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Werksschließung: Leben nach dem Tod

Der Fall Nokia zeigt: Subventionen retten die Handyindustrie nicht. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Beschäftigten. Doch für die Nokia-Mitarbeiter gibt es Hoffnung - wie im Fall BenQ.

Düsseldorf - Als Nokia das Aus seiner Handyproduktion in Bochum verkündete, reagierte Christoph Landscheidt sofort. Der Bürgermeister der ebenfalls vom Niedergang der Handyindustrie gebeutelten Stadt Kamp-Lintfort schrieb an seine Bochumer Kollegin und Parteifreundin Ottilie Scholz (SPD). Wie in Kamp-Lintfort würden „dem Profit- und Subventionsdenken eines multinationalen Konzerns Tausende von Arbeitsplätzen rücksichtslos geopfert“, heißt es in seinem Brief. Doch er machte Scholz auch Mut: In seiner Stadt sei es gelungen, die Folgen der Entlassung von 1600 Mitarbeitern des taiwanesischen Handyherstellers BenQ Mobile abzumildern.

Gut ein Jahr nach der Pleite der ehemaligen Siemens- Handysparte stehen Kamp-Lintfort am Niederrhein und das ebenfalls betroffene Bocholt im Münsterland besser da, als es erste Katastrophenszenarien erwarten ließen. Ganze 8,1 Prozent beträgt die Arbeitslosenquote in Kamp-Lintfort und liegt damit unter dem nordrhein-westfälischen Landesschnitt von 8,6 Prozent. Der Großteil der Ex-Mitarbeiter habe neue Stellen gefunden, sagt Landscheidt. In Bocholt, wo allerdings nur 160 Mitarbeiter gehen mussten, erinnert die Quote von 5,6 Prozent gar an bayerische Verhältnisse.

Mit Lohnverzicht wie in Kamp-Lintfort und Bocholt und Subventionen wie in Bochum wollten Mitarbeiter und Politiker das Sterben der Handyindustrie in Deutschland verhindern. Doch ohne Erfolg. Nokia lässt seine Mobiltelefone jetzt in Rumänien fertigen, wo die Löhne deutlich niedriger sind als in Bochum. Nach Meinung des Branchenverbandes Bitkom wird es noch weitere Hiobsbotschaften geben. „Wir befürchten, dass weitere Arbeitsplätze in der Produktion von Kommunikationstechnik abgebaut werden“, sagte Verbandspräsident August-Wilhelm Scheer der „Bild am Sonntag“. Dabei ist die Zahl der Beschäftigten nach Angaben des Verbandes von 80 000 im Jahr 2000 bereits auf nur noch 57 500 im Jahr 2007 gesunken.

Zwar ermunterte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) Nokia mit einem beachtenswerten Angebot, noch einmal an den Verhandlungstisch zu kommen. Die Mitarbeiter seien bereit, sich auf ein Lohnniveau wie in Ungarn einzulassen. „Wenn ein solches Angebot da ist, dann ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass eine Unternehmensleitung ein solches Angebot annimmt“, sagte Rüttgers.

Doch die Zweifel wachsen, ob solche radikalen Einschnitte und staatlichen Beihilfen die Unternehmen wirklich langfristig an Deutschland binden oder den Exodus von Arbeitsplätzen in bestimmten Branchen nur verzögern. Es habe „keinen Sinn, dass der Staat Subventionen zahlt, um Unternehmen anzulocken“, sagte EU-Industriekommissar Günter Verheugen der „Welt am Sonntag“. Statt Investitionszuschüsse an Unternehmen zu geben, solle das Geld in Bildung, Ausbildung und in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt werden, sagte Verheugen. Nokia hatte für das Werk Bochum 88 Millionen Euro an Subventionen von Bund und Land erhalten.

FDP-Chef Guido Westerwelle forderte, die bisherige Subventionspolitik zur Ansiedelung von Unternehmen zu beenden. Der Steuerzahler werde letztlich zweimal zur Kasse gebeten: bei der Ansiedlung und bei der Abwicklung. „Es wird immer ein Land geben, das billiger ist“, sagte Westerwelle.

Doch was tröstlich ist: In Kamp-Lintfort gibt es ein Leben nach BenQ. „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, sagt Bürgermeister Landscheidt. Gut 60 Prozent der damals Entlassenen haben inzwischen einen neuen Job. Andere sind in Rente gegangen, und den Übriggebliebenen hilft die Transfergesellschaft noch bis Mai bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Weil nur etwa jeder fünfte Ex-BenQ-Mitarbeiter in Kamp- Lintfort wohnte, halten sich auch die negativen Folgen für die Kaufkraft in Grenzen, sagt Landscheidt. „Der Imageschaden war letztlich wohl größer als der materielle Schaden.“

Außer der Solidaritätswelle für die Beschäftigten erleichterte die gute Konjunktur die Jobsuche für die Entlassenen. Viele mussten allerdings Gehaltseinbußen von 20 bis 30 Prozent hinnehmen, räumt Landscheidt ein. Und fast alle mussten in einer neuen Branche Fuß fassen – ob im boomenden Maschinenbau oder in der Informationstechnologie. Die Wege an Rhein und Ruhr sind kurz, und wer mobil ist, dem fällt der Umstieg besonders leicht. Lediglich die Geringqualifizierten und Teilzeitangestellten hätten große Schwierigkeiten, diesen Sprung zu schaffen, sagt die Projektleiterin bei der Transfergesellschaft, Angelika Preuß.

Auf dem riesigen Produktionsgelände am Rande der Stadt herrscht meist noch gespenstische Stille. Immerhin hat es einen belgischen Chipkartenhersteller hergezogen, der 60 Ingenieure von BenQ übernommen hat. Weitere 300 Mitarbeiter beschäftigt ein kommunales Rechenzentrum auf dem Areal. „Wir hoffen, dass sich hier ein Standort für Dienstleister der Informationstechnologiebranche entwickelt“, sagt Bürgermeister Landscheidt. Der Anfang ist gemacht.

Nils-Viktor Sorge

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