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Wirtschaft: "Wir werden die Bauern nicht vernichten"

TAGESSPIEGEL: Herr Funke, Sie unterstützen die Pläne der EU-Kommission für eine Agrarreform.Sind Sie ein Bauernkiller?

TAGESSPIEGEL: Herr Funke, Sie unterstützen die Pläne der EU-Kommission für eine Agrarreform.Sind Sie ein Bauernkiller?

FUNKE: Vor dem Hintergrund des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten und der nun beginnenden Verhandlungsrunde für eine weitere Liberalisierung des Welthandels geht an Anpassungen der EU-Agrarpolitik kein Weg vorbei.Das heißt aber nicht, daß die Vorschläge der Kommission unumstößlich sind.Da gibt es sicher noch Korrekturbedarf in Einzelpositionen.

TAGESSPIEGEL: Wo sehen Sie Korrekturbedarf?

FUNKE: Bei Getreide halte ich die vorgeschlagene Preissenkung von 20 Prozent für überzogen.Wir brauchen auch weiterhin eine obligatorische Flächenstillegung.Bei Milch bin ich entschieden dagegen, die Mengen zu erhöhen und dementsprechend Preissenkungen vorzunehmen - auch wenn eine Reihe von Mitgliedsstaaten da anders denkt.Eine einschneidende Reform brauchen wir bei Rindfleisch.Der europäische Rindfleischmarkt ist gar kein Markt mehr, das ist ein heilloses Durcheinander.Wir schieben seit vielen Jahren Überschüsse vor uns her, da verdienen nur noch die Kühlhäuser.Allerdings halte ich die Vorschläge der Kommission für viel zu bürokratisch.

TAGESSPIEGEL: Sie wollen Getreide und Milch von deutlichen Preissenkungen ausnehmen.Haben wir hier schon Weltmarktniveau erreicht?

FUNKE: Bei Getreide sind wir mittel- und längerfristig durchaus weltmarktfähig.Gegenwärtig ist der Markt etwas schwierig, unter anderem, weil die Chinesen und die Russen wenig importieren.Aber langfristig betrachtet sieht das anders aus.Auch bei Milch ist die Exportquote enorm hoch.Käse haben wir teilweise schon zu Marktpreisen exportiert.

TAGESSPIEGEL: Die Agenda 2000 aber wird die Agrarausgaben noch erhöhen.

FUNKE: Wenn wir auf die Reform verzichteten, wird es noch teurer - vor allem dann, wenn wir weitere Überschüsse produzieren.Das Teuerste sind die Überschüsse.Die müssen wir abbauen.Aber der Übergang kostet Geld.

TAGESSPIEGEL: Die Überschüsse werden aber nicht abgebaut.Auch die Direkthilfen sind ja an die Produktion gebunden.

FUNKE: Ich werde keine Politik machen, die zu sozialen Brüchen führt.Es geht auch um die Erhaltung ländlicher Räume.Dort wo es keine Kühe mehr gibt, gibt es auch keine Molkerei.Das wird oft übersehen.Wenn wir zum reinen Markt übergehen, wie es manche fordern, dann brauchen wir über Arbeitsplätze auf dem Land gar nicht mehr zu sprechen.Aber: Ich bekenne mich dazu, daß wir mehr Markt brauchen, daß wir marktorientierter denken müssen.Dafür muß die Politik die Rahmenbedingungen setzen.

TAGESSPIEGEL: Was kann die Politik tun?

FUNKE: Wir müssen uns mehr mit dem Thema Vermarktung auseinandersetzen.Wir bejammern zu Recht, daß wir es auf der Abnehmerseite, im Handel, mit einer hohen Konzentration zu tun haben.Jammern bringt nichts.Wir brauchen auch im Verarbeitungsbereich eine höhere Konzentration als heute.Wir haben bereits eine große Bewegung bei den Molkereien...

TAGESSPIEGEL: ...und hinken den Niederländern hinterher.

FUNKE: Wir müssen da nachziehen.Die Politik kann da unterstützend wirken, etwa durch gewisse Hilfestellungen bei notwendigen Fusionen.

TAGESSPIEGEL: Hilft das den Lieferanten, den Bauern?

FUNKE: Die Landwirtschaft muß sich mehr als ein Teil der Wertschöpfungskette begreifen.Wenn sich die Landwirte zusammenschließen zu Erzeugergemeinschaften, bestimmte Mengen und Qualitäten garantieren können, dann sind sie auch interessante Marktpartner.

TAGESSPIEGEL: Also Abschied vom bäuerlichen Kleinbetrieb?

FUNKE: Nein.Der bäuerliche Betrieb wird nur in diesem System überleben können, sonst laufen ihm andere den Rang ab.

TAGESSPIEGEL: Wie lange wird es dauern, die Subventionen abzubauen?

FUNKE: Wir hatten vor etlichen Jahren einen Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushalt von 60 Prozent und sind heute bei 40 Prozent.Die Frage ist, welche Art von Landwirtschaft wir wollen.Bei uns sagt die große Mehrheit der Menschen, daß es bestimmte Auflagen geben muß.Zum Beispiel darf Rindfleisch bei uns - und das halte ich auch für vernünftig - nicht mit künstlichen Hormonen erzeugt werden.Wir haben hohe Produktionsauflagen aus Gründen des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes.Wenn ich eine solche Art von Landwirtschaft will, dann muß ich auch akzeptieren, daß diese Landwirtschaft mit höheren Kosten produziert als andere.

TAGESSPIEGEL: Auch die Industrie muß mit Auflagen zurechtkommen.

FUNKE: Die Auflagen für die Industrie sind ungleich geringer.Sie kann vor allem über ihre Produktionsfaktoren verfügen und zur Not ihren Produktionsstandort verlegen.

TAGESSPIEGEL: Einige Ihrer Kabinettskollegen denken da anders.Da wird offen davon gesprochen, den Agrarhaushalt schon jetzt einzufrieren.

FUNKE: Wer eine Agrarreform orientiert an den Kommissionsvorschlägen will, der weiß auch, daß dazu ein bestimmtes Ausgabevolumen nötig ist.Wer meint, man könne willkürlich bei den Agarausgaben kürzen, der muß sagen, wir wollen keine Reform.Denn massive Stützpreissenkungen ohne hinreichenden Ausgleich wären politisch nicht akzeptabel.

TAGESSPIEGEL: Und wie sieht es beim Streitpunkt Gentechnik aus?

FUNKE: In der Pflanzenzüchtung befürworte ich die Gentechnik sehr.Bei Tieren ist es schwieriger - da geht es um ethische Fragen.Wir können die Gentechnik gar nicht verhindern, sie ist schon da.Wir können es uns gar nicht leisten, da außen vor zu bleiben.

TAGESSPIEGEL: Rot-Grün ist also nicht der Tod der Bauern und der Gentechnik?

FUNKE: Ich habe schon einmal vier Jahre in einer rot-grünen Koalition mitgearbeitet.Bauern sind da nicht vernichtet worden.Das Gegenteil war der Fall.Wir gefährden Existenzen, wenn wir nicht handeln.

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