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Wirtschaft: „Wir haben zu oft Zugeständnisse gemacht“

Karstadt-Chef Helmut Merkel über die Fehler seiner Vorgänger, die Rettung des Konzerns und die Zukunft der Kaufhäuser

Herr Merkel, Sie sind auch Professor für Betriebswirtschaftlehre. Wie würden Sie Ihren Studenten in drei Sätzen erklären, was bei Karstadt schief gelaufen ist?

Drei Sätze sind dafür ein bisschen wenig, aber ich versuche es mal. Erstens: Wir haben es nicht geschafft, ins internationale Geschäft einzusteigen. Zweitens: Wir haben nicht genügend in Vertriebslinien parallel zum Warenhaus investiert, das heißt einzelne Segmente aus dem Angebot rauszunehmen und daraus erfolgreich eigenständige Fachgeschäfte aufzubauen. Drittens: Wir haben zu oft Zugeständnisse gemacht.

Was meinen Sie mit Zugeständnissen?

Wir haben bei Karstadt den Fehler gemacht, dass Entscheidungen immer unter Prämissen zu Stande gekommen sind. Ein Beispiel: Wir haben damals im Rahmen der Hertie-Integration eine Filiale in Berlin-Neukölln übernommen. Das Kartellamt hat die Auflage gemacht, dass wir keine Spielwaren und Kinderbekleidung verkaufen dürfen. Da hätte das Management sagen müssen, das machen wir nicht, wir schließen die Filiale. Stattdessen haben sie gesagt, das ist zwar eine harte Einschränkung, aber vielleicht klappt es ja doch. Das war falsch.

Sie sagen, es war auch falsch, nicht genügend in andere Vertriebslinien zu investieren. Warum verkaufen Sie dann jetzt Sinn Leffers, Runners Point und all Ihre anderen Fachgeschäfte?

Weil wir uns in unserer jetzigen Situation die Fachgeschäfte nicht mehr leisten können. Wir müssen uns jetzt in dem bestehenden Geschäft eindeutig fokussieren. Die Aufgabe für die nächsten Jahre ist klar: Karstadt muss endlich wieder Geld verdienen.

Ihr Konkurrent Kaufhof hat damit schon angefangen und im dritten Quartal ein sattes Plus erzielt. Sie hingegen haben ordentlich Minus gemacht.

Die öffentliche Debatte um die Karstadt-Krise hat uns im Oktober Umsatz gekostet. In diesem Monat haben wir auch so gut wie keine Werbung gemacht. Wofür auch? Hätte ich vielleicht Anzeigen schalten sollen: Liebe Kunden, alles halb so schlimm?

Jetzt hoffen Sie auf das Weihnachtsgeschäft. Werden Sie da die Kunden mit Rabattaktionen locken?

Nein, es wird bei Karstadt keine Rabattaktionen geben. Zum Saisonende werden wir die Winterware wie überall üblich reduzieren, aber vor Weihnachten werden bei uns die Preise nicht purzeln.

Können Sie vor Weihnachten denn noch einen Käufer für die Fachgeschäfte und 77 Karstadt-Filialen präsentieren?

Dafür ist es noch zu früh. Wir haben uns vorgenommen, dass wir für die Fachgeschäfte 2005 eine Lösung gefunden haben. Bei den 77 Filialen haben wir uns einen Zeitraum von maximal drei Jahren gesetzt, aber je früher wir einen Investor gefunden haben, umso besser.

Sie verhandeln doch schon mit Interessenten?

Ja, wir führen mit drei Investoren, die unsere Branche gut kennen, sehr intensive Gespräche.

Verhandeln Sie über einzelne Filialen oder sollen alle 77 als Paket verkauft werden?

Es wir kein Rosinenpicken geben. Wir reden nur mit Investoren, die alle Filialen wollen. Allerdings haben zehn der 77 Häuser strukturelle Probleme, so dass wir diese zehn im Zweifelsfall aus dem Paket rausnehmen müssen.

Und was passiert dann mit diesen zehn Filialen?

Wenn wir für diese Häuser keinen Investor finden, werden wir sie schließen. Anders geht es nicht mehr.

Die anderen 67 Filialen schreiben keine rote Zahlen. Warum werden sie trotzdem verkauft?

Weil sie zu klein sind und an Standorten liegen, die als Warenhausstandorte nicht funktionieren. Sie erfordern eine aufwändige, individuelle Ausrichtung an den Bedürfnissen des Standortes. Diese Filialen machen gerade mal 20 Prozent unserer gesamten Warenhausfläche aus, die restlichen 80 Prozent bringen die 89 größeren Häuser. Deswegen ziehen wir eine Trennlinie, organisatorisch und vertrieblich.

Das heißt, alles was kleiner als 8000 Quadratmeter ist, muss weg. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Das ist die Mindestfläche, die nötig ist, um ein funktionierendes Warenhaus zu betreiben.

