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Wirtschaft: "Wir wollen unseren Umsatz alle zehn Jahre verdoppeln"

TAGESSPIEGEL: Allerorts schließen sich Unternehmen zu Megafirmen zusammen.Nestlé ist bereits der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern.

TAGESSPIEGEL: Allerorts schließen sich Unternehmen zu Megafirmen zusammen.Nestlé ist bereits der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern.Wie können Sie noch weiter wachsen?

MAUCHER: Wir haben unsere Hausaufgaben zehn Jahre früher gemacht als die anderen.Ich habe damals als erster ein US-Unternehmen für viel Geld gekauft, Carnation.Die Leute haben seinerzeit gesagt, der Maucher hat den Höhenrausch.Heute lacht man über Summen wie die 3,5 Mrd.Dollar, die ich bezahlt habe.Wir haben früh erkannt, was durch die Globalisierung auf uns zukommt, und wir haben die Weichen schon in den 80er Jahren gestellt.Außerdem haben wir uns im Hinblick auf die Chancen in der Europäischen Union sehr in Europa verstärkt, denken Sie an Rowntree oder Buitoni.Und wir wollten einige Produktfelder neu besetzen, von denen wir glaubten, daß sie Zukunft haben, wie Eiskrem.Heute sind wir hier nach Unilever die Nummer zwei.Beim Mineralwasser haben wir still und heimlich eine Position aufgebaut, die unschlagbar ist.Wir sind jetzt sogar dabei, ein Nestlé-Wasser zu entwickeln.

TAGESSPIEGEL: Also keine weiteren großen Zukäufe?

MAUCHER: Man soll nie nie sagen.Wir nehmen natürlich Gelegenheiten wahr, wenn sich welche bieten.Die finanziellen Mittel wären da, und wir haben deshalb jährlich auch strategisch sinnvolle Akquisitionen in mittlerem Umfang getätigt.

TAGESSPIEGEL: Würden Sie gern einen Ihrer Großkonkurrenten, Philip Morris oder Unilever, schlucken?

MAUCHER: Das gäbe doch jede Menge kartellrechtlicher Probleme.Denken Sie mal an Mars.Natürlich hätten wir das gern.Aber wir haben schon Kitkat, Lion und Nuts.Da sind die Schwierigkeiten mit den Kartellbehörden programmiert.Eine Fusion mit Unilever steht völlig außer Frage.

TAGESSPIEGEL: Wie wollen Sie denn sonst wachsen?

MAUCHER: Wir wollen unseren Umsatz im Unternehmen alle zehn Jahre verdoppeln.Das sind 7,5 Prozent pro Jahr.Ein, zwei Prozent davon sind Übernahmen, vier bis sechs Prozent internes Volumenwachstum plus Preiserhöhungen infolge qualitativer Wertsteigerungen sowie Berücksichtigung inflationärer Effekte.

TAGESSPIEGEL: Wo soll das Wachstum aus eigener Kraft denn herkommen?

MAUCHER: Aus den Entwicklungsländern.Wir haben dort derzeit einen Umsatz von 30 Prozent.Aber in diesen Ländern leben 80 Prozent der Weltbevölkerung.Wir können hier ein Umsatzwachstum von fünf bis zehn Prozent pro Jahr schaffen.In Rußland hätten wir im vergangenen Jahr schon eine Mrd.Franken umsetzen können, wenn die Währungskrise nicht gekommen und die Importe nicht beschränkt worden wären.Die Russen essen 150 000 Tonnen Schokolade im Jahr und trinken gern Nescafé.

TAGESSPIEGEL: Aber leider können Sie sich das nicht leisten.

MAUCHER: Wenn 60 Millionen nichts haben, bleiben immer noch 60 Millionen Menschen mit einem regulären Einkommen.60 Millionen - das ist zehn Mal die Schweiz.Fast so viel wie Deutschland.Ein großer Markt.Auch in entwickelten Ländern gibt es noch Wachstum, wenn wir dem Trend zu Convenience, Qualität und Gesundheit folgen.

