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Wirtschaft: Wettlauf der Linken

In Brasilien und Argentinien machen neue Präsidenten Wirtschaftspolitik – mit unterschiedlichem Erfolg

Von Matt Moffett Die in Brasilien und Argentinien im vergangenen Jahr gewählten linksgerichteten Präsidenten gehen bei der Behandlung des Kapitalmarktes und dem Umbau der Wirtschaft eigene Wege. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, überraschte die Investoren angenehm, als er dem Land einen strengen Sparkurs verordnete, um die Inflation zu drosseln und dabei selbst explodierende Zinsen hinnahm. Auch sein argentinischer Amtskollege Néstor Kirchner will sparen. Doch nachdem dessen Amtsvorgänger die Zahlungen an die Gläubiger von Staatsobligationen eingefroren hatten, machte er sich bei den Anlegern mit einem harten Verhandlungsstil unbeliebt.

Alles in allem scheint da Silva die glücklichere Hand bei den Sparmaßnahmen zu haben. Die Politik des Brasilianers schlägt sich bereits in den Wachstumszahlen und in einer breiten öffentlichen Unterstützung für seine Regierung nieder. Das Land verspürt langsam den Nutzen der bitteren Medizin, die da Silva der Wirtschaft zu Beginn seiner Amtszeit verordnete. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wuchs die Wirtschaft um 5,7 Prozent und die Zahl der neuen Arbeitsplätze stieg auf das Fünffache. Dies half auch da Silvas Umfragewerten vor den Kommunalwahlen im Oktober, die als Abstimmung über seine Politik gelten. „Lula erkennt, dass eine geordnete Wirtschaft der Schlüssel für den politischen Erfolg ist“, sagt Sebastian Edwards, Ökonom an der University of California in Los Angeles. „Kirchner hat dagegen noch nicht verstanden, dass Populismus den Erfolg nicht langfristig garantiert.“

Der Präsident Argentiniens wurde bei seiner Amtsübernahme im Mai 2003 von einer Welle der Zustimmung getragen, vor allem, weil die Wirtschaft des Landes nach ihrem dramatischen Absturz 2002 zu dieser Zeit eine zyklische Erholung vollzog. Doch schon in diesem Jahr flachte die Wachstumskurve wieder ab, schrumpfte das Vertrauen der Verbraucher, und die langfristigen Investitionen zahlen sich noch lange nicht aus. Die tief greifenden Wirtschaftsprobleme treiben die Menschen auf die Straßen, fördern die Kriminalität und haben dem Ansehen des Präsidenten geschadet.

Das schlechtere Abschneiden von Kirchner gegenüber da Silva ist dem Argentinier nicht in allen Punkten anzulasten. In vielen Fragen hatte er die schlechtere Ausgangsposition. Politisch hatte er es schwerer als da Silva, dem Begründer und unumstrittenem Chef der Arbeiterpartei. Als der linke Parteiflügel kürzlich den Aufstand gegen da Silvas Kurs der politischen Mitte probte, wurden die Rebellen von der treuen Riege der Gründungsmitglieder zurückgepfiffen. Nicht zuletzt nutzte da Silva seinen Lebenslauf – er arbeite sich aus armen Verhältnissen bis zum Staatspräsidenten hoch – für einen Sympathiebonus.

Kirchner dagegen war ein kaum bekannter Gouverneur aus Patagonien. Ins Amt kam er vor allem mit Hilfe des Ex-Präsidenten Eduardo Duhalde, seinem Mentor und Fürsprecher. Der große Zuspruch unter den Wählern und den Aktivisten der peronistischen Partei beruhte vor allem auf der Abneigung gegenüber seinem damaligen Hauptkonkurrenten, dem ehemaligen Präsidenten Carlos Menem. „Lula hatte bei Amtsantritt wesentlich mehr Bewegungsfreiheit als Kirchner, der sich den Zuspruch durch populistische Maßnahmen erkaufen musste“, sagt Lawrence Pih, Präsident von Moinho Pacifico, einem Müllereiunternehmen in Sao Paulo.

Wirklich versagt hat Kirchner aber, als er es nicht schaffte, die Auseinandersetzung mit den internationalen Gläubigern von Argentiniens Staatsanleihen beizulegen und als er die Versorgungsbetriebe abblitzen ließ, die vor dem Hintergrund der Peso-Entwertung auf eine neue Tarifstruktur drängten. Doch selbst bei der schlechten Behandlung der Investoren sei nicht zu übersehen, dass die argentinische Regierung in der Fiskalpolitik umsichtiger und sparsamer handele als die konservative Regierungsmannschaft in den Neunzigerjahren, sagt der Wirtschaftsexperte Orlando Ferres.

Die Zukunft der beiden größten Volkswirtschaften Südamerikas werden die Präsidenten da Silva und Kirchner ohnehin nur bedingt steuern können. Das verschuldete Brasilien, das seine Verbindlichkeiten erfüllen will, ist vor allem von der internationalen Zinsentwicklung abhängig. Und beide Länder sind als große Agrarexporteure darauf angewiesen, dass China als Hauptabnehmer eine weiche Landung seiner Volkswirtschaft gelingt.

Übersetzt und gekürzt von Christian Frobenius (Luftfahrt), Matthias Petermann (Automarkt), Tina Specht (Südamerika), Svenja Weidenfeld (China) und Karen Wientgen (US-Wahl).

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