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Wirtschaft: Werner Müller

Geb. 1919

Der heimliche Senator tat so viel, dass er die Schmerzen vergaß. Die Jugend, die er hatte, wünschte er der nächsten Generation nicht. Überhaupt keiner Generation. Diese Freudlosigkeit, unter der er, der so gern lachte, gelitten hatte. Die brutale Kälte in einer brutalen Zeit. Der Krieg, in den er ziehen musste. Der ihn zum Kampfpiloten machte und schwer verwundet hinterließ: Absturz, Lungenriss. Kriegsbeschädigt zu 100 Prozent, wie man ihm bescheinigte. Ein Wunder, fand er, doch noch Zeit zu finden, älter zu werden. Junge Leute, dachte er, sollten Anspruch haben, fair behandelt zu werden. Sie sollten das Leben lohnenswert finden und glücklich sein. Wie ihm das bislang nicht gelungen war. Er musste jetzt, da der Krieg vorbei war, erst einmal kämpfen. Halbwegs gesund werden. Er schaffte es und freute sich, über seine Zukunft nachzudenken. Sein Leben in Teltow verbringen, wo er eine Verwaltungslaufbahn begonnen hatte, wollte er nicht. Er hörte, dass in Tempelhof das bezirkliche Jugendamt aufgebaut werden sollte. Das schien lohnenswerter, als in Teltow Postbücher auszufüllen. In Tempelhof also half er mit. Es half ihm, dass er so fröhlich war. Die Schmerzen, die ihm sein Körper noch immer zufügte, ließ er keinen spüren. Aber die jungen Leute, mit denen er zusammenkam, spürten, dass da einer zuhören kann. In seiner Jugend hatte ihm kaum einer zugehört. Er sprach viel von sozialer Gerechtigkeit und meinte dabei doch meist die fortwährende Ungerechtigkeit, die ihn in dieser jungen Nachkriegsgesellschaft störte.

Sein Vater, ein Glasermeister, war Sozialdemokrat gewesen,und Werner Müller wurde es auch, von Herzen. Bei den Falken, der linken Sozialistischen Jugend, brachte er es zum Vorsitzenden. Er leitete das Haus Rupenhorn, eine Jugend- und sozialpolitische Bildungsstätte. Die größere Politik schien auf ihn, diesen inzwischen ausgewiesenen Sozialexperten, schon gewartet zu haben. Bald war er Weddinger Stadtrat für Jugend und Sport, bald Senatsdirektor (Staatssekretär) in der Senatsverwaltung für Jugend und Sport. Das blieb er 18 Jahre. Die Senatoren, deren rechte Hand er war, hießen unter anderem Ella Kay, Kurt Neubauer, Harry Liehr, Olaf Sund, waren alle in der SPD. Werner Müller, den viele in der Behörde als heimlichen Senator bezeichneten, wurde Mitinitiator des Telebusses für Behinderte. Er wollte einer der ersten sein, die ein Methanol-Auto fuhren. Kurz nachdem Ulf Fink von der CDU Sozialsenator geworden war, hörte Müller mit 62 Jahren 1981 auf, ging in den Ruhestand. Als dienstältester deutscher Staatssekretär.

Seine Frau und die zwei Töchter hofften, ihn jetzt ganz für die Familie interessieren zu können, für Haus und Garten in Mariendorf. Doch Werner Müller ließ das Rad, in dem er sich sein Leben lang gedreht hatte, nicht mehr los. Er ackerte sich ab für viele Ehrenämter, etwa im Deutschen Hilfswerk, in der Deutschen Altershilfe, der Arbeiterwohlfahrt oder auch der Universalstiftung Helmut Ziegner, die sich um die Förderung und Resozialisierung von Strafgefangenen kümmert. Hier war er bis 1999 Vorsitzender des Vorstands. Freunde hatten das Gefühl, er wolle noch viel bewegen, sozialpolitisch. Er kümmerte sich um so viel, dass er bisweilen vergaß, ein kranker Mann zu sein.

Es war die Parkinsonsche Krankheit, die ihn ergriff, gegen die er mit Medikamenten tapfer anging. Er war entschlossen durchzuhalten. Auch die Kriegsverletzungen hatte er überstanden. Seinen Freunden, zu denen Walter Momper, Dietrich Stobbe und Ingrid Stahmer gehörten, sagte er, sie sollten sich keine Sorgen machen. Alles kein Drama. Dann lächelte er, wies auf seine Frau und sagte, zu zweit stünden sie das alles durch. Vielleicht hätten beide noch lange kämpfen können, als eine schwere Bronchitis ihm unerwartet den Atem nahm.

Christian van Lessen

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