zum Hauptinhalt

Wirtschaft: „Wir müssen wieder gierig werden“

IBM-Aufsichtsratschef Erwin Staudt über die Innovationsinitiative des Bundeskanzlers, den Standort Deutschland und die Greencard

Herr Staudt, der Bundeskanzler hat das Jahr der Innovationen ausgerufen. Was sind Innovationen?

Früher verstand man darunter nur neue Produkte. Heute ist beispielsweise auch der innovativ, der neue Wege im Vertrieb findet. Zum Beispiel den Verkauf von Computersoftware über das Internet. Oder nehmen Sie Autos. Da geht keine Pleuelstange mehr kaputt, eher die Elektronik. Die Industrie arbeitet daran, solche Fehler künftig via Satellit zu reparieren.

Der Kanzler meint, Deutschland ist im internationalen Vergleich abgefallen. Dabei exportiert die Wirtschaft trotz des starken Euro so viel wie nie. Ist die Innovationsdebatte also nur ein Wahlkampfthema?

Keineswegs. Mich hat die Exportstärke der deutschen Wirtschaft auch angenehm überrascht. Trotzdem müssen wir aufpassen, dass wir diese Stärke über die nächsten Jahre retten. Der unglaublich schnelle Umbruch von der Mechanik zur Informationstechnik, die sich heute praktisch im jedem Gebrauchsgegenstand findet, fordert auch eine moderne Industrienation wie Deutschland heraus. Das ist es wohl, was der Kanzler gemeint hat.

Woran messen Sie denn einen möglicherweise drohenden Rückfall Deutschlands?

Ich hatte schon 1998 das Gefühl, dass wir beim Thema Internet einen gewaltigen Durchhänger haben. Im Vergleich zu Amerika oder europäischen Nachbarstaaten lagen wir beispielsweise bei der Ausstattung mit Computern in Schulen, Firmen und auch Privathaushalten deutlich zurück. Vor allem hat uns der Geist, die richtige Einstellung, gefehlt. Deshalb haben wir ja auch die Initiative D21 gegründet.

Gefühle sind aber noch kein Beleg dafür, dass Deutschland technologisch abgestürzt ist. Sind die Patentanmeldungen der Maßstab?

Patente sind nur das Grundrauschen. Die zeigen einen Trend an. Und der zeigt derzeit in Deutschland nach unten. Auch die inzwischen 35 Millionen Internetnutzer besagen wenig. Wir haben keinen Grund, uns zurückzulehnen. Wir werden inzwischen von den Wettbewerbern getrieben. Früher haben wir die technischen Standards gesetzt. Das ist der Unterschied.

Wer treibt uns?

Die Asiaten kämpfen sehr hart – wie ums Überleben. Und die Amerikaner lassen nicht locker. Nehmen Sie den Markt für Spielkonsolen. Der ist fest in der Hand japanischer Firmen. Oder Digitalkameras. Auf diesen Gebieten mischt die deutsche Industrie kaum noch mit.

Sind uns die Tüftler und Erfinder abhanden gekommen?

Sind sie nicht. Sie müssen nur das Potenzial erkennen. Stellen Sie sich vor, da läuft ein Mensch in Ihr Büro und sagt: „Ich habe den Stein der Weisen gefunden.“ Die Kunst besteht jetzt darin zu erkennen, ob ihm das wirklich gelungen ist. Mir fällt da immer die Londoner Musikagentur ein, die damals die Beatles mit dem Hinweis rausgeworfen hat, es gebe schon genug Boygroups mit Gitarren.

Den Stuttgarter Erfinder der erfolgreichen MP3-Technik, ohne die heute kein Handy und kein CD-Spieler mehr auskommen, haben deutsche Firmen auch rausgeschmissen. Da hat das Gespür für Neues total versagt.

In der Informations- und Kommunikationstechnik fehlte uns wohl der zündende Funke. Offenbar waren wir am Ende der neunziger Jahren durch eine sehr lange Phase des Wohlstands gelähmt.

Was haben wir verpasst?

Fast hätten wir übersehen, dass bei Werkzeugmaschinen heute nicht mehr die Mechanik, sondern die Elektronik überwiegt. Und dass Innovation bei modernen Autos nicht mehr Biegen von Blech bedeutet, sondern zu 90 Prozent durch Software und Chips getrieben wird.

Kann man Fortschritt organisieren?

Ja. Vor allem müssen die Menschen ohne die Angst, ausgelacht zu werden, neue Ideen präsentieren können. Eine solche freie Atmosphäre müssen Sie in den Unternehmen organisieren.

Die Regierung will sogar einen Innovationsrat installieren.

Das ist vernünftig, weil auf diesem Wege Wirtschaft und Wissenschaft an einen Tisch kommen. Die müssen gemeinsam überlegen, wie kleine Erfinder und Anwender aus den Unternehmen zusammenfinden.

Räte und Kommissionen sind in der Politik in letzter Zeit in Mode gekommen.

