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Wirtschaft: „Wir Ossis können uns das nicht gefallen lassen“ Der Streik wird in der sächsischen Autoindustrie entschieden

Die Behr Kirchberg GmbH hat es schon hinter sich. Das Unternehmen, das in der Nähe von Zwickau 600 Mitarbeiter mit der Herstellung von Klima- und Heizungsanlagen für Nutzfahrzeuge beschäftigt, ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und hat mit der IG Metall einen Tarifvertrag über die Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2008 abgeschlossen.

Die Behr Kirchberg GmbH hat es schon hinter sich. Das Unternehmen, das in der Nähe von Zwickau 600 Mitarbeiter mit der Herstellung von Klima- und Heizungsanlagen für Nutzfahrzeuge beschäftigt, ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und hat mit der IG Metall einen Tarifvertrag über die Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2008 abgeschlossen. Die genauen Kürzungsschritte müssen noch ausgehandelt werden, doch wenn am Montag der Arbeitskampf in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie beginnt, wird Behr verschont bleiben.

Behr ist schon das zweite Unternehmen in Sachsen, das diesen Weg gegangen ist. Und am Montag erwartet der sächsische IG-Metall-Chef Hasso Düvel einen entsprechenden Vertragsabschluss mit einer dritten Firma. Die Front der Arbeitgeber scheint zu bröckelt noch bevor der Streik überhaupt begonnen hat. Die Strategie des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME), der für seinen harten Kurs bekannt ist, schmeckt offensichtlich nicht jedem Unternehmen. Vor Beginn der Tarifauseinandersetzung hatten die sächsischen Metallarbeitgeber gar mit der Auflösung des Verbandes gedroht. Anderen wieder war der Kurs des VSME in der Vergangenheit nicht hart genug, und so ist die Zahl der Mitgliedsfirmen kontinuierlich nach unten gegangen. Von rund 800 Unternehmen der sächsischen Metall- und Elektrobranche sind gerade noch 75 Mitglied im Tarifverband.

Mit dem Kurs hat sich der VSME aber auch den besonderen Zorn der IG Metall zugezogen. Vorerst letzter Akt in diesem schwierigen Verhältnis ist die Kündigung des Manteltarifvertrages durch die Arbeitgeber. Damit hätten die Arbeitgeber selbst Sachsen zum Schwerpunktland für den Arbeitskampf gemacht, sagt IG-Metall-Sprecherin Marlis Dahne. Dort stünde alles auf dem Spiel, was seit 1990 in der Metallindustrie durchgesetzt worden sei: Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Beschäftigungssicherung.

124000 Beschäftigte

In der sächsischen Metall- und Elektroindustrie arbeiten rund 124000 Menschen, mehr als die Hälfte der insgesamt 224000 in der sächsischen Industrie Beschäftigten. Umsatzstärkster Wirtschaftszweig ist der Fahrzeugbau mit 7,6 Milliarden Euro Umsatz (2002). Als Flaggschiff der Wirtschaft gilt noch immer VW in Mosel, mit fast 6200 Beschäftigten der größte Arbeitgeber im Freistaat. Die sächsische Autoindustrie im Zulieferbereich umfasst rund 500 Betriebe mit 60000 Beschäftigten, die sich zu einem großen Teil in Südwestsachsen konzentrieren, vor allem im Raum Chemnitz/Zwickau.

Es ist naheliegend, dass die IG Metall bei VW zum ersten Schlag ausholt, um mit relativ geringem Einsatz den gesamten Industriezweig zu treffen. Für einen Streikauftakt bei VW spricht auch, dass 85 Prozent der Belegschaft der IG Metall angehören. Betriebsratschef Jens Rothe hat an der Streikbereitschaft der Kollegen keinen Zweifel. Die diesjährige Tarifrunde sei nach 1998 und dem 2000 der dritte Anlauf für die 35-Stunden-Woche. „Das muss jetzt durch.“ Wegen des Streiks habe es zuletzt Mehrarbeit gegeben, aber keine Sonderschichten. Die Unternehmensleitung hält sich bedeckt. „Kein Kommentar“, sagt VW-Sprecher Gunter Sandmann zu möglichen Streikvorbereitungen.

Die IG Metall verfolgt die so genannte „Minimax-Strategie“, mit der ein Streik in wenigen Betrieben möglichst die gesamte Kette von Zulieferern zu Herstellern trifft und so den Druck auf die Arbeitgeber erhöht. Getroffen werden vor allem die Firmen der ersten Ebene, die so genannten Modullieferanten, die sich zumeist im Umfeld von VW angesiedelt haben. Dazu gehören Siemens VDO, das GKN Gelenkwellenwerk, Sachsenring oder Johnson Controls. Insgesamt hat VW in Mosel 13 Modullieferanten. Bei GKN soll wegen des Streiks auf Vorrat produziert worden sein. Der Betriebsratsvorsitzende Michael Eißmann sieht sich verbunden mit „seiner“ Firma. Es müsse Schaden abgewendet werden, sagt Eißmann. Er hofft, dass es vielleicht gar nicht zum Arbeitskampf kommt. „Ein gutes Ergebnis bei der Urabstimmung, und dann sofort wieder Verhandlungen.“

Johnson Controls liefert die Sitze für Golf, Passat und Phaeton. Als vorbeugende Maßnahme hat Johnson Kurzarbeit für den Fall beantragt, dass das VW-Werk lahmgelegt wird. Johnson-Betriebsrat Rolf Schulze hat dennoch Verständnis für den Streik. „Ein Drittel weniger Geld und dann noch länger arbeiten – das können wir Ossis uns nicht ewig gefallen lassen.“ Die Modullieferanten sind meist Töchter von Global Playern, ein Streik wird sie kaum existenziell treffen. Und auch die kleineren Zulieferer der zweiten oder dritten Ebene – die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei 80 Mitarbeitern – sind längst nicht mehr nur auf VW fixiert. Hinzu kommt, dass nur zwei Zulieferer Mitglied im Tarifverband sind. Für die IG Metall könnte ihr relativ geringer Organisationsgrad in der Fläche mithin zu einem Problem werden.

Ralf Hübner[Dresden]

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