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Wirtschaft: Wirtschaften mit der Angst

Die ökonomischen Folgen des 11. September 2001 sind spürbar – aber weniger belastend als befürchtet

Berlin - Im Hamburger Hafen ist der Terror allgegenwärtig. Extra hohe Zäune riegeln Schiffe ab, neue Überwachungskameras haben Terminals und Anlagen im Visier, Wachleute kontrollieren jeden Meter im größten deutschen Hafen. Knapp drei Jahre nach den Terroranschlägen in New York und Washington meldete Hamburgs Innensenator Udo Nagel am 1. Juli 2004: Der Hafen ist sicher.

Die direkten Folgen des 11. September 2001 für die Weltwirtschaft sind in den Überseehäfen heute noch am sichtbarsten. Auf Druck der USA verpflichteten sich 109 Staaten im Dezember 2002, die internationale Schifffahrt gegen den Terror abzusichern. Aus gutem Grund: Mehr als 80 Prozent der weltweit gehandelten Güter werden auf dem Meer transportiert. Das System der weltweiten Meeresschifffahrt umfasst mehr als 46000 Schiffe und nahezu 4000 Seehäfen.

Am 1. Juli lief die Frist für die Umsetzung der entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen aus. In einem Jahr werden die Amerikaner zu Inspektionen um den Globus reisen. Ihre Sorge, dass Terroristen wie die Al Quaida, den Lebensnerv des Welthandels treffen könnten, wird von der OECD geteilt. Al Quaida, so schätzen Experten, kontrolliert allein im Mittelmeer 100 Schiffe.

Sicherheit ist aber nicht nur auf dem Wasser ein Thema. Die Kosten der Terrorabwehr haben in den vergangenen drei Jahren alle Wirtschaftsbereiche belastet. In den USA entstand ein neues Ministerium, das sich ausschließlich dem Heimatschutz widmet – Jahresbudget 2005: 32 Milliarden Dollar. Der Im- und Export von Gütern ist komplizierter geworden, der Kapitaltransfer ist mitunter mit mehr Bürokratie verbunden und für Geschäfts- und Urlaubsreisen muss mehr Aufwand betrieben werden. Erst vor einer Woche teilten die Reisekonzerne Tui und Thomas Cook mit, sie seien bei Terroranschlägen nicht mehr gegen Schadensersatzforderungen von Kunden versichert. Der Grund: Die Versicherungsprämien seien nicht mehr bezahlbar. Luftfahrtaktien sind – anders als vor fünf Jahren – Risikopapiere. „Diese Transaktionskosten werden dauerhaft hoch bleiben“, glaubt Günter Weinert, Ökonom beim Hamburger Weltwirtschafts-Archiv (HWWA).

Das hat direkte Folgen für den Wettbewerb. „Strukturell werden sich Verschiebungen zu Gunsten sicherer Produkte und Dienstleistungen sowie sicherer Anbieter ergeben“, schätzt Tilman Brück vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Außerdem könnten neue Geschäftsfelder entstehen, die das Bedürfnis nach Sicherheit befriedigten. Brück zieht Vergleiche zum Umweltschutz, wo höhere Auflagen ebenfalls neue Unternehmungen entstehen ließen. Equity International, ein US-Branchenverband von Sicherheitsorganisationen, schätzt, dass künftig pro Jahr weltweit Sicherheitsprodukte für 572 Milliarden Dollar verkauft werden.

Diese eher optimistische Deutung der wirtschaftlichen Terrorfolgen zieht sich durch viele volkswirtschaftliche Analysen. „Es hat sich schnell gezeigt, dass die Weltwirtschaft und auch die Finanzmärkte viel stabiler auf den 11. September und nachfolgende Anschläge reagiert haben, als man befürchten musste“, sagt DIW-Forscher Brück. Zwar hätten nicht alle Regionen gleich robust reagiert. So seien die exportabhängigen Länder des Mittleren Ostens gemessen an der Größe ihrer Volkswirtschaften stärker in Mitleidenschaft gezogen worden als der terroristische Hauptgegner USA. In der Summe habe die globale Ökonomie aber „schnell gelernt, mit dem Terror zu leben“. Dies sei auch dem raschen Krisenmanagement der Notenbanken zu verdanken, die unmittelbar nach den Anschlägen mit sinkenden Zinsen und zusätzlichen Kreditlinien von 90 Milliarden Dollar den Weltfinanzmarkt liquide gehalten hätten.

Quantifizieren lässt sich der Terroreffekt immer schwerer, je länger die New Yorker Terrorattacke zurückliegt. „Andere Risiken – der Ölpreis oder strukturelle Defizite – wiegen schwerer als die diffuse Terrorangst.“ Auch das labile Vertrauen der Akteure sei kaum noch auf die Ereignisse vor drei Jahren zurückzuführen. Aber: „Das allgemeine Klima der Terrorangst hat sich im Alltag der Konsumenten und Unternehmer verfestigt“, sagt Brück. Das blutige Geiseldrama von Beslan zeigt, dass diese Angst berechtigt ist.

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