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Erwartet eine schnelle Erholung der Luftfahrt nach der Corona-Pandemie: Guillaume Faury.

© Doris Spiekermann-Klaas

Exklusiv

„Wir dürfen keine Zeit verlieren“: Airbus-CEO Guillaume Faury über Flugscham, die Klimakrise und Urlaub nach Corona

Im Intervíew erklärt Guillaume Faury, warum Flugscham am Wachstum der Luftfahrtbranche nichts ändert. Vor den Grünen fürchtet er sich nicht.

Herr Faury, Wir leben seit 15 Monaten mit der Corona-Pandemie. Jetzt sehen wir Licht am Ende des Tunnels. Erwarten Sie eine veränderte Welt?
Wir werden zur Normalität zurückkehren, vielleicht aber zu einer neuen Normalität.

Wie wird die aussehen? Werden die Menschen weniger fliegen?
Im Gegenteil. Wenn wir uns die Entwicklung der Luftfahrt anschauen, dann sind wir gerade erst am Anfang. Alle Signale stehen auf Wachstum – auch nach Corona.

Viele Experten prophezeien das Gegenteil. Was macht Sie so sicher?
Überall dort, wo die Regierungen die Restriktionen lockern, steigt die Zahl der Buchungen rasant. Die Menschen sehnen sich danach, endlich wieder entfernt lebende Freunde und Verwandte zu besuchen und zu reisen. Auch Geschäftsleute werden wieder verstärkt unterwegs sein, um ihre Kunden weltweit zu treffen.

Sie erwarten nicht, dass die Menschen künftig häufiger an Orten urlauben, die Sie mit dem Auto oder dem Zug erreichen können?
Das haben wir alle in den vergangenen 15 Monaten zur Genüge getan. Doch jetzt wollen die Menschen wieder weiter entfernte Ziele besuchen, die Welt bereisen. Wer andere Kulturen erleben möchte, muss längere Distanzen überwinden, das geht vorrangig nur mit dem Flugzeug. Fliegen erfüllt eine wichtige soziale Funktion – und auch eine wirtschaftliche. Vor Corona trug der Tourismus 10 bis 12 Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung bei. Das hat Millionen von Menschen aus der Armut geführt. Hinzu kommt: Nicht in allen Regionen der Welt gibt es ein so dichtes Zugnetz wie in Europa. Die Philippinen bestehen aus hunderten Inseln, in Australien sind die Distanzen riesig, um zwei Beispiele zu nennen. Dort können Flüge nicht einfach durch Zugfahrten ersetzt werden.

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Für Geschäftsreisen zeichnen einige Experten ein völlig anderes Bild. Sie sagen voraus, dass Flüge aus beruflichen Gründen 50 Prozent weniger stattfinden werden als vor der Krise. Das wäre kein positives Szenario für Ihre Branche
Ich teile diesen düsteren Ausblick nicht. Möglicherweise wird die Erholung im Bereich der Geschäftsreisen etwas länger dauern als im Privaten. Klar, wir haben gelernt, mit digitalen Tools zu arbeiten, weniger beruflich unterwegs zu sein. Aber die Menschen merken zunehmend, dass der persönliche Austausch, die persönliche Begegnung nicht ersetzbar sind. Auch bei den Geschäftsreisen wird die Nachfrage wieder steigen.

Sie gehen offensichtlich von weiterem Wachstum aus. Wann wird sich denn das Luftverkehrsaufkommen im Vergleich zu 2019 verdoppelt haben?
Bisher hat sich der Luftverkehr alle 15 Jahre verdoppelt. Zunächst müssen wir allerdings aus dem Tal der Krise kommen. Wir gehen davon aus, zwischen 2023 und 2025 wieder das Vorkrisenniveau zu erreichen. Das bedeutet: Bis zu fünf Jahre kein Wachstum. Wie sich der Markt nach 2025 entwickelt, ist schwer vorhersehbar. Es hängt ganz stark davon ab, welche Weichen wir jetzt stellen.

