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Wirtschaft: "Wir müssen die Ideologie über Bord werfen"

Zum Thema Online Spezial: Arbeitsmarkt Deutschland Umfrage: Schröders Arbeitsmarktpolitik - Nur Wahlkampfgetöse? Harald Schartau (48) ist seit rund eineinhalb Jahren Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und seit wenigen Wochen Chef des dortigen SPD-Landesverbandes, in dem mehr als ein Viertel aller SPD-Mitglieder organisiert sind.

Zum Thema Online Spezial: Arbeitsmarkt Deutschland Umfrage: Schröders Arbeitsmarktpolitik - Nur Wahlkampfgetöse? Harald Schartau (48) ist seit rund eineinhalb Jahren Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und seit wenigen Wochen Chef des dortigen SPD-Landesverbandes, in dem mehr als ein Viertel aller SPD-Mitglieder organisiert sind. Der gelernte Chemiearbeiter und Betriebswirt leitete zuvor den wichtigen IG-Metall-Bezirk zwischen Rhein und Weser und profilierte sich dort als pragmatischer und undogmatischer Tarifexperte, der seiner Gewerkschaft einen entschiedeneren Modernisierungskurs empfahl.

Herr Schartau, was würden Sie jetzt tun, wenn Sie Bundesarbeitsminister wären?

Zunächst einmal erklären, dass die Arbeitsmarktpolitik nicht allmächtig ist. Gegen eine Konjunkturflaute hat kein Minister der Welt eine Chance - auch nicht mit einer noch so raffinierten Arbeitsmarktpolitik.

Trotzdem wächst der Druck auf die Regierung, etwas zu unternehmen. Nur kosten darf es nichts. Sind der Koalition die Hände gebunden?

Die Regierung tut, was sie kann. Sie zieht Investitionen vor. Der Spielraum für weitere Maßnahmen ist klein. Denn die Koalition hat sich vorgenommen, die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Da kann man nicht in einer Konjunkturkrise schnell die Pferde wechseln und Ausgabenprogramme auflegen. Ad hoc lässt sich ohnehin nichts gegen die Jobkrise tun. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen, und schon verschwinden die Arbeitslosen. Bis eine Maßnahme wirkt, dauert es Monate.

Die Arbeitslosigkeit ist nicht über Nacht über Deutschland hereingebrochen. Hätte die Regierung früher reagieren müssen?

Die Frage ist müßig, genauso wie die Debatte, ob wir demnächst 3,9 oder 4,3 Millionen Arbeitslose haben. Zu hoch ist die Zahl in jedem Fall. Wir müssen den Wählern jetzt erklären, wie wir nach der Bundestagswahl schnell für neue Jobs sorgen wollen. Das wird das beherrschende Thema im Wahlkampf sein.

Die pfiffigeren Vorschläge in puncto Arbeitsmarktpolitik kommen derzeit von den Grünen. Ist die SPD durch ihre Nähe zu den Gewerkschaften gelähmt?

Nein. Die Grünen sind genauso lange in der Regierung wie SPD, deshalb haben Sie keinen Grund, uns Untätigkeit vorzuwerfen und sich als Reformer aufzuspielen. Die denken vor allem an ihr eigenes Fell. In den vergangenen Jahren waren die Probleme ja auch noch nicht so gravierend. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist Kernkompetenz der SPD, weil viele Genossen das Thema nicht nur aus der Theorie kennen.

Beinahe täglich gibt es neue Vorschläge zur Lösung des Job-Problems - Kombilöhne, Überstunden-Abbau oder kommunale Investitionsprogramme. Hat die SPD ein Konzept für eine Reform des Arbeitsmarktes?

Mir sind zu viele Vorschläge lieber als zu wenige. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, dass es nun den Kombilohn bundesweit gibt. Er ist wichtig, bringt aber keine wirkliche Qualitätsveränderung.

Mit ihrer bisherigen Politik habe die Regierung eher Arbeitsplätze vernichtet, klagen die Unternehmer: indem sie immer mehr Gesetze zum Arbeitsmarkt verabschiedet hat.

Jedes Gesetz war sinnvoll. Bei der Teilzeit zum Beispiel hatte Deutschland großen Nachholbedarf, mit dem Teilzeitgesetz holen wir auf. Das Job-Aktiv-Gesetz hat die Arbeitsvermittlung einen Riesenschritt voran gebracht. Die Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen wird verbessert, Job-Rotation wird eingeführt und der Einsatz privater Arbeitsvermittler wird erleichtert. Das sind Meilensteine. Einzig das Betriebsverfassungsgesetz war ein Problem. Es war wichtig, hat aber die Stimmung der Mittelständler deutlich getrübt.

Können bessere Beratung und Vermittlung allein die Jobkrise beenden?

Sie können einen Beitrag dazu leisten, dass gering Qualifizierte ebenso wie Top-Kräfte eine Chance auf eine Stelle haben und Arbeitslosigkeit schnellstmöglich endet. Mit dem Job-Aktiv-Gesetz vereinbaren Arbeitsamt und Arbeitsloser möglichst früh, was beide Seiten tun müssen, um die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen - Qualifizierung, ein Praktikum oder eine schnelle Folge von Bewerbungen. Das wird auch die Einstellung der Menschen zur Arbeitslosenversicherung ändern: Nicht das Auszahlen einer Versicherungsleistung steht im Vordergrund, sondern die Verabredung konkreter Schritte zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Das Arbeitsamt tritt dabei als Dienstleister auf.

Können das die Arbeitsämter?

