Ältere der Kündigungsschutz faktisch ausgesetzt ist, hat nicht viele Arbeitsplätze gebracht. Als Unternehmer würde ich sagen, dass man in der Probezeit ausreichend prüfen kann, ob ein Mitarbeiter in den Betrieb passt.

Würde es denn helfen, wenn Ältere geringer bezahlt werden?

Das glaube ich nicht. Erfolg hat ein Unternehmer, wenn er gute Leute einstellt und sie auch gut bezahlt. Man kann nicht die Spirale immer weiter nach unten drehen. Nehmen wir die Bundesagentur: Der Hebel sind nicht die Kosten, sondern die Leistungen der Mitarbeiter, die in den letzten Jahren gesteigert worden sind.

Ist das ein Plädoyer für den Mindestlohn?

Ich bin skeptisch, dass sich ein Mindestlohn gesetzlich regeln lässt. Ich finde aber die Idee richtig, dass Arbeit ein Einkommen bringen muss, mit dem man die Existenz sichern kann.

Hilft es den Unternehmern, wenn die Arbeitslosenbeiträge sinken?

Wenn die Lohnnebenkosten sinken, hilft das dem Arbeitsmarkt. Ein Prozentpunkt weniger kann 100 000 bis 150 000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen, sagen die Ökonomen.

Die Bundesregierung will 2007 die Arbeitslosenbeiträge von 6,5 auf 4,5 Prozent senken. Davon soll die BA mindestens einen Prozentpunkt erbringen. Schaffen Sie das?

Aus eigener Kraft können wir 2007 einen Beitrag von 0,75 Punkten bringen, durch einen effizienteren Einsatz der Mittel. Wenn die Politik mehr will, muss sie uns helfen. Ein Vorschlag: Wir haben im vergangenen Jahr 3,2 Milliarden Euro für Existenzgründungsförderung ausgegeben, für Überbrückungsgeld und Ich-AG. Da könnte man eine Milliarde Euro sparen. Es wäre aus unserer Sicht sinnvoll, den Rechtsanspruch auf die Förderung abzuschaffen und die Entscheidung den Mitarbeitern in der Arbeitsagentur zu überlassen. Außerdem könnte man die Förderung auf das Arbeitslosengeld anrechnen. Momentan gibt es Leute, die das volle Arbeitslosengeld beziehen, am letzten Tag die Ich-AG beantragen und dann drei Jahre lang einen Zuschuss erhalten. Der Gesetzgeber muss entscheiden, worauf er verzichten will. Dann schaffen wir den Prozentpunkt für die Beitragssenkung auch.

Im Moment überweisen Sie jeden Monat 200 Millionen Euro zu viel an die Krankenkassen, weil die BA-Software die vergünstigten Beiträge für ALG-II-Empfänger nicht berechnen kann. Woran liegt das?

Das System, das T-Systems erstellt hat, läuft nicht gut. Die Anforderungen sind sehr komplex. Es gibt allein im Arbeitslosengeld II 350 unterschiedliche Bescheide. Unsere Mitarbeiter müssen einen ganzen Entscheidungsbaum mit lauter Verzweigungen durchprüfen. Wenn man schließlich am Ende angekommen ist und feststellt, dass ein Mensch Diabetes hat und eine Diät bekommen muss, muss man den ganzen Baum zurückrechnen. Und das wegen eines Unterschiedes von vielleicht 10 bis 15 Euro. Das sind die Folgen aus dem Versuch, über gesetzliche Regelungen Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Und das stellt die Software vor ein riesiges Problem. Trotzdem sind wir mit dem aktuellen Stand sehr unzufrieden.

Ärgert es Sie nicht maßlos, dass T-Systems nicht in der Lage ist, eine ordentliche Software zu liefern und die BA die Kritik dafür einstecken muss?

Doch, das schmerzt enorm. Zumal unsere anderen IT-Systeme wie der virtuelle Arbeitsmarkt jetzt reibungslos funktionieren. Dass ausgerechnet das System für die Hartz-IV-Reform uns wieder reinreißt, ist extrem ärgerlich.

Das Gespräch führten C. Eubel, D. Rosenfeld und U. Weidenfeld.

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