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Orgelbau und Management. Im Prinzip kann man in allen Handwerken trial studieren. Man braucht nur einen Ausbildungsplatz - und einen Arbeitgeber, der das Modell unterstützt.

© dpa

Werkstatt und Hörsaal: Handwerk plus

Das „Triale Studium“ macht es möglich: In vier bis fünf Jahren kann man jetzt nicht nur Geselle und dann Meister werden, sondern auch noch einen Bachelorabschluss machen.

Tim Möller ist nicht nur Student, er ist auch nicht nur Lehrling. Er ist beides auf einmal. Mal zieht er den Blaumann über, mal sitzt er vor dem Computer und schaltet sich bei einer Online-Vorlesung ein.

In der Berufsschule lernt der 24-Jährige etwa, wie Fahrzeugsysteme und Einspritzanlagen funktionieren. In einem Betrieb in Stadthagen bei Hannover inspiziert er Autos, repariert Unfallschäden und wechselt die Reifen. In einer Online-Veranstaltung dienstagabends nimmt er Personalführung und Volkswirtschaftslehre durch. Und für die Uni-Präsenztermine fährt er jedes zweite Wochenende nach Hannover.

Seit 2014 nimmt Tim Möller an einem „Trialen Studium“ teil. So heißen die neuen Studiengänge, die eine handwerkliche Ausbildung mit einem Hochschulstudium verbinden und bei denen man obendrauf noch die Meisterprüfung für die Selbstständigkeit macht. Und das in nur vier bis fünf Jahren – statt der acht bis zwölf, die zusammenkämen, wenn man diese Stationen alle hintereinander zurücklegen würde.

Werkstatt und Hörsaal – das sind in Deutschland immer noch eher getrennte Welten und die Übergänge von einem Bildungssystem in das andere schwierig. Um das zu ändern, um Handwerksberufe auch für Abiturienten attraktiver zu machen und sie dort auf leitende Funktionen vorzubereiten, startete im Oktober 2010 die erste Kooperation der Handwerkskammer Köln mit der dortigen Fachhochschule des Mittelstandes.

Projekte in Berlin

Und das Modell kommt an – und hat inzwischen Nachahmer. Seit letztem Jahr gibt es nun auch in Hannover einen trialen Studiengang „Handwerksmanagement B.A.“, und ab diesem Herbst bietet das auch die Hochschule Niederrhein an. Auch in Berlin kommen Handwerkskammer und Hochschulen sich langsam näher.

Ein trialer Studiengang wird hier zwar noch nicht angeboten. Seit Ende Januar gibt es aber immerhin eine Kooperation der Kammer mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Im Studiengang „Restaurator im Handwerk“ lernen angehende Restauratoren Kunstgeschichte und Materialkunde. Abi oder Bachelor sind keine Voraussetzung. Nach der Fortbildung können sich die erfolgreichen Teilnehmer für einen weiterführenden Master einschreiben. Weitere Modelle werden laut Kammer gerade mit Hochschulen in Berlin verhandelt.

Gesellenbrief, Meisterprüfung, Bachelor in einem – was spricht eigentlich dafür? „Handwerksbetriebe werden größer, man muss sie professioneller führen“, erklärt Michel Brücken von der Handwerkskammer Köln. Habe früher der Meister häufig noch selbst mit Hand angelegt, übernehme er heute häufiger die Rolle des Geschäftsführers. Dazu brauche man zusätzliche Kompetenzen in Betriebswirtschaftslehre wie sie im Studium angeboten werden. Mit dem trialen Studium will man in Köln speziell Abiturienten ansprechen, die sich seltener fürs Handwerk entscheiden als Absolventen anderer Schulformen.

Das Werben um qualifizierten Nachwuchs hat aber auch demografische Gründe: „In zirka einem Viertel der Betriebe steht in den nächsten Jahren eine Übergabe an“, sagt Brücken. Dann müssen geeignete Nachfolger in den Startlöchern stehen.

Und so läuft es ab: Im trialen Studium absolviert man eine auf 2,5 Jahre verkürzte Ausbildung, in der man wie bei einer gewöhnlichen Ausbildung im Betrieb mitarbeitet und die Berufsschule besucht. Dazu kommt vom ersten Jahr an ein Teilzeitstudium (siehe Kasten), gefolgt von einer Phase mit Vollzeitstudium, der Meisterprüfung und ganz am Ende der Bachelorarbeit.

Prinzipiell kann man in allen Handwerken trial studieren. Elektroniker, Konditoren und Tischler waren schon unter den Teilnehmenden. Die Voraussetzung: Man muss einen Ausbildungsbetrieb finden, der das Modell unterstützt.

Wie die Kombi-Ausbildung abläuft

„Das ist natürlich ein straffes Programm“, sagt Lena Specht, Beraterin der Handwerkskammer Hannover. Im ersten Durchgang haben dort im Jahr 2014 sieben Teilnehmer mit dem Studium begonnen. Für dieses Jahr rechnen die Anbieter mit 15. Für Teilnehmer, die direkt aus der Schule kommen und vorher nicht gearbeitet haben, sei schon die Ausbildung alleine eine Umstellung. Tischler, Dachdecker – sie arbeiten das erste Mal jeden Tag körperlich und sind am Abend müde, weiß Specht. Und dann müsse man sich noch in der Online-Vorlesung beteiligen. Aufgefangen werde dieser Kraftakt durch die kleinen Lerngruppen, in denen die Studierenden individuell betreut würden. Komme jemand nicht mehr mit, könnten die Dozenten schnell reagieren.

Tim Möller gefällt der Wechsel zwischen den Ausbildungsorten, zwischen Praxis und Theorie. In der Berufsschule kommt er gut mit, an der Uni müsse man sehen, dass man am Ball bleibe, sagt er.

Vor dem trialen Studium hatte Möller eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann gemacht. Für ihn war von Vorteil, dass ihm der Alltag in einer Werkstatt vertraut waren. Seine Eltern führen einen Betrieb. „Ich bin damit aufgewachsen und weiß, was tagtäglich anfällt und wie das abläuft“, sagt er.

2010 hat sich in Köln der erste Student für ein Triales Studium eingeschrieben. In den vergangenen fünf Jahren kamen 110 weitere dazu. Die Abbruchquote liegt bei 17 Prozent.

Im Mai dieses Jahres gab es die erste Abschlussfeier. Michael Brücken zählt die Leuchttürme auf, berichtet von den Absolventen, denen der Einstieg in die Berufswelt gut gelungen ist: Zwei der Teilnehmer studieren heute in einem weiterführenden Masterstudiengang, ein Teilnehmer ist im elterlichen Betrieb in die Leitung eingestiegen, andere haben gute Jobs in Handwerksunternehmen. Ein Tischler arbeitet etwa für eine Firma, die für Friseur- und Modeläden Einrichtungskonzepte entwickelt und schlüsselfertig umsetzt. Zwei Kfz-Mechaniker wurden von Headhuntern in die Industrie abgeworben, sie arbeiten jetzt als Autobauer in Süddeutschland.

Tim Möller plant langfristig, die Autowerkstatt und Tankstelle seiner Eltern zu übernehmen. Davor möchte er aber noch in anderen Betrieben arbeiten, im kaufmännischen Bereich, zum Beispiel im Fahrzeugeinkauf, sagt er, um etwas anderes kennenzulernen – bevor er sich endgültig festlegt.

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