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Wirtschaft: „Wir fordern mehr Netto für die Beschäftigten“

BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf über die Bescheidenheit der Arbeitnehmer und die Notwendigkeit, neue Kraftwerke zu bauen

Herr Schnappauf, die deutsche Industrie schlägt alle Rekorde. Warum strahlt das „Made in Germany“ so stark wie noch nie?

Die Industrie leuchtet wirklich wieder und zwar global. Die Firmen haben sich in den vergangenen Jahren fit gemacht für den Weltmarkt und ernten jetzt die Früchte. Ich will dabei auch den Anteil der Politik würdigen. Die Agenda 2010 und die Politik der Regierung Merkel haben die Rahmenbedingungen verbessert. Und auch die Arbeitnehmer und Gewerkschaften haben durch Lohnzurückhaltung geholfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Wie hängt die Agenda 2010 mit dem Exporterfolg des Maschinenbaus zusammen?

Wenn von 31 Branchen im Maschinenbau deutsche Firmen in 21 vorn liegen, dann hängt das natürlich in erster Linie mit der Innovationsstärke der Firmen zusammen. Die Agenda 2010 hat jedoch wichtige Reformen gebracht, etwa die Senkung der Lohnnebenkosten. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ist von mehr als sechs auf heute 3,3 Prozent gefallen. Dieses Erfolgsrezept wirkt. Deutschland wurde in relativ kurzer Zeit vom Wachstumsschlusslicht in Europa zur Lokomotive. Nun gilt es, diese Lok unter Dampf zu halten.

Wird die Lok denn langsamer?

Wir haben eine unglaubliche Renaissance der Industrie. Jeden Tag stellen die Unternehmen 1000 zusätzliche Arbeitskräfte ein, das ist phänomenal. Doch die Risiken wachsen, etwa durch Fachkräftemangel. Unser einziger Rohstoff ist der Geist. Bildung muss also zu einer konzertierten Aktion gemacht werden, von Eltern, Staat, Wirtschaft.

Hat der BDI, haben die Firmen das verschlafen?

Die Unternehmen machen sehr viel. Und der BDI hat zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die Mint-Initiative gestartet. Das steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Dazu veranstalten die Wirtschaftsverbände an diesem Montag einen großen Bildungskongress in Berlin. Wir wollen dieses Thema unbedingt vorantreiben.

Allein der Maschinenbau sucht 95 000 Ingenieure. Wie konnte das passieren?

Die Ursachenforschung beginnt in der Schule. Es ist skandalös, dass in unserem hochentwickelten Land, in dem Milliarden für Bildung ausgegeben werden, mehr als zehn Prozent die Schule verlassen und nicht ausbildungsfähig sind.

Woran fehlt es vor allem?

Die Vermittlung von Fremdsprachen ist ganz wichtig. Weil wir von der Globalisierung profitieren wie kein anderes Land. Wir sind das fünfte Jahr hintereinander Exportweltmeister. Rund neun Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Export ab. Dazu brauchen wir die entsprechende Sprachkompetenz.

Von den Arbeitnehmern wird immer mehr erwartet, aber auf den Gehaltszetteln ändert sich nicht viel.

Deshalb fordern wir mehr Netto für die Beschäftigten. Wir beschränken uns als Industrieverband ganz bewusst nicht auf Fragen der Unternehmensteuer, sondern sind der Ansicht, dass die Arbeitnehmer ihren Anteil am Aufschwung bekommen sollten. Der Staat hat von 2004 bis 2007 konjunkturbedingt 91 Milliarden Euro mehr eingenommen; bei den Arbeitnehmern, die das Wachstum ja erwirtschaften, sind in der gleichen Zeit aber nur 18 Milliarden Euro angekommen.

Nicht nur der Staat, auch Manager und Aktionäre haben sich sehr gut gestanden.

Sicherlich. Auch deshalb muss jetzt mehr Netto für die Beschäftigten her. Die Arbeitnehmer müssen auch im Portemonnaie sehen, dass ihnen unser marktwirtschaftliches System nutzt. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zustimmung für unser System rapide gesunken. Nur noch etwa ein Drittel der Bevölkerung bejaht die soziale Marktwirtschaft. Das ist eine Vorlage für die wirtschaftsfeindlichen Kräfte im politischen Raum.

Warum sind die Leute so skeptisch?

Dafür gibt es ein Bündel von Ursachen. Elementare wirtschaftliche Zusammenhänge sind nicht richtig vermittelt worden. Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet wurde. Einzelfälle von Fehlverhalten haben sicherlich auch zum Verdruss beigetragen. Und es darf nicht sein, dass Gehaltserhöhungen durch höhere Steuern aufgefressen werden.