Klimaschützern dürften Ihre Prognosen nicht gefallen. Sie sehen in der Luftfahrt einen der größten Klimasünder.
Als Menschen des 21. Jahrhunderts sind wir alle angehalten, den globalen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. In dieser Hinsicht helfen öffentliche Debatten uns allen – Politikern wie Unternehmen –, das Tempo bei der Entwicklung klimafreundlicher Technologien zu erhöhen. Das gilt auch für die Luftfahrt. Aber es herrschen schon viele falsche Annahmen mit Blick auf unsere Branche vor. Im vergangenen Jahr habe ich Menschen nach ihrer Einschätzung gefragt, wie hoch die CO2-Emissionen beim Fliegen sind. Die meisten gehen von Werten aus, die 10 bis 100 Mal höher liegen als die Realität. Fakt ist: Auf einem Flug zwischen Berlin und München in einem zu 80 Prozent ausgelasteten A321 liegt der Treibstoffverbrauch bei zwei Litern pro Passagier auf 100 Kilometern. Das ist niedriger als beim Auto.

Ihre Rechnung in Ehren. Dennoch hat sich der Traum vom Fliegen für viele verdüstert. Jetzt ist das Wort Flugscham in aller Munde. Werden die Menschen ihr Verhalten nicht doch ändern?
Der Begriff ist absurd. Ein Blick auf das Gesamtsystem zeigt: Insgesamt macht das Fliegen 2,5 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Was machen wir gegen die restlichen 97,5 Prozent? Eine Branche als Klimasünder zu identifizieren, den Rest aber nicht in die Verantwortung zu nehmen, ist nicht okay. Nicht in Betracht gezogen wird in dieser Diskussion oft, dass auch der Bau von Infrastruktur wie Straßen und Schienen CO2 verursacht. Diese werden in den Klimarechnungen häufig vernachlässigt, gehören aber zur Gesamtbilanz hinzu.

Die Autobranche wandelt sich rasant und stellt auf klimafreundliche Antriebe um. Züge fahren ohnehin elektrisch. Ein elektrisches Flugzeug indes ist nirgends zu sehen.
Das stimmt nicht. Schon heute laufen viele Systeme an Bord elektrisch. Auch bei den Antrieben wollen wir auf Hybridantriebe umstellen. Ein weiterer Baustein zur CO2-Reduktion ist synthetisches Kerosin, das auch von der Bestandsflotte getankt werden kann. Ein modernes Flugzeug der Airbus-Flotte kann heute mit 50 Prozent synthetischen Kraftstoffen betrieben werden. Und wir streben 100 Prozent an. Die Herausforderung ist die ausreichende Verfügbarkeit dieser Kraftstoffe. Zudem dürfen wir nicht vergessen: In den vergangenen Jahrzehnten sind unsere Antriebe immer effizienter geworden. Langfristig geht es darum, emissionsfrei zu fliegen, mit Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom gewonnen wird.

Das ist eine entfernte Zukunft. Wann wird es so weit sein, dass die Hälfte der Flotte mit Wasserstoff fliegt?
Zwischen 2025 und 2027 werden wir mit der Entwicklung eines Wasserstoffflugzeugs beginnen, 2035 den ersten klimafreundlichen Jet präsentieren. Bis die Hälfte der Flotte mit Wasserstoff fliegt, könnte es bis Mitte des Jahrhunderts dauern. Bis dahin geht es darum, alte, nicht effiziente Maschinen auszumustern und die Bestandsflotte zunehmend mit synthetischem Kerosin zu betanken. Das macht schnell einen großen Unterschied und wird die Emissionen weiter reduzieren.

Der Weltmarktführer. Ein Airbus A320 im Landeanflug auf München. Der Konzern sieht sich gut gerüstet für die Zukunft.
Der Weltmarktführer. Ein Airbus A320 im Landeanflug auf München. Der Konzern sieht sich gut gerüstet für die Zukunft.

