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Wirtschaftskrise: Drei Szenarien für 2009

Wie schlimm es im kommenden Jahr wird, können selbst die Wirtschaftsforscher nicht abschätzen. Drei mögliche Szenarien stehen zur Debatte.

DAS MINUS-SZENARIO: ALLES BRICHT ZUSAMMEN

Drei Prozent Minus im kommenden Jahr oder sogar vier, Gehör finden in diesen Tagen vor allem die Kassandra-Rufer. Das düstere Bild, das sie malen, geht von einem weltweiten Absturz der Industrieunternehmen aus: In den USA misslingt trotz aller Subventionen die Rettung der Autoindustrie, der Häusermarkt findet keinen Halt, weitere Großbanken geraten in eine Schieflage. Das trifft den Jobmarkt hart, schon jetzt gibt es eine Million mehr arbeitslose Amerikaner als vor einem Jahr. In den Strudel der Krise geraten Japan und vor allem China, die beide auf die Nachfrage aus den USA angewiesen sind. Und damit auch Europa und Deutschland, die davon abhängen, ihre teuren Maschinen und Anlagen in alle Welt exportieren zu können. Vor allem die Autoindustrie würde ein solches Szenario hart treffen.Die Exportabhängigkeit gerade der deutschen Wirtschaft erweist sich nun als Bumerang. Kein Manager wird in einer solchen Situation in neue Fabriken investieren.

Auf die restliche Wirtschaft greift die Krise rasch über. Die Banken schränken ihre Kreditvergabe noch weiter ein, damit neben dem gigantischen Abschreibungsbedarf auf US-Schrottpapiere nicht neue Krisenherde in ihren Bilanzen entstehen. Weil die Industrie sparen muss, streicht sie auch ihre Aufträge an Dienstleister zusammen, darunter leiden Beraterfirmen und Softwareanbieter. Bahn und Lastwagen bricht der Güterverkehr weg, Lufthansa und Air Berlin fliegen mit bestenfalls zur Hälfte ausgelasteten Flugzeugen herum.

Die Binnenwirtschaft kann dem nichts entgegensetzen. Verängstigt von den täglichen Schreckensmeldungen, halten die Verbraucher das Geld zusammen und sparen es, wie schon in den vergangenen Jahren. Entsprechend schlecht laufen die Geschäfte im Einzelhandel, trotz Sonderangeboten und Rabattaktionen. Ständig sinkende Preise münden in einer Deflation, also einer Spirale aus schwindender Wirtschaftskraft, zurückgehender Nachfrage und geringeren Unternehmensgewinnen. Größere Anschaffungen schieben die Konsumenten wieder und wieder auf – weil sie auf noch niedrigere Preise hoffen. Nimmt man die Faustformel, nach der ein Prozent weniger Wachstum 350.000 Stellen kostet, würden bis zu 1,4 Millionen Menschen im kommenden Jahr arbeitslos.

Alle Hoffnung lastet nun auf der Politik. Doch sie wird enttäuscht. Bis das Investitionsprogramm wirken kann, vergehen wertvolle Monate. Erst zanken Bund und Länder um die Finanzierung, dann fehlt es an Bauprojekten, die zügig begonnen werden können. Steuersenkungen helfen nicht, weil die Leute das zusätzliche Geld nicht ausgeben, Konsumschecks verpuffen ebenso wie verzweifelte Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank.

Wahrscheinlichkeit: mittel.
Zwar deuten viele Indikatoren darauf hin, dass die Krise tief wird – das Ifo-Geschäftsklima oder die Stimmung der Einkaufsmanager. Die Prognosen erscheinen aber zu schwarz, weil die Regierungen weltweit gewillt sind, sich mit Milliarden gegen den Absturz zu stemmen.

DAS KRISEN-SZENARIO: ES WIRD ERNST, ABER NICHT HOFFNUNGSLOS
Es ist nicht alles schlecht. Zwar zeigen die meisten Konjunkturdaten momentan steil nach unten. Gleichzeitig gibt es aber ermutigende Nachrichten, etwa vom Rohstoffmarkt. Sie könnten dafür sorgen, dass Deutschland glimpflich davonkommt und die Wirtschaft nur um rund ein Prozent schrumpft. Das wäre aber immer noch die tiefste Rezession seit dem Krieg.

Entscheidend ist der rapide Verfall des Ölpreises. Der Rohstoff kostet heute nicht einmal mehr ein Drittel so viel wie noch im Sommer. Der Gaspreis, der an das Öl gekoppelt ist, wird in Kürze folgen. Bleibt der Barrel-Preis auf dem aktuellen Niveau, könnte das für Unternehmen und Verbraucher über das Jahr gesehen Einsparungen von 30 Milliarden Euro bedeuten, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet. "Das wirkt wie ein Konjunkturprogramm", sagt Chefvolkswirt Christian Dreger. Folge: Den Bürgern bleibt mehr Geld für den Konsum, die Unternehmen können billiger produzieren. Weil die Inflationsrate moderat bleibt, steigen auch die Reallöhne. Stabilisierend wirken die Erhöhung von Renten, Wohn- und Kindergeld sowie der gesenkte Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Zum ersten Mal seit Jahren verzeichnen der Einzelhandel und konsumnahe Wirtschaftsbereiche einen Mini-Aufschwung. "Der private Konsum könnte in diesem Jahr den Unterschied machen", glaubt Dreger.