Die Politik ist allein nicht in der Lage, die ganze Breite der Forschungsgebiete abzudecken. Solche Kommissionen sollten jedoch nicht zu groß sein. Da dürfen maximal 20 Leute sitzen, sonst wird nur über Geschäftsordnungen gestritten. Dieser exklusive Kreis muss einen Masterplan für eine innovative Gesellschaft entwerfen.

Im Gespräch sind auch ein spezieller Fonds für Wagniskapital oder Steuervorteile für innovative Firmen.

Dafür sehe ich keinen Bedarf. Geld ist nicht das Problem. Da sollte der Staat seine Finger rauslassen. Ein einfaches Steuersystem wäre mehr Förderung als irgendwelche Finanzsubventionen.

Aber Elite-Universitäten sind eine gute Idee?

Ganz klar. Der Staat muss für die Rahmenbedingungen sorgen, und dazu gehört die Ausbildung von Spitzenkräften.

Wenn solche Eliteeinrichtungen fehlen, dann müssten doch die Spitzenkräfte der Wirtschaft allesamt im Ausland ausgebildet worden sein?

Ich habe kaum jemanden kennengelernt in meiner Amtszeit bei IBM, der nur im Ausland ausgebildet worden wäre. Aber ich würde heute jedem jungen Menschen dringend raten, sich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland zu bilden. Elite-Universitäten allein lösen die Probleme nicht. Was wir brauchen, ist ein Spitzenangebot, das mit den anderen Ländern mithalten kann. Und wir brauchen die Spitze als Vorbild. Das ist wie im Sport. Der Spitzensport motiviert den Breitensport. Und noch etwas. Mir soll keiner mehr kommen und sagen, Englisch sei seine erste Fremdsprache. Englisch ist die zweite Muttersprache.

Was haben uns andere Länder voraus?

Das teamorientierte Lernen etwa. Die Amerikaner fangen damit schon in der Schule an. Wenn man mit Kollegen aus den USA zusammenkommt, haben die keine Scheu, aufzustehen und ihre Meinung vorzutragen. Das haben die von Jugend auf trainiert. Davon, dass wir vor einigen Jahren noch mit Notizblock und Bleistift herumliefen, als andere längst den Computer nutzten, will ich gar nicht erst reden. Das hat sich zwar geändert. Aber wir müssen so gierig werden, dass wir nicht mehr die Amerikaner nachmachen, sondern denen etwas vormachen.

Der Ruf nach dem Staat ist beliebt. Was macht denn die Wirtschaft selbst?

Eigentlich müsste jedes Unternehmen in guten wie in schlechten Zeiten fünf bis zehn Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung stecken.

Eigentlich? Dann hat die Forschungsministerin Recht mit ihrer Klage, die deutschen Firmen investierten zu wenig in ihre Zukunft?

Die Ministerin wird ihre Zahlen haben. Wenn in konjunkturell schwachen Zeiten gespart werden muss, geht das leider oft zu Lasten des Entwicklungsetats. Das halte ich für einen Fehler.

Auf welchen Gebieten sind wir denn wirklich gut?

Auf den drei Säulen, auf denen unser Wohlstand schon jetzt steht. Maschinenbau und Fabrikausrüstung, Motorenbau und Kraftfahrzeuge und Chemie und Pharma.

In der Computerindustrie sind wir keine große Nummer. Und bei der Software ragt SAP einsam heraus. Ist in dieser Branche der Zug abgefahren?

Wir sollten nicht versuchen, die Datenbank neu zu erfinden. Aber wir können uns durch die Kombination bereits vorhandener Techniken interessante Märkte erschließen. Etwa mit der digitalen Signatur im Personalausweis. Wenn wir zeigen, dass das hierzulande funktioniert, können wir das in alle Welt exportieren. Da erwartet die Wirtschaft auch vom Staat, dass der nicht nur Innovation von der Wirtschaft fordert. Der Staat muss sie selbst anwenden, quasi als Vorreiter.

Was ist eigentlich aus der Greencard-Initiative des Bundeskanzlers geworden?

Es kommen noch jede Woche 100 neue Experten aus dem Ausland nach Deutschland. Rund 14000 sind es zurzeit. Vor allem die mittelständischen Betriebe und Forschungsinstitute haben davon profitiert. Die können nicht mal eben wie ein großer Konzern ihre indische Niederlassung anrufen und hundert Softwarespezialisten von der Universität in Kalkutta anfordern.

In Boomzeiten leuchtete es ja allen ein, dass ausländische Informationstechnik-Spezialisten angeworben werden mussten. Ist es aber heute noch sinnvoll, wo tausende deutscher IT-Experten arbeitslos sind?

Warten Sie ab, bis sich die geburtenschwachen Jahrgänge auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Da wird uns noch schwindelig werden.

Das Gespräch führten Dieter Fockenbrock und Maurice Shahd.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false