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Wirtschaft: Wilder Westen, softe Sheriffs

Trotz der Bilanzskandale in den USA sind die Börsen-Aufseher in Europa und Japan noch nachlässig und zahnlos

Von Almar Latour und

Kevin J. Delany, Hamburg

Der frühere Mobilcom-Chef Gerhard Schmid hat im vergangenen Jahr 70,9 Millionen Euro aus der Unternehmenskasse an eine Firma seiner Ehefrau überwiesen. Den Aufsichtsrat des am Neuen Markt notierten Mobilfunkunternehmens informierte er nicht. Ein unternehmensinterner Bericht kam zum Schluss, dass Schmid gegen deutsches Recht verstoßen habe. Er hätte die anderen Vorstände und den Aufsichtsrat über diese Zahlungen in Kenntnis setzen müssen. Bis heute hat Mobilcom das Geld noch nicht wieder gesehen.

Die deutsche Finanzmarktaufsicht scheint das nicht zu stören. Was Schmid getan habe, falle nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, heißt es bei der Allfinanzaufsicht. Auch der Oberstaatsanwalt von Schleswig-Holstein ist nicht tätig geworden. Es gebe in der Sache keine Ermittlungen, sagt er.

Für den Schuldigen selbst handelt es sich um Peanuts. „Ich habe etwas Verbotenes getan, aber es ist nichts passiert“, sagt Schmid, der mit seiner Frau knapp 50 Prozent der Mobilcom-Aktien hält. „Das ist, wie wenn man zu schnell Auto fahren würde, aber kein Unfall passiert. Man weiß, dass man nicht zu schnell fahren sollte. Aber es ist niemand verletzt worden." Während US-Bosse in Handschellen abgeführt oder vor Ausschüssen des Kongresses aussagen müssen, haben Gesetzesübertreter aus der Geschäftswelt anderswo wenig zu befürchten. In den meisten Ländern Asiens, Europas und Lateirikas sind Gesetze und ihr Vollzug so schwach, dass kaum jemand verurteilt wird. Die dortigen Rechtssysteme sind nicht dafür geschaffen, Fehlverhalten im Vorstandszimmer zu ahnden. Und die Finanzmarktaufsicht ist so schlecht ausgestattet, dass daneben die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC im Geld zu schwimmen scheint.

Beispiel Japan: Die japanische Finanzmarktaufsicht hat nur 364 Mitarbeiter. Das ist nur ein Zehntel der SEC-Angestellten. Und schon die SEC gilt bei vielen als unterbesetzt. Anders als die US-Börsenaufsichtsbehörde hat die japanische Wertpapieraufsicht auch nicht die Macht, Zivilklagen anzustrengen oder auf andere Weise gegen Unternehmen vorzugehen. Die japanische Institution bringt pro Jahr nur sieben Fälle vor den Strafrichter, während es in den USA 50 sind.

Beispiel Taiwan: Die Kommission für Wertpapiere und Futures darf nicht selbst ermitteln. Und die Institutionen, die dazu die Befugnis haben – Staatsanwälte und eine Landesermittlungsbehörde – haben wenig Ahnung vom Finanzmarkt und Bilanzbetrug. Bei den mehr als 300 Fällen, mit denen die taiwanesische Kommission in den vergangenen fünf Jahren zu tun hatte, kam es in weniger als 20 Fällen zu strafrechtlicher Verfolgung, sagt ein Kommissions-Mitglied.

Beispiel Italien: Die italienische Mitte- Rechts-Regierung hat im vergangenen Jahr Bilanzierungsbetrug sogar entkriminalisiert und ihn zu einem leichteren Vergehen herabgestuft. „Anders als in den USA findet die italienische Öffentlichkeit solche Vergehen nicht wirklich schlimm“, sagte Stefano Preda, Ex-Präsident der Mailänder Börse, in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Il Sole 24 Ore".