Trotzdem bleibt der Weltmarkt bedeutend: Angesichts der abebbenden Finanzkrise kommt die Nachfrage nach Produkten aus Deutschland wieder in Schwung. Vor allem aus Amerika, das sich erstaunlich schnell wieder aufgerappelt hat. Hilfreich dabei, wenn auch nicht übermäßig, sind die Konjunkturprogramme in vielen Ländern. Ungeschoren kommen die Exporteure aber nicht davon. Allerdings hilft ihnen der niedrige Euro-Kurs, der im Vergleich zum Dollar um ein Fünftel gesunken ist, das steigert die Wettbewerbsfähigkeit. Und zwei Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung stützen sich ohnehin nicht auf die Industrie.

Aus Angst vor einem Fachkräftemangel in der Zukunft agieren die Unternehmen bei der Personalpolitik besonnen. Es zahlt sich aus, dass sie die vorübergehend sinkende Nachfrage mittels Arbeitszeitkonten ausgleichen konnten, die heute weit verbreitet sind. Hinzu kommt die neue Möglichkeit, bis zu 18 Monate lang Kurzarbeit zu verordnen. Für den Arbeitsmarkt bedeutet das, dass sich die Zahl der Entlassungen in Grenzen hält und die Arbeitslosigkeit nur moderat zunimmt. Das ist auch eine Folge der Reformen in dieser Dekade.

Wahrscheinlichkeit: hoch. Statt einer Dauerkrise könnte die Wirtschaft bereits im Sommer wieder in die Wohlfühlzone kommen und wachsen. Der Bankensektor hat sich zudem robust gezeigt, das könnte die Krise früher beenden. Schon spekulieren Volkswirte wie Holger Schmieding von der Bank of America, dass bald Licht am Ende des Tunnels zu erkennen sein könnte. Spricht sich das bis zu den Finanzmärkten herum, könnte es zu einem Kursfeuerwerk kommen – ein wichtiges psychologisches Moment auch für die Realwirtschaft.

DAS RETTUNGS-SZENARIO: ALLES WIRD GUT
Es sind nur wenige, aber es gibt sie: Wirtschaftsforscher, die für das kommende Jahr ein steigendes Bruttoinlandsprodukt vorhersagen. Zum Beispiel Gustav Horn, der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Er hält 2009 ein Wachstum von einem Prozent für möglich. Dabei kommt es auf die Politik an: Die Voraussetzung wäre ein großzügiger Eingriff der Regierungen Europas. Mit zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes stützen sie ihre nationale Wirtschaft. Für Deutschland wären dies rund 50 Milliarden Euro – sie sollen nach Horns Vorstellung fließen in rasch wirksame Konsumgutscheine und in öffentliche Investitionen. Allerdings nicht nur für ein Jahr, der Staat leistet sich nun dauerhaft mehr, was wiederum die Zukunftsaussichten von Bürgern und Wirtschaft verbessert, kalkuliert Horn. Die Europäische Zentralbank flankiert diese Politik mit beherzten Leitzinssenkungen. Eine Verpflichtung der Banken vonseiten der Regierung, Geld aus dem staatlichen Rettungsfonds anzunehmen, kommt hinzu.

Eine solche Politik kommt zunächst den Unternehmen zugute. Die Firmen aus dem Bausektor, dem Einzelhandel sowie die Hersteller von Konsumartikeln profitieren. Mittelständische Straßenbauer können also mit neuen Aufträgen rechnen, ebenso Maurer, Malermeister und Zimmerleute, die örtliche Universitäten und Schulen reparieren. Siemens kann auf den Verkauf zusätzlicher Straßenbahnen hoffen, Würth mit einem steigenden Schraubenabsatz. Doch auch die wichtigen Exportfirmen zählen dank der koordinierten Ausgabenpolitik der Staaten in Europa zu den Gewinnern.

Die Hoffnung dahinter: ein grundlegender und rascher Stimmungswandel im Land. Dank der zusätzlichen Staatsnachfrage schwindet die Angst der Unternehmen vor einem markanten Auftragseinbruch. Mit dem Thema Personalabbau müssen sich deshalb die meisten kaum beschäftigen. Das schafft Vertrauen bei den Arbeitnehmern – die legen deshalb das Geld nicht auf die Seite, sondern tragen es in Fußgängerzonen und Einkaufszentren. Zum ersten Mal seit Jahren verzeichnet der Einzelhandel nennenswerte Wachstumsraten. Selbst die gebeutelten Autobauer melden steigende Verkaufszahlen. Da die Geschäftslage stimmt, bleibt ein gewisser Spielraum für Lohnerhöhungen, was wiederum der Binnennachfrage zugute kommt. Und die höheren Investitionen in die öffentliche Infrastruktur legen den Grundstein für höheres Wachstum in der Zukunft.

Wahrscheinlichkeit: gering. Bis der Staat mit seinen Milliarden zur Stelle ist, dauert es zu lange. Womöglich ist der Tiefpunkt der Krise dann bereits überwunden. Selbst wenn das Geld zur rechten Zeit fließt, ist fraglich, ob es mehr entfachen kann als nur ein Strohfeuer im Sturm der Krise. Das größte Fragezeichen steht hinter dem Thema Psychologie: Den meisten Verbrauchern schwant früher oder später, dass die Ausgaben von heute die Steuern von morgen sind. Entsprechend werden sie nicht hemmungslos shoppen gehen.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 21.12.2008)

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