TAGESSPIEGEL: Wer soll denn das Maggi-Rührei-Brot aus der Tiefkühltruhe essen, Sie?

MAUCHER: Ich habe da keine Hemmungen.Aber gucken Sie mal, was sich bei Maggi in den letzten 15 Jahren getan hat.Das hat doch mit Brühwürfeln nicht mehr viel zu tun.Was wir heute mit dehydrierten Produkten machen, ist phantastisch, beispielsweise die Pasteria-Serie.Das schmeckt gut, geht schnell und ist nicht teuer.

TAGESSPIEGEL: Will heute keiner mehr Nudeln kochen, sondern nur noch die Packung aufreißen?

MAUCHER: Selbst intakte Familien essen heute nur noch ein- oder zweimal in der Woche gemeinsam.Die Leute haben wenig Zeit.Da spielt Convenience ...

TAGESSPIEGEL: Also Fertigessen ...

MAUCHER: ...eine ständig wachsende Rolle.Das, was wir essen, ändert sich ständig.Beispielsweise der Nescafé.Der schmeckt heute ganz anders als vor 20 Jahren.

TAGESSPIEGEL: Und was essen wir in 20 Jahren?

MAUCHER: Convenience wird weiter wachsen.Ebenso kleine Snacks für zwischendurch.Angesagt ist auch Nutrition, also gesundes Essen.Was ebenfalls zunehmen wird, ist der "Food Service", das Außer-Haus-Essen in Kantinen oder Krankenhäusern.Kleine Portionspackungen für Singles sind eine wichtige Sache.Und Essen für alte Leute, das ist auch ein zukunftsträchtiger Bereich.

TAGESSPIEGEL: Nestlé ist eine der wenigen Weltmarken.Können Sie auch einen Weltgeschmack schaffen?

MAUCHER: Uns wird immer vorgeworfen, es kriegten alle denselben Einheitsbrei.Aber: Wir haben keine Ideologie.Wir verkaufen den Leuten das, was sie haben wollen.Manche Sachen schmecken weltweit gleich, wie Kitkat oder Coca-Cola, weil der Geschmack überall gut ankommt.Aber bei vielen Produkten ist das anders.Allein beim Kaffee haben wir 50 verschiedene Geschmacksrichtungen.Es gibt den globalen Trend, aber auch einen Trend zu regionalen Produkten, der einem Bedürfnis nach Identität entspricht.

TAGESSPIEGEL: Die EU-Kommission macht Ihnen ja ziemlich detaillierte Vorgaben, welche Stoffe Sie verwenden dürfen, was Sie auf die Packung schreiben müssen und wann ein Stollen Stollen heißen darf.Ist das Geschäft in der EU schwieriger als anderswo?

MAUCHER: Ja, die haben eine Freude an solchen Dingen.Die Hälfte der Regelungen ist sinnvoll, die andere Hälfte übertrieben.Wenn ich vorschreibe, wie stark die Krümmung einer Gurke zu sein hat, ist das natürlich Quatsch.Die EU ist überreguliert, und die Deutschen sind darin Weltmeister.Wenn es um Änderungen im Lebensmittelrecht geht, sind sie plötzlich keine Europäer mehr.Aber: Die Deutschen müssen lernen, daß nicht alles am deutschen Wesen genesen kann.

TAGESSPIEGEL: Halten Sie uns für überängstlich?

MAUCHER: Wir waren immer schon besser in der Mystik als in der Klassik.Deshalb ist die Ablehnung der Gen-Technologie in Deutschland und im deutschsprachigen Raum auch besonders hoch.

TAGESSPIEGEL: Sind die Deutschen wirklich ängstlicher, oder sind sie einfach besser über die Risiken der Gen-Technik informiert?

MAUCHER: Das hat mit Aufklärung nichts zu tun.Das ist genetisch bedingte Hysterie.

TAGESSPIEGEL: Was sagen Sie denn den Leuten, die Ihren Gen-Schoko-Riegel "Butterfinger" nicht anrühren, weil sie Angst vor Allergien haben?