© Imago Images/blickwinkel

Die Herstellung von grünem Wasserstoff ist enorm energieaufwendig. Woher soll der dafür benötige umweltfreundliche Strom kommen?
Das ist eine der größten Herausforderungen aktuell. Um den Energiehunger in der gesamten Verkehrsbranche zu stillen, brauchen wir eine dekarbonisierte Stromerzeugung. Insbesondere Deutschland steht hier vor enormen Herausforderungen, weil es sich vorgenommen hat, nach der Kernenergie auch aus der Kohlestromerzeugung auszusteigen. Nun muss die Bundesrepublik kräftig in den Ausbau von erneuerbaren Stromanlagen investieren.

Was erwarten Sie von der Politik?
Regierungen weltweit haben während der Pandemie Billionen investiert, um die Auswirkungen der Krise für die Menschen abzufedern. Warum können wir nicht genauso viel Geld mobilisieren, um die noch größere Herausforderung für die Menschheit, den Klimawandel, zu meistern? Die Staaten haben nun die Aufgabe, den regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass das Geld in die klimafreundliche Energieerzeugung fließt. Teilweise passiert das schon, aber eben nicht schnell genug. Wir dürfen keine Zeit verlieren.

Die Politik scheint nicht an die Klimaversprechen der Luftfahrt zu glauben. Die Regierungen machen Einschränkungen bei Kurzstreckenflügen, zum Beispiel in Frankreich. Ein Fehler?
Definitiv. Regierungen sollten nicht vorschreiben, welche Verkehrsmittel die Menschen wählen. Verschiedene Modi gegeneinander auszuspielen, ist nicht zielführend. Vielmehr sollte es darum gehen, das Zusammenspiel zu verbessern und Effizienzen zu fördern. So lassen sich Zug und Flugzeug in vielen Situationen effektiv miteinander verbinden.

Im Moment sieht es ganz danach aus, als wenn die Politik Ihrer Branche noch strengere Vorgaben machen wird.
Das würde lediglich dazu führen, dass sich die Branche neu ausrichtet, um den Menschen ein Angebot zu machen, die nach wie vor fliegen möchten. Routen würden sich ändern. Sprich: Statt von Dresden über Frankfurt am Main direkt nach Bangalore zu fliegen, würde das womöglich über einen Zwischenstopp in Amsterdam geschehen. Das ist für die Umwelt nicht zielführend.

Es zeichnet sich ab, dass künftig große Flugzeuge weniger gebraucht werden. Die Lufthansa hat den Superflieger A380 schon stillgelegt, Airbus die Produktion eingestellt. War der A380 ein Fehler?
Der A380 hat nicht alle die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllt, aber er hat Airbus vorangebracht. Die Passagiere lieben das Flugzeug für seinen Komfort, es ist aber mit Blick auf unsere Zukunftsagenda nicht ausreichend energieeffizient. Der A380 hat uns aber wichtige Erfahrungen gebracht, mit denen wir uns auch stärker im Langstreckenbereich etablieren konnten. Der industrielle Erfolg unseres neuen Langstrecken-Modells, der A350, basiert auf vielen Erfahrungswerten, die wir aus dem A380 gezogen haben. Dank des A380 haben wir uns zum Weltmarktführer entwickelt. Der A380 war ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Airbus.

Nicht nur die Pandemie und die Klimaentwicklung setzen Airbus unter Druck. Zusätzlich droht neuer Wettbewerb aus China, wohin 20 Prozent der Produktion von Airbus verkauft werden. Der Kurz- und Mittelstreckenjet C919 des Herstellers Comac soll in diesem Jahr seine Zulassung erhalten. Wird sich der Jet gegen Airbus und Boeing am Markt durchsetzen?
Kurzfristig wird das den Markt nicht beeinflussen, langfristig schon. Wir müssen damit rechnen, dass Comac erfolgreich sein wird mit seiner Entwicklung. Das wird den Kostendruck erhöhen. Um im Wettbewerb zu bestehen, müssen wir uns ständig neu erfinden, schneller werden. Gleichzeitig wächst der Markt, die Nachfrage nach Flugzeugen wird steigen.

