zum Hauptinhalt

Wirtschaft: "Wir tun alles aus der Sicht des Kleinanlegers"

Interview: Richard S.Grasso, Chairman der New Yorker Wall Street, wirbt für das Aktiensparen und langfristiges InvestitionsdenkenRichard S.

Interview: Richard S.Grasso, Chairman der New Yorker Wall Street, wirbt für das Aktiensparen und langfristiges Investitionsdenken

Richard S.Grasso steht seit Juni 1995 an der Spitze der New York Stock Exchange (Nyse), der modernsten und größten Börse der Welt.Der heute 51 Jahre alte Italo-Amerikaner trat der Nyse im Jahr 1968 bei und kennt sie wie keiner der außerhalb rekrutierten Vorgänger.Als seine wichtigsten Aufgaben betrachtet Grasso den weiteren Ausbau der Nyse-Stellung zum führenden globalen Börsenplatz und die Modernisierung des Handelssystems.Grasso leitet außerdem mehrere Intitiativen, um Schüler und Lehrer mit der Börse vertraut zu machen.Walter Pfaeffle sprach in New York mit dem Börsen-Chef. TAGESSPIEGEL: Mr.Grasso, was macht die New Yorker Börse so interessant für nichtamerikanische Unternehmen? GRASSO: Wie keine andere Börse verschafft sie Auslandsunternehmen Zugang zum größten Kapitalpool der Welt.Ein Listing in New York ist schon deshalb wichtig, weil viele unserer Großanleger wie Pensionskassen nur Aktien von Unternehmen erwerben dürfen, die an einer US-Börse notiert sind.Überdies werden US-Investoren künftig stärker als bisher ihre Portefeuilles international ausrichten. TAGESSPIEGEL: Worin liegt der Unterschied zwischen der Wall Street und anderen wichtigen Börsenplätzen außerhalb der Vereinigten Staaten?GRASSO: Die Unterschiede sind mannigfaltig.Schauen Sie sich zuerst einmal die Größe an: Die etwa 3000 gelisteten Unternehmen haben einen Börsenwert von 11 Billionen Dollar.Der nächstgrößte Markt ist Tokio mit knapp drei Billionen Dollar.Auch in ihrer Struktur ist New York anders als Überseebörsen.Ein weiterer Unterschied ist unser Preisbildungsmechanismus.Das Auktionssystem erlaubt es, daß Käufer und Verkäufer ohne Vermittler miteinander handeln können.Der wichtigste Unterschied dürfte aber die Tatsache sein, daß bei uns Kleinanleger eine entscheidende Rolle spielen.TAGESSPIEGEL: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? GRASSO: In den USA gehört die Hälfte der Aktien Privaten, die andere Institutionellen.In Europa spielen Private eine weit geringere Rolle.Dort dominieren die Profis den Markt.Wir tun hier alles aus der Sicht des Kleinanlegers.Wenn wir die Kleinen zufriedenstellen, glauben wir, auch für die Großen einen guten Job zu machen.In Europa beginnt man übrigens auch die Privathaushalte zu entdecken.Das zeigt sich am Beispiel der Telekom. TAGESSPIEGEL: Was tun Sie denn, um Kleinanleger anzuziehen? GRASSO: Bei uns gibt es eine Partnerschaft zwischen der Börse, ihren Mitgliedern und den Unternehmen.Gemeinsam werben wir bei den Menschen um ein besseres Verständnis für die Bedeutung langfristiger Investitionen.In diesem Jahr zum Beispiel habe ich den Vorsitz der Kampagne "Own Your Share of America" des Bundesverbands der Investmentklubs übernommen.Ziel der Kampagne ist es, die Amerikaner mit Anlagemöglichkeiten im Aktienbereich vertraut zu machen.Wir veranstalten darüber hinaus Bildungskurse, die bezwecken sollen, interessierte Investoren vor skrupellosen Maklern zu schützen und sie dazu zu bringen, die Unternehmen, in die sie investieren wollen, besser kennenzulernen. TAGESSPIEGEL: Arbeiten Sie mit den Schulen zusammen? GRASSO: Ja, natürlich.Da sind wir ganz aktiv.Jedes Jahr bringen wird bis zu 200 000 Schüler nach New York, und wir machen Anregungen, das Thema Börse im Unterricht zu behandeln.Für Lehrer organisieren wir Sommerseminare unter dem Motto "Teach the Teacher".Sie verbringen eine Woche bei uns und nehmen von neun bis fünf Uhr an Seminaren teil.Es geht darum, den Lehrern Wirtschaft und Börse, Aktiensparen und die Notwendigkeit langfristigen Investitionsdenkens klar zu machen. TAGESSPIEGEL: Sind Sie aktiv bemüht, ausländische Firmen an die New York Stock Exchange zu holen, und welche Hürden gilt es zu überspringen? GRASSO: Oh ja, vor allem hinter den Deutschen bin ich her.Wir haben ein aggressives Marketingprogramm und arbeiten dort eng mit den Banken zusammen.Letzten Endes sind aber jene Konzerne unsere beste Reklame, die den Sprung nach New York gemacht haben, wie zuletzt die Veba.Was die Hürden angeht, gibt es glaube ich keine wesentlichen mehr.Sicher, wer nach New York will, muß sich nach unseren Vorschriften der Rechnungslegung richten.Viele tun das schon. TAGESSPIEGEL: Am 19.Oktober jährt sich zum zehnten Mal der "schwarze Montag", an dem der Dow Jones Index 22 Prozent seines Wertes verlor? Halten Sie eine Wiederholung für denkbar? GRASSO:Der Crash war die Folge der Koinzidenz etlicher Faktoren: Mehrere Zinserhöhungen, festgefahrene Budgetgespräche, politische Unsicherheit, das hohe Handelsbilanzdefizit, ein fünf Jahre andauerner Kursanstieg.Der Dow war um etwa 1900 Punkte gestiegen.Kann es nochmal passieren? Ich würde sagen, die Börse wird ihr eigenes Niveau finden, wo immer es liegen mag, aber nicht an einem einzigen Tag.Wir haben außerdem automatische Handelsbremsen eingebaut, die in Kraft treten, wenn sich der Dow um 50 Punkte oder mehr verändert.Das wirkt beruhigend. TAGESSPIEGEL: Wie wird sich der Dow Jones weiterentwicklen? GRASSO:Eine eindeutige Prognose fällt schwer.Der Dow wird wahrscheinlich ein reges Auf und Ab vor sich haben.

Zur Startseite