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Wirtschaft: Wer nimmt die Hilfe in die Hand?

Über den Schuldenerlass für die ärmsten Länder bahnt sich Streit an – denn die Finanzierung ist noch unklar

Im schottischen Gleneagles herrschte im Juli Euphorie: Vereint verkündeten die Staatsoberhäupter der sieben wichtigsten Industrienationen zusammen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, sie würden die Entwicklungshilfe bis 2010 jährlich um 50 Milliarden Dollar aufstocken. Zudem sollten den ärmsten Ländern ihre Schulden bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds erlassen werden. Sogar U2-Sänger Bono freute sich: „Die Welt hat gesprochen, und die Politiker haben zugehört“, sagte er mit Blick auf die Live-8-Konzerte.

Inzwischen sieht die Realität jedoch anders aus – der Kampf gegen die Armut gerät ins Stocken. Die Abschlusserklärung des UN-Gipfels vom Sonntag nimmt zwar die so genannten Millenniumsziele aus dem Jahr 2000 auf – bis 2015 sollen Hunger und extreme Armut halbiert werden. Die Selbstverpflichtung vieler Industriestaaten, ihre Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern, wird immerhin erwähnt. Jedoch wird dies nicht zur allgemein verbindlichen Zielvorgabe erklärt.

Und eine Woche, bevor auf der Herbsttagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) am 24./25. September der Schuldenerlass offiziell beschlossen werden soll, mehren sich die kritischen Stimmen. Die Weltbank selbst befürchtet, dass mit dem Schuldenerlass den Entwicklungsländern letztendlich noch weniger Geld zur Verfügung steht. Die skandinavischen Länder und die Niederlande, Mitglieder von Weltbank und IWF, unterstützen die Bank dabei. Sie argumentieren, dass der Schuldenerlass nicht ausreichend finanziert wird. Die Abteilung der Weltbank, die Entwicklungshilfegelder verteilt (International Development Association, IDA), könne plötzlich mittellos dastehen, warnen sie. Denn die IDA bezieht ihre Gelder auch aus den Schuldenrückzahlungen der Entwicklungsländer: Werden die Schulden erlassen, sinken die Rückflüsse, so die Logik.

Der Vorschlag von Gleneagles verspricht der IDA bisher nur eine Milliarde Dollar Ausgleich für die ersten drei Jahre des Erlasses. Die Weltbank rechnet jedoch damit, dass der Erlass allein im ersten Jahrzehnt 8,9 Milliarden Dollar kosten würde.

Bei der Entschuldung geht es um zinslose Kredite mit 40-jähriger Laufzeit im Wert von 42,5 Milliarden Dollar. „Ob die Entschuldung kommende Woche offiziell beschlossen wird, wissen wir nicht“, sagt Weltbank-Sprecherin Rachel Winter Jones. „Wir müssen erst einmal darüber diskutieren, wie wir den Schuldenerlass finanzieren.“ Die US-Regierung sowie der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff (siehe Interview) finden das Argument jedoch übertrieben – ihrer Meinung nach wird die Zahlungsfähigkeit der verschuldeten Länder überschätzt: Die IDA könne ohnehin nicht mehr mit dem Geld rechnen.

Die Deutschen sind jedenfalls dafür, dass der Vorschlag „zügig umgesetzt werden muss“. So heißt es in einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Entwicklung, die dem Tagesspiegel am Sonntag vorliegt. Das Ministerium unterstützt auch die Sorgen der Weltbank: „Die Mittel für die Entschuldung müssen zusätzlich aufgebracht werden, damit die finanzielle Integrität der Weltbank gewahrt bleibt.“ Dafür werde Deutschland in den kommenden drei Jahren „ungefähr 120 Millionen Euro“ bereitstellen. Aber auch „darüber hinaus müsse eine Finanzierungsregelung abgesichert werden“.

Entschuldung sei ein sinnvolles Instrument. Mosambik etwa habe mit den frei werdenden Mitteln aus dem Schuldenerlass eine Bildungsinitiative gestartet. Heute könnten eine Million Kinder mehr in die Schule gehen als früher.

Nichtregierungsorganisationen unterstützen die Entschuldung ebenfalls: „Wir müssen den Beschluss so schnell wie möglich umsetzen“, sagte Oxfam-Experte Ted van Hees. Jens Martens, Direktor des Global Policy Forum, geht die Initiative jedoch nicht weit genug: „Der Kreis der Länder, die entschuldet werden, muss erweitert werden“. Bisher betrifft der Vorschlag nur 18 der ärmsten Länder, die zu den „Heavily indebted poor countries“ (HIPC) zählen. Um sich für die Entschuldung zu qualifizieren, muss ein Land eine Armutsbekämpfungsstrategie vorlegen. Die Länder, die von einer Entschuldung profitieren, sind verpflichtet, die freigewordenen Mittel für wirtschaftliche und soziale Reformen einzusetzen. Laut Martens sind diese beiden Bedingungen aber widersprüchlich: Die liberalen Reformen könnten zu noch mehr Armut führen, glaubt er.

Flora Wisdorff

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