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Wirtschaft: „Wir können nicht in jedem Dorf fördern“ Matthias Platzeck über die Zukunft des Ostens

Herr Platzeck, wo ist der Osten Spitze? Wir heimsten die meisten Olympiamedaillen ein und haben mit Oberwiesenthal die höchstgelegene Stadt Deutschlands.

Herr Platzeck, wo ist der Osten Spitze?

Wir heimsten die meisten Olympiamedaillen ein und haben mit Oberwiesenthal die höchstgelegene Stadt Deutschlands.

Und sonst?

Unternehmer sagen mir, dass die Einsatzbereitschaft, die Mobilität und auch die Flexibilität der Arbeiter im Osten wesentlich größer sind als im Westen.

Gibt es auch Branchen, die besser sind als im Westen?

Ja. Aber das liegt ehrlicherweise auch daran, dass sie neu sind. Die Luft- und Raumfahrt gab es als Branche früher im Osten überhaupt nicht. Auch die Biotechnologie ist neu. Sie gehört deutschlandweit zum Spitzenfeld. In Schwarze Pumpe steht das Braunkohlekraftwerk mit dem weltweit höchsten Wirkungsgrad. Außerdem haben wir hier in Brandenburg die produktivste Landwirtschaft Deutschlands. Und wir sind bereits jetzt der größte Biokraftstoffproduzent der Bundesrepublik, bald werden wir auch der größte Papierproduzent sein.

Warum sind das bisher nur Inseln?

Es wird immer vergessen, dass wir bis Mitte der 90er Jahre eine fast komplette Deindustrialisierung durchmachten und dann ganz neu anfangen mussten. Bayern hat für einen solchen Kraftakt 35 Jahre gebraucht, bis zur Lederhose der Laptop hinzukam. Und bis dahin heftig vom Länderfinanzausgleich profitiert.

Was muss passieren, damit von den Inseln Impulse für die Regionen ausgehen?

Wir müssen unsere Stärken stärken und die Gelder konzentrierter einsetzen. Die Luft- und Raumfahrttechnik in Brandenburg braucht zum Beispiel einen Flughafen. Sonst siedeln sich keine weiteren Unternehmen an. Außerdem müssen wird die Eigenkapitaldecke aller betroffenen Unternehmen stärken. Viele Ost-Firmen haben tolle Produkte. Aber wenn sie die Eigenkapitallücke nicht schließen können, werden sie nicht überleben. Und drittens müssen wir den Technologietransfer vorantreiben.

Wie soll das funktionieren?

Der Osten war lange die verlängerte Werkbank des Westens. Aber jetzt merken wir, dass wir ein Produkt nicht billiger zusammenschrauben können als Polen oder Tschechien. Unsere einzige Chance liegt darin, Forschung und Wissenschaft voranzutreiben. Noch haben wir große Probleme, aus Forschungsergebnissen Produkte zu machen. Wir brauchen eine bessere Vernetzung.

Braucht der Osten dafür mehr Geld?

Das ist in der jetzigen wirtschaftlichen Situation völlig unrealistisch. Ich bin mir sicher, dass der Solidarpakt nicht mehr aufgeschnürt wird. Aber wir müssen uns überlegen, wie wir die Mittel, die wir haben, noch effektiver einsetzen.

Wenn die Leuchttürme gefördert werden, was passiert dann mit dem Rest?

Jedes Unternehmen hat weiterhin einen Rechtsanspruch auf Förderung. Aber es ist klar, dass wir künftig nicht mehr in jedem Dorf fördern können. Wir brauchen in der Fläche neue, ganzheitliche Ansätze. Der Landwirt zum Beispiel auch als Energiewirt und Tourismusanbieter.

Im Osten demonstrieren Tausende gegen Hartz IV. Können Sie Ihnen versprechen, dass es bald mehr Arbeit gibt?

Ich glaube nicht, dass Hartz IV allein einen erkennbaren Beitrag zu neuen Arbeitsplätzen leistet. Aber das Gesamtreformwerk wird dazu führen, dass die Wirtschaft wächst und dann auch mehr Jobs entstehen.

Auch im Osten?

Es macht keinen Sinn, nur isoliert auf den Osten zu schauen. Wir brauchen in Gesamtdeutschland eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung. Von der wird dann auch Ostdeutschland profitieren. Aber im Moment ist die Stimmung versaut. Wie man die Bögen für Hartz IV verschicken konnte, ohne vorher eine vernünftige Informationskampagne zu machen, verstehe ich nicht. Diesen Fehler müssen wir jetzt mühsam reparieren.

Das Gespräch führte Maren Peters

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