Nur, wenn sie ihre Einstellung ändern. Die Arbeitsämter dürfen die Beschäftigungskrise nicht wie eine Behörde verwalten, sondern müssen sie tatkräftig bekämpfen. Die Versicherten haben einen Anspruch darauf, dass sie für ihre gezahlten Arbeitslosenbeiträge eine anständige Vermittlung bekommen. Diese Haltung ist in vielen Ämtern noch nicht angekommen. Neue Stellen organisieren können übrigens auch private Firmen und Zeitarbeitsunternehmen. Je dezentraler die Vermittlung, desto besser.

Wie geht es weiter mit dem Niedriglohnsektor? Sie sagen, der Kombilohn reicht nicht aus.

Wir müssen einfache Dienstleistungen, die heute schwarz erledigt werden, in reguläre Beschäftigung überführen. Diese Jobs werden in Zukunft immer wichtiger durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt, die demografische Entwicklung und die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen. Damit die neuen Jobs auf dem regulären Arbeitsmarkt entstehen, muss man langsam ansteigende Sozialbeiträge einführen.

Man könnte auch die Grenze der 325-Euro-Jobs anheben.

Dann würden nur bestehende Jobs umgewandelt, und die Sozialkassen hätten hohe Einbußen.

Die Arbeitsämter geben Milliarden für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) aus. Die aber bringen nichts und kosten viel. Kann man ABM abschaffen?

Sofort - wenn es genügend Jobs im ersten Arbeitsmarkt gibt. Und zwar auch für solche Leute, die sonst keine Perspektiven haben - denn das ist im Westen die typische ABM-Klientel. Wenn die Unternehmen ABM abschaffen wollen, müssen sie diese Menschen auch einstellen und ihnen eine Chance geben, auch wenn diese anfangs Probleme haben, sich in die Arbeitswelt zu integrieren.

Wäre es klüger, die ABM-Milliarden in Ostdeutschland den Kommunen zu geben, damit sie der Bauwirtschaft mehr Aufträge geben können?

Die Arbeitslosen in den neuen Ländern sind nicht alle Bauarbeiter, das ist das Problem. Trotzdem, das ABM-Geld muss zielgerichteter eingesetzt werden, bislang ist ABM eine Notlösung, und zwar eine schlechte.

Studien zufolge geht die Arbeitslosigkeit deutlich zurück, wenn die Zahlung des Arbeitslosengeldes begrenzt ist. Muss es auch mehr Druck auf die Arbeitslosen geben?

Das mag stimmen - aber die Leute müssen erst einmal die Chance auf einen neuen Job haben. Das ist wieder eine Frage der Vermittlung. Wenn man es schafft, Arbeitslose im Schnitt schon nach drei Monaten wieder eine Stelle zu beschaffen, kann man die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von heute bis zu 32 Monaten meinetwegen verkürzen.

In dieser Woche will das Bündnis für Arbeit tagen. Macht diese Veranstaltung noch Sinn?

Ja, wenn Wirtschaft und Gewerkschaften ohne Tabus in das Treffen gehen. Es gibt zudem viele weitere Punkte - etwa die betrieblichen Bündnisse für Arbeit, die ins Stocken geraten sind und frischen Wind brauchen. Auch über das Fachkräfteproblem muss geredet werden - es geht nicht, dass einige Unternehmen zu Hunderten Leute entlassen und zugleich die Branche nach Fachkräften ruft. Leider scheint bei einigen eher die Möglichkeit der politischen Instrumentalisierung als der praktische Nutzen im Vordergrund zu stehen.

Die Gewerkschaften wollen über Überstunden reden. Ist das sinnvoll?

Die Überstunden-Frage müssen wir anders diskutieren und die Ideologie über Bord werfen. 1,7 Milliarden sind bei vier Millionen Arbeitslosen einfach zu viel. Ich will den Unternehmen aber keinen Vorwurf machen, sie können auf diese Mehrarbeit nicht verzichten ...

wie auch die Arbeitnehmer, die das Zubrot gerne mitnehmen ...

richtig, aber immer mehr wollen die Überstunden in Freizeit abgegolten bekommen. Mit Gesetzen kann man eventuell Überstunden begrenzen - aber kein Unternehmen zu Neueinstellungen zwingen. Die Tarifpartner sollten lieber individuell regeln, wie sie mit der Mehrarbeit umgehen. Eine Möglichkeit für die Unternehmen wäre, Mehrarbeit oder die Arbeit in Ausgleichszeiten von festen Zeitarbeitsfirmen erledigen zu lassen, die flexibler bei der Einstellung von Leuten sind.

Eine harte Tarifrunde mit hohen Abschlüssen könnte die SPD im September den Wahlsieg kosten, IG Metall-Chef Klaus Zwickel redet bereits von Streik. Was raten Sie?

Nichts, ich bin überzeugter Anhänger der Tarifautonomie. Gewerkschaften und Arbeitgeber wissen am besten, wie groß der Spielraum für Lohnerhöhungen in den jeweiligen Branchen ist. Klar ist auch, dass eine Forderung längst kein Abschluss ist.

Dürfen sich die Tarifpartner darauf beschränken, nur über die Lohnsteigerungen zu sprechen?

Sie reden ja auch Über Differenzierung - der Tarifvertrag könnte eine generelle Lohnerhöhung vorgeben, und extrem erfolgreiche Unternehmen müssten noch eins drauflegen.

Fürchten Sie einen Linksruck der Gewerkschaften von der SPD hin zu PDS?

Quatsch. Wir führen eine lebhafte Diskussion von allen Seiten über die Lage am Arbeitsmarkt - was angesichts der derzeitigen Situation auch normal ist.

Herr Schartau[wenn], was würden Sie jetzt tun[wenn]

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