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Wirtschaft: Wettbewerb auf der Schiene: David gegen Goliath

11.25 Uhr, Kiel Hauptbahnhof.

11.25 Uhr, Kiel Hauptbahnhof. Auf Gleis vier steht die Nord-Ostsee-Bahn (NOB) zur Abfahrt bereit. Auffallend ist das Design der schnittigen Dieseltriebwagen des Typs Lint 41 zwischen all den roten Waggons der Deutschen Bahn AG - weiß wie die Wolken am Himmel und blau wie die See im hohen Norden. Zugbegleiter Werner Groß, adrett gekleidet im dunklen Anzug mit leuchtend gelber Krawatte, begrüßt die einsteigenden Fahrgäste. Ganz selbstverständlich hilft Groß einer jungen Mutter, die mit schweren Einkaufstüten in der linken und einem schreienden Kind an der rechten Hand zu kämpfen hat, erklärt einer älteren Dame mit Engelsgeduld, wie der Fahrscheinautomat zu bedienen ist, und geleitet sie anschließend galant zu ihrem Platz. Nicht nur der Service ist bei der privat betriebenen NOB außergewöhnlich, auch die Ausstattung der Abteilwagen hebt sich von dem oft tristen Innenleben der Intercity- und Regionalbahnen der DB ab: Klimaanlage, Panoramafenster, Fahrscheinautomat an Bord und sechs Radio- und CD-Programme an jedem Sitzplatz.

Am 5. November 2000 hat die Nord-Ostsee-Bahn, eine hundertprozentige Tochter der Connex Verkehrs GmbH, ihren Betrieb auf den Strecken von Kiel nach St. Peter Ording aufgenommen. Und seitdem ist "Bahnfahren um Klassen besser geworden", findet Buchhändlerin Ingrid Steinmann, die täglich von Schleswig nach Kiel fährt. Flexible Fahrpläne und Pünktlichkeit sorgen bei der Privatbahn für eine hohe Kundenzufriedenheit und steigende Fahrgastzahlen. 5300 Passagiere befördert die Nord-Ostsee-Bahn täglich, das sind fast zehn Prozent mehr als zu DB-Zeiten. "Und 95 Prozent unserer Züge fahren ohne Verspätung", betont NOB-Geschäftsführer Karl-Heinz Fischer.

Um den Fahrplan einhalten zu können, musste Fischer allerdings schon so manches Hindernis aus dem Weg räumen. Er kämpfte gegen Schnee und Eis, gegen Vandalismus und Betriebsschäden - und gegen die Deutsche Bahn AG. Denn die DB Netz, Tochter der Deutschen Bahn und Eigentümerin des Schienennetzes, stellte sich bei den Vetragsverhandlungen über den Gleiszutritt quer. Fischer wollte die allgemeinen Nutzungsbedingungen, die seiner Meinung nach "völlig einseitig" sind, nicht hinnehmen. Alle Macht liege bei der DB Netz, selbst Eingriffe in die Fahrpläne hätte er als Privatbetreiber akzeptieren müssen. Ansprüche an die Bahn AG hingegen, etwa bei Betriebsausfällen durch deren Verschulden, seien kaum durchsetzbar. Deshalb bestand die NOB auf einer Sondervereinbarung, um sich wenigstens ein Minimum an Mitspracherecht zu sichern. Zwei Tage vor Betriebsbeginn wurden die Verträge doch noch unterzeichnet - allerdings unter Vorbehalt.

An einer Baustelle bei Felde bekam Fischer dann dennoch zu spüren, wie machtlos die kleinen Privatbahnen gegenüber dem Staatsbetrieb Deutsche Bahn sind. Die Bauarbeiten auf der Strecke Felde-Rendsburg, für die die DB Netz verantwortlich ist, sollten eigentlich schon zu Jahresbeginn abgeschlossen sein. Doch jetzt ist vor Mitte 2002 kein Ende in Sicht. Diese Fehlplanung bedeutet für die NOB eine erhebliche finanzielle Belastung: "Damit wir unseren Fahrplan einhalten können, müssen wir ein zusätzliches Fahrzeug einsetzen", sagt Fischer. Obwohl das Verschulden bei der DB-Netz liege, müsse sein Unternehmen für die Mehrkosten allein aufkommen. "Dabei zahlen wir Millionen Mark an Nutzungsgebühren."

Die NOB entrichtet, wie alle Privatbahnen, für jeden gefahrenen Kilometer Trassengebühren an die DB-Netz. Für die Gleisrechte und Bahnsteiggebühren berappt die Nord-Ostsee-Bahn jährlich 20 Millionen Mark. "Das ist über die Hälfte der gesamten Betriebskosten", sagt Fischer. Auch wenn aufgrund einer Klage privater Betreiber das Preissystem für die Nutzung des Schienennetzes zum 1. April geändert worden ist, rechnet Fischer nur mit einer geringfügigen finanziellen Entlastung. Die NOB könnte ohne die Subventionen des Landes Schleswig-Holstein in Höhe von 27 Millionen Mark gar nicht existieren. Denn die Privatbahn holt nur gerade mal ein Fünftel ihrer Kosten durch das Fahrkartengeschäft wieder rein. Die Mitarbeiter der Nord-Ostsee-Bahn werden, wie bei der Deutschen Bahn auch, nach Tarif bezahlt, die 31 Betriebsfahrzeugführer verdienen zum Beispiel zwischen 3700 und 4000 Mark brutto.

Das jüngste Mitglied im NOB-Team ist der zwanzigjährige Steffen Haferung. Bevor er sich bei der Privatbahn beworben hat, hat er bei der DB gearbeitet. Doch dort wurde ihm nur ein befristeter Vertrag angeboten. Jetzt steuert er die Nord-Ostsee-Bahn auf der Strecke von Kiel bis nach St. Peter Ording - zur vollsten Zufriedenheit von Geschäftsführer Fischer.

Auch wenn sich Fischer über Trassengebühren und Organisation der DB-Netz AG ärgert, ist das Verhältnis zu den Kieler Kollegen von der Konkurrenz gut. Als die Nord-Ostsee-Bahn kurz nach Betriebsbeginn in ernsthaften Schwierigkeiten steckte, entpuppte sich die DB als Retter in der Not. Die Drehgestelle aller neun Lint 41-Züge wiesen bereits nach wenigen Tagen im Einsatz erhebliche Mängel auf. "Uns blieb nichts anderes übrig als alle Wagen aus dem Verkehr zu nehmen", erinnert sich Fischer. Die Deutsche Bahn sprang ein und stellte der NOB vier Ersatz-Züge zur Verfügung. So konnte der Betrieb auf der Strecke Kiel-Husum aufrecht erhalten werden.

Für die Unterstützung hat sich Fischer revanchiert. Als ein DB-Zug bei Neumünster liegen blieb, sammelte die Nord-Ostsee-Bahn die Passagiere ein und beförderte sie bis nach Kiel.

Dagmar Rosenfeld

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