Solche rechtlichen Missstände könnten den dortigen Finanzmärkten schaden. Die US-Wirtschaft hat zwar von den Bilanzskandalen ein blaues Auge davongetragen. Doch könnte durch eine konsequente strafrechtliche Verfolgung von Fehlverhalten das Vertrauen der Investoren wiedergewonnen werden. In dieser Hinsicht wird in vielen anderen Ländern wenig getan.

Beispiel Deutschland: Obwohl am Neuen Markt in den vergangenen zwei Jahren ein Skandal dem anderen folgte, wurde kaum ein Verfahren eingeleitet. Gegen mehr als zehn Unternehmen wurde wegen des Verdachts auf Insiderhandel, Irreführung von Aktionären und Bilanzbetrug ermittelt. Im Fall des Telematik-Dienstleisters Comroad kam es zu einer Klage gegen die Unternehmensgründer. In fast allen anderen Fällen ist bisher nichts passiert. Unterdessen ist der Neue-Markt-Index Nemax 50 seit seinem Hoch im März 2000 um 95 Prozent gefallen.

„In Deutschland geht es wie im Wilden Westen zu“, sagt Ron Hoss, ein Geschäftsmann aus Karlsruhe. „Vorstände machen falsche Angaben über den Unternehmensgewinn, doch niemand geht dagegen vor. Wenn Manager erwischt werden, kommen sie straflos davon. Wenn ich dagegen kein Parkticket habe, dann bringt man mich zur Strecke.“ Er habe vor zwei Jahren für rund 30000 Euro Neue Markt-Aktien gekauft und fast das ganze Geld verloren, sagt er.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert daher eine Verschärfung des Wertpapiergesetzes. Regelmäßig macht der DSW die Aufsichtsbehörden auf mögliche Gesetzesverstöße aufmerksam. „Aber in den meisten Fällen, in mehr als 95 Prozent der Fälle, wird nicht ermittelt“, sagt Jella Benner-Heinacher, Geschäftsführerin der DSW.

Besonders ärgerlich war für Aktionäre der Fall Mobilcom. Die Aktien des Mobilfunkunternehmens fielen seit ihrem Höchststand im März 2000 um 97 Prozent. Durch unsaubere Geschäfte hatte Schmid dem fünftgrößten deutschen Mobilfunkunternehmen – das ohnehin von der Branchenkrise angeschlagen war – schwer geschadet.

Schmid hat eigenmächtig Aktiengeschäfte mit seiner Frau getätigt. Zu diesem Fazit kommt ein vom Mobilcom-Aufsichtsrat in Auftrag gegebener Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO. Danach hat Schmid insgesamt 70,9 Millionen Euro an die Millenium GmbH, eine von seiner Frau kontrollierte Firma, überweisen lassen. Schmid sagt, 68,4 Millionen Euro seien im Rahmen eines Händler-Optionsprogramms für Mobilcom-Aktien geflossen. Da der Aufsichtsrat gegen die Emission neuer Aktien gewesen sei, hätte das Unternehmen die Papiere am offenen Markt kaufen müssen. „Schmid hat nach deutschem Aktiengesetz seine Pflichten als Vorstandschef verletzt“, heißt es im BDO-Bericht. Denn er habe ohne die Zustimmung anderer Mobilcom-Vorstände und des Aufsichtsrates gehandelt.

Trotzdem ermittelt die deutsche Allfinanzaufsicht nicht gegen Schmidt, wie eine Sprecherin der Behörde sagt. Der Vorwurf des Aufsichtsrats, Schmid habe gegen das Wertpapiergesetz verstoßen, sei eine interne Angelegenheit des Unternehmens und falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Behörde. Bislang hat sich Mobilcom von den Überweisungen an Millennium nicht erholen können. Es ist keine unbeträchtliche Summe, wenn man bedenkt, dass Mobilcom 2001 einen Verlust von 205,6 Millionen Euro bilanziert hat.

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