zum Hauptinhalt
Allein bei den Pyramiden. Der Tourismus im Land ist im vergangenen Jahr um mehr als ein Drittel zurückgegangen.

© picture alliance / dpa

Wirtschaftskrise in Ägypten: "Soziale Unruhen entstehen schnell"

Die Preise steigen, Benzin ist knapp – ein Jahr nach dem Umsturz ist Ägyptens Wirtschaft immer noch am Boden.

Das alles könnte nur der Anfang sein. Die ganze Woche ging in Ägypten die Panik um – lange Autoschlangen stauten sich vor den Tankstellen, nervös und angespannt harrten die Wartenden auf Benzin. „Ich habe vier Stunden gestanden, um 40 Liter zu bekommen“, schimpft Minibusfahrer Ahmed Hadi, bevor er sich wieder in das Verkehrsgewühl der 20-Millionen-Metropole stürzt. Im Kairoer Stadtteil Helwan gab es bei einem Schusswechsel zwischen Tankwarten und aufgebrachten Taxifahrern einen Toten, anderswo blieb es bei Faustschlägen und Wortgefechten.

Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt, viele Menschen aber sehen in den schlagartigen Engpässen einen ersten Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte. Denn auch die Versorgung mit Butangasfaschen stockt, die in Millionen Häusern zum Kochen und Heizen unentbehrlich sind. Seit Anfang Januar haben sich die Preise verdreifacht, für viele wird Energie unerschwinglich und das zu einer Zeit, in der Ägypten unter einer ungewöhnlichen Kältewelle ächzt. Und so ist die Stimmung am Nil gereizt, ausgerechnet am Vorabend einer historischen Woche mit der Eröffnungssitzung des ersten demokratisch gewählten Parlaments am Montag, gefolgt vom Revolutionstag am Mittwoch.

Ein Jahr nach dem Sturz von Hosni Mubarak ist Ägyptens Wirtschaft immer noch nicht wieder auf den Beinen. Der 78-jährige Übergangspremier Kamal al Ganzouri brach sogar in Tränen aus, als er auf einer Pressekonferenz die dramatische Haushaltslage seines Landes schilderte. In dem 60-Milliarden-Etat klafft ein Loch von 20 Milliarden Euro. 16 Milliarden Euro verschlingen allein die Subventionen, das ist mehr als ein Viertel der öffentlichen Mittel. Der Löwenanteil geht drauf für billigen Sprit, Gas und Strom, ein geringerer Teil für Mehl und Brot.

Könnte die Regierung diese Ausgaben streichen, wäre das gigantische Defizit schon fast behoben. Gleichzeitig aber würde das Land sozial aus den Angeln gehoben. Den Wohlhabenden machen Kürzungen zwar wenig aus. 40 Prozent der 85 Millionen Ägypter aber sind arm, müssen von weniger als 1,50 Euro pro Tag leben. Sie kämen ohne das billige Brot und die preiswerten Sammeltaxen nicht über die Runden. Die Bedürftigen von den Bessergestellten zu trennen aber ist praktisch unmöglich in einem Land, das nicht einmal die genaue Zahl seiner Einwohner kennt und in dem sich fast die Hälfte der Menschen in der Schattenwirtschaft durchschlägt. „Soziale Unruhen entstehen schnell“, sagt Michael Marks, Leiter der Kairoer Geschäftsstelle von Germany Trade & Invest, der bundesdeutschen Agentur für Außenwirtschaft und Standortmarketing.

Ausländische Investoren ziehen das Kapital ab.

Auch bei den Einnahmen hapert es. Das Steuersystem ist marode, der Tourismus offiziellen Angaben zufolge 2011 um mehr als ein Drittel eingebrochen. Den Unternehmen fehlen vier Milliarden Dollar in ihren Kassen, wahrscheinlich sind die Verluste noch viel höher. Die Bilder von Straßenschlachten in Kairos Zentrum, aber auch die Debatten der radikalen Salafisten über Alkohol- und Bikiniverbote schaden der Branche und beunruhigen die Kunden. Ausländische Investitionen, 2010 noch bei zwölf Milliarden Euro, fließen seit der Revolution kaum noch. Das ausländische Kapital an der Kairoer Börse wurde praktisch komplett abgezogen, der Aktienindex EGX 30 verlor im Revolutionsjahr die Hälfte seines Wertes. Und nach dem überwältigenden Sieg der Muslimbrüder und der Salafisten bei den ersten Parlamentswahlen sind viele internationale Geschäftsleute noch misstrauischer geworden. So beeilten sich die Muslimbrüder diese Woche zu bekräftigen, eine Regierung unter ihrer Führung werde „die Freiheit der Wirtschaft und das Privateigentum respektieren“. Man wolle sich vor allem auf die Förderung kleiner und mittlerer Firmen konzentrieren, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, erklärte Mohamed Gouda, Mitglied des Wirtschaftsausschusses der Partei für Frieden und Gerechtigkeit, dem parlamentarischen Arm der Muslimbrüder. Vor allem aber müsse endlich wieder Ruhe auf der Straße und politische Stabilität im Land einkehren.

„Ägyptens zentrales Problem besteht darin, wie man jetzt wieder Auslandsinvestitionen ins Land bekommt. Der Staat hat kein Geld mehr, um selbst groß einzusteigen“, erläutert Michael Marks. Nach seinen Erfahrungen sind deutsche Unternehmer wie Siemens, Metro oder Daimler bereit, trotz der Krise weiterzumachen, weil sie seit Jahren vor Ort sind. „Aber es ist ganz schwer, neue Firmen mit neuen Ideen und neuem Kapital für Ägypten zu gewinnen.“ Doch es fehlt nicht nur an ausländischer Initiative, auch scheut die ägyptische Führung momentan weitreichende Entscheidungen. Die Übergangsregierungen wechseln alle paar Monate, in ihrer Autorität hängen sie vom Obersten Militärrat ab. Kein Kabinett nimmt momentan größere Projekte in Angriff.

Derweil schwinden die Währungsreserven weiter. In den vergangenen zwölf Monaten haben sie sich von 36 Milliarden auf weniger als 18 Milliarden Dollar halbiert, damit ist Ägypten an der kritischen Marke von drei Monaten Mindestrücklagen für Importe angekommen. Und so steht notgedrungen der vom Militärrat bislang blockierte 3,2-Milliarden-Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IMF) wieder auf der Agenda, auch wenn das Land inzwischen das Vier- oder Fünffache als Finanzspritze bräuchte. „Verhandlungen finden statt, aber ohne politische Vorbedingungen“, erklärte die Ministerin für Planung und Kooperation, Fayza Abouelnaga. Auf keinen Fall will sich Ägypten in seiner heiklen politischen Übergangsphase von ausländischen Geldgebern einen raschen Abbau der Subventionen aufzwingen lassen. Man wolle das Geld einsetzen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Jobs zu schaffen und das Vertrauen der Investoren wiederzugewinnen, erklärte Abouelnaga. „Die Wirtschaft steht an einem Scheideweg – es kann positiv oder negativ ausgehen“, sagt Wirtschaftsfachmann Marks. Wenn das Land so weitermache wie zuletzt, werde es problematisch. „Trotzdem – die Fundamentaldaten bleiben positiv. Ägypten ist kein armes Land, hat Bodenschätze und gut ausgebildete Menschen. Eine Erholung der Wirtschaft aber, die wird wohl länger dauern.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false