MAUCHER: Die Wissenschaft ist hundertprozentig dafür, die Regierungen auch, und die Meinungsführer haben ebenfalls inzwischen begriffen, daß Gentechnik eine gute Sache ist.Wie können wir die Skeptiker überzeugen? Wir müssen sauber deklarieren, das ist wichtig.Aber ich kann natürlich nicht bei einem Maggi-Rezept, das 35 verschiedene Bestandteile hat, jede kleine Würze 30 Jahre lang zurückverfolgen.Dann können wir gleich auf jedes Produkt schreiben: Kann gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten.Und wir müssen die Leute aufklären.Für mich ist Gentechnik ein abgekürztes Naturverfahren.Da ist keine Chemie im Spiel, im Gegenteil.Wenn ich die Pflanzen über Gentechnik resistent gegen bestimmte Schädlinge mache, brauche ich keine Pestizide mehr.Das heißt: Auch die Allergien werden eher weniger.Und Gentechnik hilft uns, auch in Zukunft die Menschen überall auf der Welt zu ernähren.

TAGESSPIEGEL: Und hilft Ihnen, Kosten zu sparen, weil Gen-Mais oder -Soja billiger ist.

MAUCHER: Ja.Aber die Konkurrenz genießt ja dieselben Preisvorteile wie wir.Am Ende profitieren die Verbraucher.

TAGESSPIEGEL: In Deutschland beschränkt sich das Gen-Angebot bisher auf den "Butterfinger".Wie verkauft sich der Riegel?

MAUCHER: Der "Butterfinger" gilt unter bestimmten Leuten als schick und als kultig, obwohl er sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist.Aber wir werden die Palette der Nahrungsmittel mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen nach und nach erweitern.Das wird auch die Konkurrenz tun.Denn in Zukunft wird es viele Rohstoffe gar nicht mehr in ihrer Ursprungsform geben.Die Sache ist gelaufen.

TAGESSPIEGEL: Schadet das Bekenntnis zur Gentechnologie Ihrem Image?

MAUCHER: Nein.Die Leute schätzen es, wenn man ehrlich für das eintritt, was man für richtig hält.Wir haben nur bei Alete vorübergehend weniger verkauft, aber das war nach drei Wochen auch wieder vorüber.Die Lebensmittel-Erpresser haben unserem Umsatz mehr zugesetzt.

TAGESSPIEGEL: Wie verletzlich ist ein Konzern, dessen Produkte für jeden zugänglich im Regal stehen?

MAUCHER: Man kann sich nicht wirklich schützen.Wir haben zwar viele Produkte, bei denen man an der Verpackung sehen kann, ob jemand hineingestochen hat.Aber man kann Sabotage nicht völlig ausschließen.Wir haben den Schaden, das ist keine Frage.

TAGESSPIEGEL: Sind Sie nicht versichert?

MAUCHER: Solche Sachen tragen wir lieber selber.Wir können die Umsatzeinbußen im Konzern ausgleichen.Selbst wenn wir in Deutschland starke Einbußen hätten, wäre die Gruppe nicht in Gefahr.Aber einen Mittelständler könnten die Erpresser ruinieren.

TAGESSPIEGEL: Warum gibt es in Deutschland mehr Erpressungsfälle als woanders?

MAUCHER: Wir haben in Deutschland Richter, die milde gestimmt sind, wenn "nur" die Industrie geschädigt ist.Wenn die Täter dann noch in Talk-Shows hochgejubelt werden, fordert das Nachahmer geradezu heraus.Lebensmittel-Erpresser müßten im Rahmen der bestehenden Strafgesetze härter bestraft werden.Wenn einer zehn Jahre hinter Gitter kommt, wird er sich vielleicht zwei Mal überlegen, ob er Lebensmittel vergiftet.

TAGESSPIEGEL: Eine letzte Frage an den Lebensmittel-Experten Maucher: Was ist Ihre Lieblingsspeise?

MAUCHER: Ich habe viele Lieblingsspeisen, auch aus unserem Sortiment.So nehme ich zum Beispiel jeden Morgen einen Nestlé-Früchtejoghurt LC1.

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