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Steht im Meer: Das Installationsschiff bringt die Teile für das Windrad. Der Kran trägt die Rotorblätter, bis sie befestigt sind.

© Siemens

Windenergie: Der größte Windpark der Welt

Vor der britischen Küste entsteht der größte Offshore-Windpark der Welt. Siemens baut mit. Es ist ein besonderer Arbeitsplatz.

London/Berlin - Chris Randle deutet hinaus aufs graublaue Meer. „Von hier aus sind es 20 Kilometer in diese Richtung“, sagt der Siemens-Manager. Dann legt der Katamaran vom kleinen Anleger in Ramsgate im Südosten Englands ab. Ein Dutzend Männer haben im Salon bequem Platz. Es gibt blaue Sessel wie im ICE, eine kleine Küche, zwei Fernseher. Der Katamaran bringt die Crews zu ihren Arbeitsplätzen mitten in der Nordsee. Nach ein paar Minuten tauchen die ersten Windräder im Wasser auf. Aber die lässt das Schiff rechts liegen. Diese Turbinen hat der Siemens-Konkurrent Vestas gebaut. Das eigentliche Ziel liegt weiter draußen: London Array, das weltgrößte Windkraftwerk in der offenen See.

Jedenfalls soll es das werden, noch wird in der Themse- Mündung vor der Küste von Kent und Essex gebaut. Siemens hat den Auftrag, für London Array 175 Windturbinen mit einer Leistung von je 3,6 Megawatt zu konstruieren und aufzubauen und übernimmt in den ersten fünf Jahren auch den Service. Auftraggeber ist ein Konsortium, an dem die Energiekonzerne Dong Energy aus Dänemark (50 Prozent), Eon aus Deutschland (30 Prozent) und Masdar aus Abu Dhabi (20 Prozent) beteiligt sind. Auftragswert für Siemens: geschätzte 1,2 Milliarden Euro.

Die 175 gelben Fundamente stehen bereits. Die erste Turbine installierte Siemens im Januar, inzwischen sind mehr als 130 Windräder fertig. „Wir erwarten, dass im Herbst der erste Strom fließt“, sagt Michael Hannibal, der bei Siemens das Geschäft mit Offshore-Windenergie in Europa verantwortet. Ende des Jahres sollen alle Turbinen laufen. Dann soll das Windkraftwerk eine Leistung von 630 Megawatt erreichen. Die genügt, um mehr als 470 000 Haushalte mit Strom zu versorgen. In einer zweiten Bauphase soll die Leistung auf ein Gigawatt steigen.

Nach etwa einer Stunde ist der Katamaran am Ziel. Vor ihm liegt eines der beiden Installationsschiffe. Eigentlich steht es einige Meter über der Wasseroberfläche. Denn das Schiff hat seine sechs Stahlbeine ausgefahren und sie im Meeresboden versenkt. So kann es auch bei Seegang absolute Stabilität gewährleisten. Gerade haben die Techniker eines der 60 Meter langen Rotorblätter an einer Turbine angebracht. Die Nabenhöhe liegt 87 Meter über dem Wasserspiegel. Noch wird das Blatt von einem Trapez an einem Kran gehalten. Dann ertönt ein Signal. Einen kurzen Augenblick später lösen sich die Trageriemen am Trapez: Das Rotorblatt sitzt.

Auf dem Installationsschiff liegen vorne quer gestapelt die Betonteile für weitere Türme. 2,50 Meter ist ihr Durchmesser. Weiter hinten liegen Turbinen und Rotorblätter. Siemens baut die Windräder in seinem Werk in Dänemark, verschifft sie in die Themse-Mündung und errichtet sie in einer Wassertiefe von bis zu 23 Metern. Nur die Prototypen der Generatoren für die neuen getriebelosen Windturbinen wurden in Berlin gefertigt.

Vorsichtig nähert sich der Katamaran einem der gelben Fundamente und dockt an. Obwohl das Meer relativ ruhig ist, bewegt sich das Schiff wie ein Fahrstuhl auf und ab. Die Arbeiter tragen Schwimmweste, Helm und Klettergeschirr. Sie seilen sich an, bevor sie den Schritt vom Schiff auf den Turm wagen. Wer auf dem Schiff steht, muss den Kopf weit in den Nacken legen, um Turbine und Rotorblätter sehen zu können. An ihrem Ende sind die Rotorblätter wie Löffel geformt. „Früher war ein Rotorblatt nur ein Rotorblatt“, sagt Michael Hannibal. „Heute ist es die kritischste und die ausgeklügelste Komponente.“ Die Aerodynamik mache den Unterschied. Quantum-Blatt hat Siemens seine neueste Entwicklung genannt, die die Windausbeute erhöhen sowie die Belastung und die Geräuschentwicklung reduzieren soll. Inzwischen baut Siemens bereits Windräder mit einem Rotordurchmesser von 154 Metern.

Der Konzern ist nach eigenen Angaben weltweit Marktführer bei Offshore-Windkraftanlagen. Doch das ist bisher nur ein kleiner Teil des Marktes. Windkraft auf See ist wegen des hohen Aufwands immer noch wesentlich teurer als Anlagen auf dem Land. Dafür verspricht sie stetige und höhere Ausbeute. „Die Kosten sinken stetig“, sagt Hannibal, „pro Dekade um 40 Prozent.“ Das Windgeschäft weist Siemens nicht extra aus. Mit erneuerbaren Energien insgesamt – dazu gehören auch das Solar- und Wassergeschäft – setzte Siemens in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 3,75 Milliarden Euro um und erzielte ein Ergebnis von 100 Millionen Euro.

Ein erfolgreicher und pünktlicher Abschluss von London Array wäre für Siemens wichtig. Denn nicht alle Projekte laufen wie geplant. Rund 500 Millionen Euro musste das Unternehmen in diesem Geschäftsjahr für seine vier Offshore-Projekte in der deutschen Nordsee abschreiben, weil sie nicht rechtzeitig fertig werden und die Anbindung ans Stromnetz nicht klappt. Siemens unterschätzte auch die Genehmigungsprozesse. Zu weiteren Verzögerungen werde es aber nicht kommen, verspricht das Management.

300 bis 400 Leute sind täglich für London Array an Land und auf See im Einsatz. 4000 bis 5000 sind es über das gesamte Projekt hinweg, sagt Projektleiter Randle. Gearbeitet wird an sieben Tagen die Woche in Zwölf-Stunden-Schichten. Damit die Techniker nicht täglich stundenlang im Katamaran unterwegs sind, liegt beim Windpark das Hotelschiff „Wind Ambition“ vor Anker. Managerin des 130-Zimmer-Hotels ist Jelena Bondareva aus Lettland. Auf der „Wind Ambition“ herrscht Alkoholverbot. Gefeiert wird trotzdem. „Neulich haben wir an Deck eine Grillparty veranstaltet“, erzählt ein Techniker. „Sie kümmern sich hier gut um uns.“

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