Airbus hat ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Shenzhen und ein Auslieferungszentrum für Großraumflieger der Typen A330 und A350 in Tianjin aufgebaut. Birgt das nicht das Risiko, weiteres Knowhow an China zu verlieren?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen von China lernen. Viele chinesische Firmen sind wettbewerbsfähiger als westliche, entwickeln eine Vielzahl neuer Technologien. Shenzhen im Süden Chinas ist das Zentrum für Innovationen. Davon wollen wir profitieren. Das heißt nicht, dass wir keine Risiken sehen. Wir schützen unsere Technologie und unser Know-how.

Es gibt noch einen anderen Konflikt: Der ewige Zollstreit zwischen Airbus und Boeing, der jüngst auf Eis gelegt wurde – zunächst für fünf Jahre. Allerdings haben sich die USA und die EU noch nicht geeinigt, ob Airbus Subventionen zurückzahlen muss oder Boeing auf Geld verzichten soll. Wird der Streit wieder aufflammen?
Das hoffe ich nicht und davon gehe ich auch nicht aus. Der Streit war für beide Seiten des Atlantiks verlustreich, gerade während der Coronakrise. Die jetzt getroffenen Entscheidungen geben beiden Seiten die Gelegenheit, eine langfristige Lösung zu erarbeiten.

Was haben Sie von dem 737-Desaster bei Boeing gelernt?
Dazu fällt mir ein Sprichwort ein: Der weise Mann lernt aus seinen Fehlern, der sehr weise Mann lernt aus den Fehlern der anderen. Nun, wir kennen die Daten nicht, können nur von außen beobachten. Daher kann ich Ihnen diese Frage gar nicht beantworten. Wir sehen aber, dass die Flugsicherheitsbehörden versuchen, so viel zu lernen, wie möglich ist. Und davon wird die ganze Branche profitieren. Gewiss ist: Fliegen ist schon heute sicherer als jede andere Art des Reisens. Wir stellen permanent unsere eigenen Prozesse auf den Prüfstand und tauschen uns regelmäßig mit den Behörden aus, damit das so bleibt.

Der Bundestag hat jüngst grünes Licht für das mit Abstand teuerste und politisch wohl wichtigste Rüstungsprojekt in Europa geben, das Future Combat Air System (FCAS). In Deutschland gibt es Kritik, dass für das Land nur eine teure Rolle am Rand bleibe und das geplante Flugzeug zudem wenig ambitioniert sei?
Diese Diskussion hierzulande verstehe ich nicht. Davon abgesehen gibt es auch immer wieder mal ähnliche Stimmen in Frankreich, die Deutschland als den Nutznießer des Programms sehen. Ich kann Ihnen sagen: Alle beteiligten Staaten – Spanien, Frankreich und Deutschland – werden von dem Projekt gleichermaßen profitieren. Die Industriepartner haben nach langen Verhandlungen ein gemeinsames Angebot abgegeben, das von den Staaten akzeptiert wurde und eine faire und ausgewogene Aufgabenverteilung zwischen den drei Ländern vorsieht. Wir begrüßen den gefundenen Kompromiss sehr und sind dankbar für die Zustimmung des Deutschen Bundestages. FCAS ist essenziell für die Entwicklung neuer Technologien – auch in anderen Sektoren wie der zivilen Luftfahrt. Zum Beispiel geht es darum, eine sichere Kommunikation zwischen den Flugzeugen zu entwickeln.

In Deutschland sieht es so aus, als könnten die Grünen bald Teil der Regierung werden. Ist das für Sie eine eher gespenstische Aussicht - oder könnten Sie damit leben?
Natürlich können wir mit solch einer Situation leben. Schon heute tauschen wir uns regelmäßig mit den Grünen aus und werden dies selbstverständlich auch weiter tun. Grundsätzlich verfolgen wir dieselben Ziele: die Dekarbonisierung und ein starkes Europa.

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