Also steht die Steuerpolitik in diesem Jahr im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?

Die Erbschaftsteuer ist natürlich ein zentrales Thema, um den Mittelstand auch in Deutschland zu halten. Die internationalen Konzerne ziehen um den Globus, aber unser Mittelstand, der in aller Welt erfolgreich ist, hat eine ausgeprägte Bindung an seine Region. Das darf nicht gefährdet werden durch die Steuerpolitik.

BDI-Präsident Thumann sprach von einem „grünen Signal“, als er Sie im vergangenen Herbst als Hauptgeschäftsführer vorstellte. Wie leuchten Sie denn nun?

Die Phase der Ideologisierung des Klimaschutzes ist vorbei. Jetzt geht es ums Handeln.

Auch in der deutschen Industrie?

Die deutsche Industrie hat weltweit breit verfügbare Technologien. Neue Technologien helfen beim Klima und sind eine Wachstumschance für Deutschland.

Etwa Kohlekraftwerke?

Der neuen Generation, ja. Nach den ehrgeizigen Zielen der EU sollen im Jahr 2020 mindestens 20 Prozent des Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Wir brauchen also für 80 Prozent Kohle, Gas und Kernkraft. Und wenn die Kernkraft 2021 auslaufen soll und der Widerstand gegen die Kohle bleibt, dann geht die Rechnung nicht auf.

Also weiter Kernkraft?

Entweder werden wir zum Stromimportland, und die Kraftwerke stehen in den Nachbarländern, und andere diktieren uns die Preise. Oder wir lassen die Kernkraftwerke länger laufen und modernisieren die Kohlekraftwerke. Wir brauchen unbedingt ein ganzheitliches Energiekonzept für Deutschland, sonst laufen wir tatsächlich in eine Stromlücke. Übrigens brauchen wir auch ausreichende Leitungsnetze.

Mit der Stromlücke argumentieren die Konzernlobbyisten, die natürlich die AKW länger laufen lassen und so wenig wie möglich für CO2-Zertifikate zahlen wollen.

Ich kann doch Wunschvorstellungen nicht verwechseln mit Realitäten. Heute haben wir einen Anteil von rund 14 Prozent erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. Dieser Anteil wird steigen, aber nicht so schnell, wie manche wünschen. Um eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke kommen wir nicht umhin. Und wir werden auch neue Kohlekraftwerke brauchen. Wenn wir in allen Bereichen die heute verfügbaren Technologien konsequent einsetzen, können wir bis 2020 weitere 170 Millionen Tonnen CO2 sparen.

Muss dem Fortschritt, das wissen Sie als Ex-Umweltminister, nicht auf die Sprünge geholfen werden? Indem zum Beispiel, die Emissionsrechte nicht verschenkt werden.

Ja, aber wir müssen Klimaschutz als globale Herausforderung betrachten. Deutschland hat einen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen von rund drei Prozent, die EU von 16 Prozent. Wenn die großen Emittenten der Erde nicht mitmachen, also Amerikaner und Chinesen, dann verpuffen unsere Klimaschutz-Anstrengungen, und wir vernichten deutsche Arbeitsplätze. Wenn wir die Industrien, zum Beispiel die energieintensiven Stahlerzeuger, mit der Versteigerung von CO2-Zertifikaten zu stark belasten, dann hat der deutsche Stahlerzeuger mehr zu tragen als der chinesische und fällt im Wettbewerb zurück. Das ist nicht im Sinne des Klimaschutzes.

Dann ist auch nicht im Sinne des Klimaschutzes, wenn die dicksten Autos Strafe zahlen für ihre miese CO2-Bilanz?

Lasst doch mal die Kirche im Dorf! Es wäre durch nichts zu rechtfertigen, die deutschen Premiumhersteller übermäßig zu belasten. Vor allem auch mit den hohen Strafzahlungen, wie Teile der EU-Kommission möchten. Die 50 verbreitetsten Premiummodelle kommen auf einen Anteil von 1,25 Prozent am CO2-Ausstoß der Autoindustrie insgesamt. Das macht das Kraut nicht fett. Gerade die Premiumhersteller sind Vorreiter bei technologischen Innovationen. Das Kind würde mit dem Bade ausgeschüttet, wenn man nun den Premiumherstellern ihre wirtschaftliche Basis kaputt machte.

Das Interview führte Alfons Frese

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