Warum?

In ein richtiges Kaufhaus gehören sieben Geschäftssortimente: Mode, Parfum-Kosmetik, Sport, Multimedia, Wohnen, Lebensmittel-Gastronomie und Reisen. Dann müssen Sie in jedem dieser sieben Sortimente genügend Auswahl bieten, das Ganze ansprechend präsentieren und so eine Atmosphäre schaffen, in der sich der Kunde wohl fühlt.

Das ist die Theorie. In der Praxis aber bedeutet Kaufhaus-Atmosphäre meistens stickige Luft, Wühltisch-Ambiente und abgelatschte PVC-Böden.

Das ist Unsinn. Wir haben allein in den letzten vier Jahren 500 Millionen Euro in unsere Häuser investiert und 21 Filialen komplett neu gestaltet. Wir haben im Bereich Wohnen das life-style-orientierte Yorn-Casa-Konzept eingeführt oder das Thema Lebensmittel und Gastronomie rundum erneuert.

Ist das Lebensmittelgeschäft für ein Kaufhaus noch rentabel?

Wieder rentabel. In vielen Großstädten ist eine Lücke entstanden, weil kleine Feinkostgeschäfte weg sind und die Discounter nicht in die 1-A-Lagen in den Innenstädten gehen. Deswegen überlegen wir jetzt auch, an einigen Standorten den Lebensmittelbereich wieder einzuführen.

Sind denn noch weitere Investitionen für die Neugestaltung der größeren Karstadt-Häuser geplant?

Wir werden jährlich 100 Millionen Euro in unsere Verkaufsflächen investieren. Nächstes Jahr werden zwischen fünf und acht Filialen neu gestaltet, darunter das Wertheim-Kaufhaus auf dem Kudamm in Berlin.

Die großen Häuser werden also hübsch gemacht. Passiert auch was in den kleineren Filialen, bis für sie ein Käufer gefunden ist?

Oh ja, hier setzen wir gerade einen Drei-Stufen-Plan um. Zuerst werden die Sortimente neu ausgerichtet, und zwar nach den lokalen Bedürfnissen. In der zweiten Stufe kommt jede einzelne Dienstleistung, etwa die Hausmeistertätigkeiten in unseren Filialen, auf den Prüfstand. Wir entscheiden dann, was weiter von Karstadt übernommen werden soll und was von externen Dienstleistern. Und zuletzt werden wir überlegen, ob wir einen Partner in die Filialen holen, beispielsweise könnte das Parfum- und Kosmetikgeschäft künftig von einer Drogeriekette übernommen werden.

Sie klingen optimistisch. Teilen Ihre Mitarbeiter diesen Optimismus?

Ich glaube schon, dass die Menschen verstanden haben, dass es jetzt darum geht ihren Arbeitsplatz zu sichern und dazu müssen sie einen Beitrag leisten. Natürlich verlangen wir ihnen einiges ab, mit dem Verzicht auf Gehaltserhöhungen, Urlaubsgeld und tarifliche Sonderleistungen. Wenn es allerdings nach mir gegangen wäre, hätte ich noch die Arbeitszeit auf 40 Stunden verlängert, aber das war mit Verdi nicht zu machen.

Wenn schon nicht länger gearbeitet wird, wäre Karstadt vielleicht mit längeren Öffnungszeiten geholfen?

Nein, längere Öffnungszeiten bringen dem Einzelhandel nichts. Die Menschen halten sich momentan mit dem Kaufen zurück. Da könnten unsere Filialen rund um die Uhr geöffnet sein, und wir würden trotzdem nicht mehr Umsatz machen. Die Kaufbereitschaft hat wenig mit Öffnungszeiten zu tun, sondern mit dem Vertrauen der Menschen in die Zukunft. Und das ist derzeit nicht allzu groß.

Allzu großes Vertrauen in die Zukunft haben auch die Kommunen nicht. Sie fürchten das Ende ihrer Innenstädte, wenn Karstadt seine Filialen verkauft.

Das sind nun mal leider die Spielregeln im Wettbewerb. Das haben die Kommunen selber in der Hand. Schließlich haben sie in den Klein- und Mittelstädten immer wieder neue Verkaufsflächen für Einkaufszentren und auf der grünen Wiese ausgewiesen. Allein in den nächsten drei Jahren sind 77 neue Einkaufszentren in Planung, und es gibt schon jetzt 352 davon. Da muss es doch zum Kollaps für einzelne Mittelstädte oder Vorstadtbezirke kommen.

Was fordern Sie von den Kommunen?

Dass sie endlich aufhören, neue Verkaufsflächen auszuweisen und sich lieber um das kümmern, was sie schon haben. Die Kommunen sollten ihre Innenstädte wie ein Einkaufscenter managen. Da würde ja auch niemand sechs Bäckereien nebeneinander aufmachen.

Das Gespräch führte Dagmar Rosenfeld.

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